Beim HSV in der Bundesliga zuletzt nur Ersatz, avanciert der 20-Jährige zum großen Gewinner im DFB-Team.

Abendblatt: Herr Boateng, die Europameisterschaft entschädigt Sie für die durchwachsene Saison, oder?

Jerome Boateng: O ja, diese Spiele tun mir richtig gut. Endlich kann ich allen zeigen, dass ich beim HSV zu Unrecht auf der Bank saß. Aber allein, dass ich spiele, ist schon ein Fortschritt.

Abendblatt: Und das noch sehr gut. Sie wurden gegen England zum zweiten Mal zum Spieler des Spiels gewählt - und das als Innenverteidiger.

Boateng: Ja, aber das habe ich früher auch schon gespielt. Eigentlich wussten alle, dass ich das kann.

Abendblatt: Außer der letzte Trainer, Martin Jol, oder?

Boateng: Offenbar wusste er das nicht, das stimmt.

Abendblatt: Das sollen Sie ihm gesagt haben und so seinen Zorn auf sich gezogen haben ...

Boateng: Quatsch! Der Trainer hat selten mit mir gesprochen. Es sei denn, er brauchte mich plötzlich. Dann war ich ein richtig Guter, anschließend aber auch schnell wieder Luft.

Abendblatt: Warum haben Sie ihm das nie gesagt?

Boateng: Habe ich sehr wohl. Zwei Mal. Aber er hat immer schnell das Thema gewechselt. Und ich weiß auch, dass man sich als junger Spieler nicht durch Trainergespräche hervortut, sondern durch Leistung. Und gut trainiert habe ich - das wurde mir bestätigt. Ich hätte mir in der Phase jemanden von außen gewünscht, der sich für mich einsetzt.

Abendblatt: So wie jetzt Ihren U-21-Trainer Horst Hrubesch?

Boateng: Ja. Hier genieße ich großes Vertrauen, und das tut mir und meiner Leistung gut. Mehr verlange ich doch auch nicht. Mit Huub Stevens habe ich mich auch nicht immer top verstanden, und trotzdem hatten wir eine sehr vernünftige Zusammenarbeit, weil es nur nach Leistung ging. Das war ehrlich, das hätte ich mir von Jol auch gewünscht.

Abendblatt: Haben Sie denn schon mit dem neuen Trainer Bruno Labbadia gesprochen?

Boateng: Nein. Dafür haben wir hier auch keine Zeit, wir stehen jetzt immerhin im EM-Halbfinale, sind unserem Ziel, den Titel zu holen, ein großes Stück nähergekommen. Mein Leverkusener Kollege Gonzalo Castro hat mir aber nur Gutes berichtet. Trotzdem: Das Turnier schlägt derzeit alles.

Abendblatt: Auch Ihre Abwanderungsgedanken?

Boateng: Ja. Hätte es nicht einen Trainerwechsel gegeben, hätte mein Berater sicher ein Gespräch mit dem Verein suchen müssen. So eine Saison möchte ich nie wieder erleben müssen.

Abendblatt: Und nach Ihren Leistungen beim Turnier dürften andere Klubs jetzt Ihretwegen das Gespräch mit dem Verein suchen ...

Boateng: ... und das ist mir egal. Ich weiß, dass ich beim HSV super Voraussetzungen habe, international spiele und dort noch viel lernen kann. Aber dafür muss ich eben auch viel mehr spielen als letzte Saison.