Trainer van Marwijk kritisiert seine Spieler. Das Team ist auf deutsche Schützenhilfe angewiesen

Charkow. Wenn es schon so weit gekommen ist, dass ein Trainer einzelne Stars in der Öffentlichkeit für die Niederlage verantwortlich macht, wenn er den branchenüblichen Pfad der Diplomatie verlässt, dann ist in etwa klar, wie es um die Gemütslage bestellt ist. Bert van Marwijk jedenfalls, Nationaltrainer der Niederlande, fand am Mittwoch zu vorgerückter Stunde deutliche Sätze, als er über das zuvor Geschehene referierte. Und das, obwohl einer wie van Marwijk nun wirklich nicht als ein Schlagzeilenlieferant gilt. Diesmal aber teilte er ordentlich aus.

1:2 (0:2) hatten die Niederländer gegen Deutschland verloren. Es war die zweite Niederlage im zweiten Gruppenspiel. Als großer Titelanwärter waren sie gestartet, nichts anderes als den ersten EM-Triumph seit 1988 erwarteten sie in der Heimat von ihrer "Elftal", die sich selbst gern auch als Gewinnergeneration produziert. Und nun das: Der Weltmeisterschaftszweite von 2010 steht vor dem Vorrundenaus.

Das erste Tor der Deutschen, motzte van Marwijk, sei aus dem Nichts entstanden. Und seine Spitzen hätten ja gut gespielt. "Aber von der Seite", sagte er und nannte seine Flügelzange Ibrahim Afellay und Arjen Robben, "von denen kam nichts. Wenn die beiden stark gewesen wären, hätten es die Deutschen schwerer gehabt." Rumms, das saß. Es gab diese eine Szene in der ersten Hälfte, die sinnbildlich stand für dieses Spiel. Robben hatte sich ein Duell mit Holger Badstuber geliefert und dabei eine recht unschöne Platzwunde am Kopf davongetragen. Er ließ sich tackern, spielte und blutete weiter. Aus der Ferne sah er, wie die DFB-Elf ihren ersten exzellenten Angriff vortrug: Müller, Schweinsteiger, Gomez, Tor. Danach brachte Robben nicht mehr viel zustande. Dass er auch noch knapp zehn Minuten vor Schluss ausgewechselt wurde, passte zu Robbens misslicher Lage. "Es war nicht mein Abend", bekannte der Bayern-Profi hinterher.

Die Generalabrechnung aus der Heimat jedenfalls folgte am Tag danach. "In der Bratpfanne von Charkow fiel Oranje auseinander wie ein zu lang geschmorter Braten", schrieb "De Volkskrant". "Keine Chemie, keine Spitze, keine Verteidigung, kein Mittelfeld, jedenfalls über lange Strecken des Spiels. Da ging eine Elf an Stress, an Unfähigkeit im Angriff zugrunde."

Das war der allgemeine Tenor, und angesichts der historisch gepflegten Rivalität wohl auch die bitterste Erkenntnis. Noch vor zwei Jahren gewannen die Niederländer Silber bei der Weltmeisterschaft, und nun hat sie die Entwicklung überrollt. Van Marwijk hält stur an seiner Südafrika-Formation fest. Klaas-Jan Huntelaar, der Bundesliga-Torschützenkönig, ist außen vor. Rafael van der Vaart ebenfalls. Stattdessen darf einer wie Kapitän und Van-Marwijk-Schwiegersohn Mark van Bommel ran, der mit seinen altbackenen Auftritten bei dieser EM wie ein Relikt längst vergangener Zeiten erscheint. Wer die Hauptschuld an dem drohenden Aus trage, fragte das Onlineportal Nusport, "van Marwijks Taktik" und "mangelhafte Qualität des Teams" waren die meistgeklickten Antworten.

Das einzig Kuriose an dieser missratenen Lage für die Niederländer ist, dass sie noch immer die Chance aufs Weiterkommen haben. Ein Sieg im letzten EM-Gruppenspiel am Sonntag über Portugal mit mindestens zwei Toren Vorsprung würde genügen, wenn Deutschland zeitgleich Dänemark bezwingt. "So lange es noch möglich ist, hoffen wir natürlich auch", sagt der frühere HSV-Star van der Vaart. Was sollte er auch anderes sagen? Es hatte dennoch nur etwas von Durchhalteparolen. "Wir brauchen Deutschland", sagte er noch. Dieser Satz mag für einen niederländischen Fußballspieler wohl ein recht eigenwilliges Gefühl sein.