Dank Hummels und Badstuber war ausgerechnet die kritisierte Wackelabwehr gegen Portugal der Sieggarant. Mertesacker ist außen vor.

Lwiw/Danzig. Es war schon weit nach Mitternacht, als an diesem ereignisreichen Abend in Lwiw ein letztes Mal die Verteidigerqualitäten von Mats Hummels gefragt waren. Als einer der letzten Nationalspieler verließ der Dortmunder nach dem 1:0-Sieg gegen Portugal die Kabine der deutschen Mannschaft, marschierte mit langen Schritten, durchgestrecktem Rücken und Blick nach vorn durch die Katakomben der Lwiw-Arena und ließ die bereits wartenden Medienvertreter genauso abblitzen wie die portugiesischen Offensivkünstler in den vorangegangenen 90 Minuten. Ein Duell, ob auf oder abseits des Spielfelds, würde an diesem Abend, das war vom ersten bis zum letzten Moment spürbar, keiner gegen den 1,91 Meter großen und 88 Kilo schweren Abwehrhünen gewinnen können.

Am Sonntagmittag, etwas mehr als zwölf Stunden später, war von dem unüberwindbaren Defensivspezialisten lediglich das gleiche smarte Lächeln übrig geblieben, mit dem der 23-Jährige kopfschüttelnd am Vorabend sämtliche Fragen der Journalisten abgewehrt hatte. Zurück im Mannschaftshotel Dwor Oliwski genoss es Hummels sichtlich, noch einmal über das Auftaktspiel ("ein verdienter Sieg"), seine überraschende Nominierung für die Startelf ("Ich habe immer an meine Chance geglaubt") und seinen Anspruch, neuer Abwehrchef zu sein ("Das ist ein Begriff, den es nur in der Öffentlichkeit gibt"), zu referieren. Der Erfolgsschlüssel gegen Portugal, da wollte auch Hummels nicht widersprechen, war zweifelsohne, dass "wir als Mannschaft defensiv sehr gut standen".

Hummels und Badstuber bildeten ein destruktives Traumduo

Es gehört zu den Paradoxien des Fußballs, dass ausgerechnet Deutschlands Verteidigung, die in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder als Wackelabwehr verspottet wurde, allgemein als siegbringender Faktor in dem alles andere als hochklassigen, aber doch interessanten EM-Auftakt der Deutschen gegen Portugal angesehen wurde. "Unsere Priorität Nummer eins war die defensive Organisation. Zuletzt waren wir da ja ein wenig anfällig", gab Joachim Löw im Anschluss an den Sieg gegen glücklose, aber jederzeit gefährliche Portugiesen offen zu.

Dabei durfte sich der Bundestrainer selbst dafür loben, statt auf den zuweilen etwas hüftsteifen Per Mertesacker auf Hummels neben Holger Badstuber in der Innenverteidigung gesetzt zu haben. "Mats hat den Vorzug erhalten, weil er mit Rückenwind und Spielpraxis aus der Saison kam. Per fehlte die Wettkampfpraxis", erklärte Löw seine Entscheidung zugunsten des Dortmunders, der sich durch seinen starken Auftritt vorerst einen Stammplatz in der Viererkette erkämpft haben dürfte.

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Mit Hummels und Badstuber, der einen nicht weniger überzeugenden Job am Sonnabend ablieferte, hat Löw offenbar das Verteidigerpärchen gefunden, das er seit der Weltmeisterschaft in Südafrika so schmerzlich vermisste. Neben den beiden 23-Jährigen durften sich in den vergangenen beiden Jahren auch Mertesacker, Jerome Boateng, Benedikt Höwedes, Serdar Tasci und sogar HSV-Kapitän Heiko Westermann in Deutschlands Abwehrzentrale ausprobieren. Übrig geblieben sind nun ausgerechnet zwei, deren Väter einst gemeinsam den Fußballlehrerschein erworben hatten, die auch schon in der U14 von Bayern München zusammen auf dem Platz standen, die aber in der Nationalmannschaft kaum mal eine gemeinsame Bewährungsprobe erhielten. Bis jetzt.

"Auch gegen die Niederlande wird die Defensive ein wichtiger Baustein sein", sagte Neu-Stammspieler Hummels, der gleichzeitig zugab, dass die deutsche Elf in der Offensive noch zulegen müsse. So war gegen Portugal nur wenig von dem blitzartigen Kombinationsfußball zu sehen, den Bundestrainer Löw seit Jahren propagiert. Lukas Podolski war links damit beschäftigt, die Seite dicht zu machen und (den schwachen) Philipp Lahm gegen Nani und João Pereira zu unterstützen, während Thomas Müller auf der rechten Seite (den starken) Jerome Boateng gegen Fábio Coentrão und vor allem Cristiano Ronaldo helfen musste. Da Bastian Schweinsteiger und Mesut Özil nicht ihren besten Tag erwischten und folglich Mario Gomez bis zu seinem Tor nahezu teilnahmslos wirkte, kam das von Löw gewünschte Offensivspiel nie in Schwung.

"Am wichtigsten war diesmal, dass wir ausgezeichnet von der Offensive in die Defensive umgeschaltet haben", sagte Lahm, der aber auch die eigene Leistung hinterfragte: "Ich muss ganz klar sagen, dass es eines meiner schwersten Spiele überhaupt war. Ich habe mich heute sehr schwergetan." Besser soll es gegen die ebenfalls offensiv ausgerichteten Niederländer klappen, gegen die sich Bundestrainer Löw mehr Räume als gegen die defensiv ausgerichteten Portugiesen erhofft: "Der Sieg wird uns auch Sicherheit in unserem Spiel nach vorne geben."

Erneut gegen die Niederlande nicht dabei sein dürfte Mertesacker, der sich nach Hummels' Galaleistung bei dieser EM in einer neuen Rolle zurechtfinden muss. "Natürlich bin ich enttäuscht. Für mich ist das jetzt eine neue Situation", sagte der Londoner, dem Löw bereits am Freitag offenbart hatte, dass ihm nur ein Platz auf der Bank bleiben würde. Trotz der Enttäuschung über die unerwartete Degradierung wusste Mertesacker die eigenen Chancen im Hinblick auf den Mittwoch in Charkow realistisch einzuordnen: "Die Mannschaft, die gespielt hat, hat gute Argumente."