Der Bundestrainer will heute in Russland mit einer sehr defensiven Grundordnung agieren und auf Konter spielen lassen.

Moskau. Wer dort residieren kann, muss - in welcher Form auch immer - etwas geleistet haben. Ein Standardzimmer im Baltschug Kempinski Hotel, Blick auf die Moskwa und den Kreml inklusive, kostet 32 000 Rubel (732 Euro) am Tag, was dem Durchschnittseinkommen eines Angestellten in der russischen Hauptstadt entspricht.

Die deutschen Nationalspieler, die wie üblich auch in Moskau Einzelzimmer bezogen, können für sich diesen Leistungsgedanken in Anspruch nehmen. Doch die Großtat steht noch aus: Am Sonnabend um 19 Uhr Ortszeit (17 MESZ) sollen die besten Fußballer der Nation gegen Russland die direkte Qualifikation für die WM 2010 in Südafrika perfekt machen. Bei einem Remis wäre ein Sieg am Mittwoch in Hamburg im abschließenden Qualifikationsspiel gegen Finnland vonnöten (siehe Tabelle S. 36). Gewinnen hingegen die Russen, könnten sie in Aserbaidschan selbst Platz eins sichern und die Deutschen in die WM-Playoffs (14. und 18. November) schicken.

Zwar wäre die DFB-Auswahl dann gemäß dem Weltranglistenplatz (4.) gesetzt und träfe nach jetzigem Stand auf Irland, Norwegen, Bosnien-Herzegowina oder Slowenien, doch Löw will den Hintereingang zur WM auf keinen Fall benutzen. Mit Akribie hat er sein Team auf das Endspiel in der Europa-Gruppe vier vorbereitet: mit Videoanalysen, Einzelgesprächen und taktische Übungen. Sein Erfolgsrezept ähnelt in Grundzügen dem des 2:1 gegen Russland in Dortmund, das wurde deutlich, als Löw im pompösen Atrium des Hotels referierte.

Mit perfekter Organisation und äußerst disziplinierter Positions- und Raumaufteilung soll schnellen Technikern wie Arschawin, Bystrow oder Schirkow im 4-2-3-1-System (bei Ballverlust eher 4-5-1 zu nennen) die Freude am Kombinieren genommen werden. "Es darf kein Stehen bleiben geben, alle zehn Spieler plus der Torwart müssen konsequent und zu 100 Prozent konzentriert verteidigen." Auch wenn Löw forderte, nicht zur zu reagieren, sondern selbst Akzente zu setzen, wurde klar, dass bei der DFB-Elf die Maxime gilt: Sicherheit zuerst.

Mit welchem Personal er sein Vorhaben umsetzen wolle, ließ Löw offen. Der Hamburger Jerome Boateng streitet sich mit Arne Friedrich um den rechten Platz in der Abwehrreihe, hat nach den Trainingseindrücken aber gute Chancen auf sein Debüt. Auch Piotr Trochowski hat mit Lukas Podolski und Mesut Özil starke Konkurrenz. Im Mittelfeld dürfte Simon Rolfes den Vorzug vor Thomas Hitzlsperger erhalten.

Wer auch immer spielen darf: Im mit 75 000 Zuschauern ausverkauften Luschniki-Park wird Nervenstärke erforderlich sein. Die Euphorie rund um die "Sbornaja" (Auswahl) sprengte im Vorfeld alle Grenzen. Die Tickets gingen nicht in den freien Verkauf - das Kaufrecht konnten die russischen Bürger in einer Lotterie gewinnen - 750 000 Menschen sollen teilgenommen haben. Auf dem Schwarzmarkt werden die billigsten Karten (20 Euro) für das Zehnfache gehandelt, gute Plätze kosten 2000 bis 3000 Euro. Geschickt legte der russische Fußballverband seine pathetische Präsentation der Bewerbung um die Austragung der WM 2018 oder 2022 auf den Freitag, um die Stimmung anzuheizen.

Die 22 deutschen Spieler - einige wagten einen Ausflug auf den Roten Platz - bekamen davon aber nichts mit. Sie trainierten um 18 Uhr bei Dauerregen erstmalig auf dem durch die Nässe extrem schnellen Kunstrasen. Am Spieltag soll es bei sechs Grad trocken bleiben. Wenn die DFB-Elf vom Regen in die Traufe kommt, darf das Kunstgras nach den intensiven Übungen aber sowieso nicht als Ausrede herhalten. "Wir sind sehr gut vorbereitet", bestätigte Philipp Lahm. An Löw wird es also nicht gelegen haben, sollte die Mission scheitern. An den Betten erst Recht nicht.