Nach seinem Platzverweis musste der Debütant neben Klubkollegen Trochowski am meisten Autogramme geben.

Moskau/Hamburg. Um ziemlich genau 14.15 Uhr kehrte Jerome Boateng gestern zusammen mit der Nationalelf zurück in seine Hansestadt. Die Hamburger Fans begrüßten ihn und seine Kollegen begeistert, als der Mannschaftsbus vor dem Site-Hotel vorfuhr. Kurz einchecken, etwas essen und dann ein gemeinsames Foto mit HSV-Kollege Piotr Trochowski in der Players-Lounge im 11. Stock. Boateng wirkte trotz seines Platzverweises am Vortag entspannt. "Es ist schon bitter, dass ich am Mittwoch nicht spielen darf. Trotzdem freue ich mich riesig, dass wir die Qualifikation geschafft haben", sagte er. Ganz besonders glücklich schien der Debütant aber zu sein, "dass keiner aus dem Team mir einen Vorwurf gemacht hat." Und auch Trochowski wirkte gelöst. "Erst einmal ist es wichtig, dass wir die Qualifikation geschafft haben", sagte er. "Jetzt freue ich mich auf das Spiel am Mittwoch zu Hause vor heimischem Publikum."

Dabei sah zumindest Boatengs Welt am Vorabend noch ganz anders aus. Hätte es eine Strichliste gegeben, Boateng hätte die Anzahl der Umarmungen nach dem Abpfiff auf dem Rasen des Luschniki-Stadions sicher überlegen gewonnen. Jeder der deutschen Nationalspieler und alle Betreuer herzten den HSV-Profi, der bei seinem A-Länderspieldebüt beinahe die Rolle der tragischen Figur eingenommen hätte - mit fatalen Folgen für die DFB-Auswahl und ihn selbst.

Als der 21-Jährige nach einem Foul am schnellen Bystrow mit Gelb-Rot vom Platz musste (69.), schien sich sein Schicksal mit Ankündigung zu vollziehen. Nachdem Boateng vor der Pause seine erste Verwarnung erhalten hatte und der russische Nationaltrainer Guus Hiddink ganz bewusst seinen besten Mann (Bystrow) von der rechten auf die linke Seite beorderte, um die zweite Gelbe Karte zu provozieren, wurde seine Auswechslung erwartet. Doch Joachim Löw ließ den gebürtigen Berliner weiterspielen - ein Risiko, dass bei anderem Spielausgang sicher zu Kritik am Bundestrainer geführt hätte.

"Jerome hat nur zwei Fouls gemacht. War halt doof, dass es zweimal recht übel aussah", beschrieb Bastian Schweinsteiger den vorzeitigen Abgang seines Kollegen. Als dieser die 100 Meter von der Außenlinie zum Kabineneingang an der Haupttribüne trottete, schoss Boateng besonders ein Gedanken durch den Kopf: "Erst mal denkt man natürlich: Scheiße!"

Wer weiß, was passiert wäre, hätte Russland am Sonnabend das Spiel noch gedreht und Boateng wäre als Prügelknabe der Nation das personifizierte Verpassen der WM-Qualifikation gewesen. Nach dem Happy End aber wird sich der Fall Boateng nun in eine andere Richtung entwickeln. "Wir haben wieder eine neue, gute Alternative", sagte beispielsweise Per Mertesacker. "Er hat selbstbewusst gespielt, auch wenn er das eine oder andere mal zu spät kam. Aber das ist der beste Lernprozess, direkt reinzukommen und zu spielen. Wir werden ihn schon wieder aufbauen." Und auch Bierhoff lobte: "Er kann trotzdem stolz sein und wird in Zukunft sicher ein wichtiger Spieler sein." Davon ist Löw offensichtlich ebenfalls überzeugt. Er attestierte dem 31. Neuling seiner Ära, vieles gut gemacht zu haben und kündigte an: "Er hat gezeigt dass er große Schritte gemacht hat. Jerome gehört jetzt auch zum Kader."

Wie schwer Boatengs Aufgabe war, zeigte sich auch nach der Einwechslung von Arne Friedrich, der dem Geschwindigkeitsrausch von Bystrow ebenfalls nicht gewachsen war und den Angreifer elfmeterreif foulte. Sein Glück war, dass Schiedsrichter Bussacca erstaunlicherweise nicht auf Strafstoß entschied. "Die TV-Bilder beweisen, dass es ein Elfer war, aber der Schiri hat nicht gepfiffen, und das zählt für mich...", sagte Friedrich offen.

Der Hertha-Profi darf nun vermutlich am Mittwoch in Hamburg gegen Finnland auflaufen, da Boateng sein Heimspiel verpasst. "Diese Konsequenz ging mir erst später durch den Kopf. Ist ärgerlich, ist aber passiert. Hauptsache, wir haben gewonnen. Deshalb behalte ich mein Debüt auch als positiv in Erinnerung." Sein erstes Trikot wird er seinen Eltern schenken. Weitere Sammelobjekte, da ist sich Boateng sicher, werden folgen. "Vielleicht treffe ich ja später noch einmal auf Bystrow. Dann muss ich es besser machen", sagt Boateng und lächelt. Sein Lachen hat der Hamburger also spätestens bei der Landung in Hamburg-Fuhlsbüttel wiedergefunden.