Der HSV-Profi feiert am Sonnabend gegen Russland wohl seine Premiere für die A-Nationalelf und steht in der Startformation.

Mainz. Wäre die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ein organischer Körper, so müsste man die Position auf der rechten Abwehrseite als eine anfällige, kränkelnde Stelle bezeichnen, an der in jüngster Vergangenheit die meisten Schönheitskorrekturen vorgenommen worden sind. Ob Arne Friedrich (Berlin), Clemens Fritz (Bremen), Gonzalo Castro (Leverkusen) oder Andreas Beck (Hoffenheim) - kein Spieler konnte Joachim Löw bislang überzeugen, weshalb der Bundestrainer zuletzt entschieden hatte, dass Philipp Lahm (FC Bayern) auf die rechte Seite wechselt, da links hinten mit Marcel Schäfer und Marcell Jansen ja zwei gute Alternativen bereit stünden.

Doch HSV-Profi Jansen stehen bekanntlich zum wiederholten Mal seine Verletzungen im Weg, während der Wolfsburger Schäfer das Zeugnis seiner internationalen Reife bislang schuldig blieb. Nun zeichnet sich ab, dass Lahm am Sonnabend im WM-Qualifikationsspiel in Russland (17 Uhr MESZ, ZDF live, Ticker bei abendblatt.de) wieder einen Seitenwechsel vornimmt und DFB-Neuling Jerome Boateng in Moskau zu seinem Debüt kommt.

Als Löw einen Testkick gegen die in der vierten Liga spielende Nachwuchs-Mannschaft von Mainz 05 unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchführen ließ, stand der HSV-Profi in der Stamm-Abwehrkette neben Per Mertesacker, Heiko Westermann und Lahm. Die Partie (viermal 15 Minuten) auf dem ungewohnten Plastikgras ging zwar - was etwas peinlich war - 0:1 verloren, doch Boateng durfte sich dennoch als Gewinner fühlen. "Jeder Spieler in unserem Kader ist eine Option für die Startaufstellung, also auch Jerome", sagte Assistenztrainer Hansi Flick diplomatisch und verteilte Komplimente an den 21-Jährigen: "Jerome hat überhaupt keine Anpassungsprobleme, verhält sich sehr gut in unserem Kreis, ganz so, als ob er schon öfter dabei gewesen ist."

Längst ist auch Flick und Löw aufgegangen, wie harmonisch sich die körperliche Stärke des 1,98 Meter großen Defensivspezialisten mit technischer Raffinesse und Schnelligkeit verbindet. Beim 1:0-Sieg gegen Bayern München verfolgte der Bundestrainer in Hamburg auf der Tribüne, wie Boateng erst Franck Ribéry und dann Arjen Robben ausschaltete. Es war die Blaupause für das Russland-Spiel, denn das Team von Guus Hiddink gilt besonders auf Kunstrasen als eine Mannschaft, die mit ihren technisch versierten Spielern wie Andrej Arschawin extrem schnell in der Vorwärtsbewegung agiert.

Im internen Konkurrenzkampf kann Boateng einen Kollegen von seiner Liste streichen: Arne Friedrich. Man habe mit dem Berliner gesprochen und sei übereingekommen, dass sein Einsatzgebiet eher in der Innenverteidigung liege, erklärte Flick gestern Mittag. So bliebe Löw nur noch die Option mit Beck, doch die Offensivqualitäten des Hoffenheimers sind im Luschniki-Park weniger gefragt. Oder aber er lässt Lahm doch rechts und Schäfer links auflaufen. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit mit der Variante Boateng groß.


Dass Löw bereit ist, auch in entscheidenden Spielen Risiko einzugehen, bewies er vor einem Jahr beim 2:1-Hinspielsieg gegen Russland, als Torwart René Adler seine Premiere im DFB-Dress feiern durfte. Und Nervosität ist sowieso eine Boateng eher unbekannte Charaktereigenschaft. Beim HSV wirkt er zuweilen so, als ob er mit einer Pulsschlagfrequenz von 50 abwärts seine Partien bewältige. Seine Ruhe und Abgeklärtheit wurde ihm in der Vergangenheit auch schon als Phlegma ausgelegt. Vor dem ersten Auftritt auf der großen Bühne schirmt der Deutsche Fußball-Bund seinen Neuen ganz bewusst ab. Bei den Pressekonferenzen fehlt Boateng, Interviewwünsche wehrte er pauschal ab. Wie locker er tatsächlich drauf ist, bewies er beim Training, zumal der 31. Neuling der Ära Löw mit Spielern wie Mesut Özil oder Marko Marin, die er von der U-21-Mannschaft kennt, und seinem HSV-Teamkollegen Piotr Trochowski genügend Ansprechpartner hat. Hier ein Lächeln, da ein Plausch; so wirkt keiner, der Angst vor seiner Aufgabe hat.

Was beim DFB ebenfalls positiv aufgefallen ist: "Trotz seiner Größe macht ihm das Spiel auf Kunstrasen wenig aus", stellte Flick fest. Andere Profis klagten über muskuläre Probleme und Schmerzen in den Gelenken. Trochowski ist nach seiner Erkältung indes wieder fit und darf sich ebenfalls gute Chancen ausrechnen. Gegen Mainz II durfte der Mittelfeldspieler im Stammteam mitmischen. Boateng und Trochowski - zwei Hamburger sollen die Qualifikation für Südafrika schaffen.

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