Die deutsche Hintermannschaft ließ dem Gegner zu viele Spielräume, die Topstürmer Cristiano Ronaldo und seine Mitspieler aber nicht zu nutzen wussten

Vielleicht sollten wir gleich zu Anfang dieser Europameisterschaft mit einem Missverständnis aufräumen: Wer sechs rauschende Auftritte der deutschen Nationalelf in Polen und der Ukraine erwartet hatte, der wird wohl enttäuscht werden. Im Gegensatz zur WM 2010 gilt die Mannschaft jetzt - völlig zu Recht - als einer der Turnierfavoriten.

Das ändert die Einstellung der Gegner und die eigene. Wer etwas zu verlieren hat, agiert gewöhnlich passiver, weniger risikoreich. Der spielt so wie die Deutschen gegen die Portugiesen, der legt mehr Wert auf Ballbesitz, auf Kontrolle, der wartet auf seine Möglichkeiten und gibt dem gepflegten Querpass schon mal den Vorzug vor dem ambitionierten Anspiel in die Spitze. Insofern war das ein gelungener Auftakt. Der Start in ein großes Turnier fälltohnehin nie leicht, schon gar nicht nach einer nur kurzen Vorbereitungszeit.

Auch 2010 in Südafrika hat die deutsche Mannschaft nicht begeistert, wenn sie das Spiel gestalten musste, wenn sie gegen eine gut gestaffelte Abwehr Lücken erschließen sollte. In Erinnerung geblieben sind andere Begegnungen, die gegen England (4:1) undArgentinien (4:0), als unser Team nach frühen Führungstoren die Gegner auskontern konnte. Das Umschalten von Abwehr auf Angriff beherrscht derzeit keine Mannschaft besser als die deutsche; gegen Portugal kam diese Tugend indes selten zum Tragen. Dem deutschen Spiel fehlte es diesmal oft an Tempo, an Entschlossenheit. Zwingend wirkten nur wenige Aktionen. Dennoch - und das spricht für das Team, für seine Geduld und sein Selbstvertrauen - gab es die eine oder andere gute Torchance.

Die hatten auch die Portugiesen, vor allem in der Schlussphase. Deshalb fällt es mir schwer, in das allgemeine Lob über die deutsche Deckung einzustimmen. Da wurde den Portugiesen in der deutschen Hälfte doch zu viel Raum gelassen, den diese wiederum nicht konsequent nutzten. Zu ungenau und wenig durchdacht waren im entscheidenden Moment ihre Zuspiele, im Strafraum fehlte es ihnen dazu an Übersicht und Cleverness. Und hätte Pepe kurz vor dem Seitenwechsel den Ball nicht an die Unterkante der Latte, sondern ins Netz geschossen, wären die Deutschen in der zweiten Hälfte weit stärker gefordert gewesen.

Unsere Innenverteidiger Mats Hummels und Holger Badstuber brauchen sicherlich noch ein, zwei Spiele, um sich optimal aufeinander abzustimmen. Dass ihnen das gelingen wird, davon bin ich überzeugt. Die wichtigste Erkenntnis bleibt, dass auf Manuel Neuer im Tor Verlass sein wird. Das war zu erwarten, aber seine Leistung gegen Portugal dürfte seinen Vorderleuten noch mehr Sicherheit geben. Für ein Urteil über die Qualität der deutschen Hintermannschaft, in der Philipp Lahm nicht seinen besten Tag hatte, ist es aber zu früh. Die kommende Prüfung am Mittwoch gegen die Niederländer wird uns da schon mehr Aufschlüsse geben.

Portugal möchte ich ohnehin nicht als Gradmesser für unseren weiteren Turnierverlauf nehmen. Ich halte die Mannschaft für etwas überschätzt, und auch ein Cristiano Ronaldo ist nicht der Wunderstürmer, zu dem er gern verklärt wird. Dafür dass das Spiel auf ihn zugeschnitten ist, dass er alle Freiheiten hat und seine Mitspieler für ihn defensiv mitarbeiten, leistet er zu wenig für das Team. Gegen Deutschland hatte er nur drei bemerkenswerte Szenen.

Das ist ebenfalls das Los eines Mario Gomez. Er ist ein Vollstrecker, ein Stürmer wie Hollands Bundesliga-Torschützenkönig Klaas-Jan Huntelaar. Diese beiden Typen zeichnen sich nicht mit großen Laufleistungen aus, sondern durch ihre Effektivität. Das macht sie ja so wertvoll - und andererseits so angreifbar. Huntelaar wurde gegen Dänemark erst in der Schlussphase eingewechselt, Gomez spielte gegen Portugal von Anfang an. Das Ergebnis ist bekannt: Die Niederländer verloren, die Deutschen gewannen.