In Russland hat der Trainer der Fußball-Nationalmannschaft eine eigene Zeitungskolumne. Am Freitag nutzte Guus Hiddink den Platz, den ihm “Sowjetski Sport“ einräumt, um die Leser auf das wichtige Spiel gegen Deutschland einzustimmen.

Moskau. Der Sieg über die Deutschen wäre umso süßer, schrieb der 62 Jahre alte Niederländer, "weil sie seit Zeiten ihres eisernen Kanzlers Otto von Bismarck bei großen Turnieren dabei sind". Dies mag fachlich nicht ganz richtig sein, fördert aber garantiert die Stimmung im Land und in der Nationalmannschaft.

750 000 Kartenwünsche gingen beim Verband für das Spiel gegen den dreimaligen Weltmeister ein, letztlich haben nur 75 000 Zuschauer im Luschniki-Sportpark Platz. "Russland ist zurzeit Fußball-verrückt. Wir dürfen das Volk nicht enttäuschen", schrieb Hiddink, der die Nationalmannschaft in den vergangenen drei Jahren aus dem Mittelmaß in die europäische Spitze führte. Bei der EM im Juni 2008 in Österreich und der Schweiz scheiterten die Russen erst im Halbfinale mit 0:3 am späteren Europameister Spanien, der das Finale mit 1:0 gegen das deutsche Team gewann.

Günter Netzer, der Hohepriester der Fußballkritiker, bezeichnet Hiddink als "den besten Trainer, den es seit einiger Zeit gibt". Unter ihm habe die Mannschaft ihren Beamtenfußball abgelegt, spiele stattdessen schnell und trickreich nach vorn. "No Hiddink, no Team", sagt Stürmer Andrej Arschawin von Arsenal London, auf dem große Hoffnungen ruhen.

Hiddinks Verdienst ist es, die traditionell hierarchischen Strukturen in der russischen Nationalmannschaft aufgebrochen zu haben. "Hiddink hat uns das gegeben, was wir vorher von keinem russischen Trainer bekommen haben: Freiheit", sagt der frühere Nürnberger Bundesligaprofi Iwan Sajenko. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" definierte Hiddink sein Verständnis von Freiheit: "Im Fußball muss jeder Spieler Leistung bringen und Disziplin zeigen. Auf dem Platz gibt es klar strukturierte Aufgaben, und innerhalb dieses Rahmens sollen die Spieler ihre Kreativität einbringen." Freiheit bedeute deshalb vor allem Verantwortung.

Anfangs, erzählte Hiddink, sei ihm in Russland aufgefallen, "dass die Spieler immer kontrolliert waren und eine Pass-auf-Mentalität hatten. Es wurde altmodischer Sicherheitsfußball gespielt. In Südkorea (die Nationalelf trainierte Hiddink von 2000 bis 2002 und wurde WM-Vierter, die Red. ) war es ähnlich. Dort wird bestraft, wer Fehler macht. Wenn man so ein Buch liest, über Stalin und seinen Geheimdienstchef Berija, ahnt man, woher diese Mentalität kommt."

Die habe sich inzwischen gewandelt. "Das sind heute ganz moderne, selbstbewusste Jungs, einige Spieler sind echte Persönlichkeiten geworden", sagt Hiddink. Zwar sei ihr Auftreten von Respekt geprägt, und das sei auch gut so, Angst vor Autoritäten hätte aber niemand mehr. Das ist dem russischen Fußball anzusehen - er wirkt wie von den Fesseln der Sowjetdiktatur befreit.

Hiddink, der das vollbracht hat, steht beim russischen Verband noch bis Juli 2010, bis zum Ende der Weltmeisterschaft in Südafrika, unter Vertrag. Die Russen würden ihn gern vorzeitig verlängern, Hiddink überlegt noch.