Norbert Dickel war Borussia Dortmunds Pokalheld 1989. Im Endspiel gegen die Bayern wird er den Fans des Meisters akustisch einheizen

Dortmund. Kurz vor dem Termin ändert Norbert Dickel noch einmal den Treffpunkt. "Ich mache heute meine Currywurst-Bude an der Reinoldikirche auf. Bitte lass uns das Interview da machen." Der Wagen in leuchtendem Schwarz mit den Initialen "ND" und dem Werbespruch "leckerer als lecker" ist nicht zu übersehen. Zwei Jahre, sagt Dickel, 50, habe er mit einem Freund an dieser Geschäftsidee getüftelt: "Ein Jahr haben wir allein damit zugebracht, unsere Currysoße zu entwickeln." In Deutschland bekannt geworden ist Dickel indes nicht als Gastronom, sondern als "Pokalheld von Berlin". 1989 bezwang die Borussia Werder Bremen im Finale überraschend mit 4:1, Dickel erzielte zwei Treffer. Am heutigen Sonnabend steht der BVB wieder im Finale - der Gegner heißt diesmal FC Bayern München. Dickel wird die Mannschaftsaufstellung der Borussia verlesen, so, wie er es vor jedem Heimspiel der Dortmunder macht.

Hamburger Abendblatt: Herr Dickel, welche Erinnerungen verbinden Sie mit dem 24. Juni 1989?

Norbert Dickel: Berlin in Schwarz-Gelb und dann Freude, pure Freude.

Kein Gedanke daran, dass Sie für den großen Triumph Ihre weitere Karriere zerstört haben? Sie haben trotz einer schweren Knieverletzung gegen Bremen gespielt. Danach haben Sie nie wieder richtig Fuß gefasst und mussten mit 27 Jahren Ihre Karriere als Sportinvalide beenden. War der Preis für den Pokal nicht doch zu hoch?

Dickel: Nein. Schauen Sie, ich darf als Stadionsprecher und Eventmanager für den Verein arbeiten, dessen größter Fan ich zugleich bin. Mehr geht nicht. Ich bin der glücklichste Mensch der Welt. Ohne den Pokalsieg hätte ich diesen Job doch nie bekommen.

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Dennoch muss die Invalidität für Sie eine Katastrophe gewesen sein.

Dickel: Ja, ich habe es ja auch ein Jahr lang immer wieder versucht. Aber es ging einfach nicht mehr. Mein rechtes Knie ist einfach total kaputt. Diese Erfahrung war für mich brutal. Fußball war für mich ja nicht ein Job. Sondern mein Leben.

Heutzutage sind die Fußballer sehr gut abgesichert. Wie war das bei Ihnen?

Dickel: Die Versicherungen haben wegen angeblicher Vorschäden an meinem Knie nicht bezahlt. Ich habe vier Prozesse geführt, alle verloren. Da kamen schon Existenzängste, zumal wir damals vor 20, 30 Jahren nicht annähernd so gut verdient haben wie die heutige Generation. Und meine Ersparnisse steckten in der Finanzierung unseres Eigenheims.

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Was passierte dann?

Dickel: Ich habe für ein Unternehmen in Wuppertal Fördertechnik für den Bergbau verkauft, vor allem im Osten. Ein Jahr später habe ich ein Küchenstudio eröffnet, Küchen geplant von morgens 8 Uhr bis abends 10 Uhr. Hat mir viel Spaß gemacht, und wir hatten richtig gute Umsätze. Doch dann habe ich mich mit meinem Geschäftspartner zerstritten. Als die Borussia 1992 davon hörte, rief der damalige Präsident Dr. Gerd Niebaum an und sagte mir: "Du wirst bei uns jetzt Stadionsprecher." Ich habe ihm gesagt, so etwas habe ich noch nie gemacht. Aber da hatte er schon wieder aufgelegt.

Haben Sie noch Erinnerungen an Ihren ersten Einsatz?

Dickel: Nur, dass ich unheimlich nervös war. Damals saß ich noch oben in der Sprecherkabine und musste neben der Aufstellung noch Werbesprüche aufsagen wie: "Stadtbäckerei Grobe backt ofenfrisch und lecker. Anerkannt gute Ware, Frische und Bekömmlichkeit garantiert Ihnen Ihre Stadtbäckerei Grobe. Nehmen Sie uns beim Wort!"

Jetzt stehen Sie unten auf dem Spielfeld und machen richtig Feuer.

Dickel: Ich war einer der ersten Stadionsprecher, die auf den Rasen gegangen sind. Dabei gab es noch nicht einmal drahtlose Mikros.

Sie haben die Achterbahnfahrt Ihres Vereins hautnah miterlebt. Den Aufschwung in den 90ern mit Meisterschaften und Champions-League-Sieg, die Fast-Insolvenz zur Jahrtausendwende bis zum sensationellen Comeback mit zwei Titeln in Folge. Was war Ihr prägendes Erlebnis?

Dickel: Der Tag der Gläubigerversammlung am 14. März 2005. Jeder von uns in der Geschäftsstelle wusste, dass es um alles oder nichts geht. Um unsere Arbeitsplätze, um den ganzen Verein. Auch mein Job wäre weg gewesen, und ich bin ein Mensch, dem wirtschaftliche Sicherheit sehr wichtig ist. Als ich dann gesehen habe, wie einer unserer Spieler ausgerechnet an diesem Tag in seinem fetten Hummer vorfuhr, war ich ganz kurz davor, handgreiflich zu werden.

Haben Sie in den Jahren zuvor geahnt, dass der Klub sich übernimmt?

Dickel: In der Geschäftsstelle haben wir schon gespürt, dass der Verein ein sehr großes Rad dreht. Die teuren Spieler, die Investitionen ins Stadion. Erst mit dem neuen Chef Hans-Joachim Watzke kam ein neues Denken in den Klub. Die Vorgänge wurden plötzlich transparent. Und es wurde richtig gespart. Auch wir Geschäftsstellenmitarbeiter haben auf Gehalt verzichtet. Die sportliche Wende kam dann 2008 mit Jürgen Klopp.

Was zeichnet ihn aus?

Dickel: Er ist ein überragender Trainer. Und ein richtig feiner Kerl, der immer für die anderen da ist. Ich habe ihn ganz höflich zu meiner Currywurstbuden-Eröffnung eingeladen, wusste ja nicht, ob er sich dafür in dieser Phase der Saison die Zeit nimmt. Seine Antwort hatte genau drei Wörter: Klar komme ich.

Ist das nach außen transportierte Bild einer Dortmunder Mannschaft, die sich wunderbar versteht und auch deshalb so guten Fußball spielt, wirklich mehr als nur ein Klischee?

Dickel: Ich sage Ihnen, das sind alles wunderbare Jungs. Tolle Fußballer, richtig gute Charaktere.

Sie sind ja auch Fan.

Dickel: Nein, ich merke es doch an meiner täglichen Arbeit. Wenn wir für unseren vereinseigenen TV-Kanal Spieler für Dreharbeiten brauchen, ist das nie ein Problem. Die Superstars unserer Mannschaft der 90er-Jahre hätten mir dagegen gesagt: "Nobby, jetzt lass mal stecken!"

Haben Sie Angst, dass auch wieder ganz andere Zeiten in Dortmund kommen könnten?

Dickel: Nein, überhaupt nicht. Wir haben in dieser Saison den Titel überragend verteidigt, was uns niemand zugetraut hat. Zudem können wir auch noch den DFB-Pokal holen. Mehr geht einfach nicht.

Ihre Begeisterung ist auch zu spüren, wenn Sie gemeinsam mit Reporter Boris Rupert die Auswärtsspiele im BVB-Netradio kommentieren. Im September mussten Sie eine hohe Strafe an den DFB zahlen, weil Sie im Gespann mit Rupert Schiedsrichter Wolfgang Stark als "Blinden, Arschloch und Korinthenkacker" beleidigt haben.

Dickel: Da sind wir in der Tat über das Ziel hinausgeschossen. Aber wer uns einschaltet, darf keine objektiven Kommentare erwarten. Wir sind Fans!

Gibt es noch so etwas wie Phantomschmerzen nach Ihrer Invalidität, eine Sehnsucht, in der wohl besten Mannschaft der Klubgeschichte mitzuspielen?

Dickel: So etwas hatte ich nur in den ersten Jahren nach dem Karriere-Aus. Da hat mein Bein am Spielfeldrand noch immer gezuckt, weil ich den Ball ins Tor treten wollte. Das habe ich dann aber schnell gelassen, weil das Knie sofort wehtat.

Hätte ein Norbert Dickel in Bestform bei Jürgen Klopp eine Chance gehabt?

Dickel (lacht): Na klar, ich war doch immer als Filigrantechniker bekannt. Aber im Ernst, ich weiß es nicht. Ich wusste als Stürmer trotz gewisser technischer Defizite immer, wo das Tor steht. Und ich war ein Spieler voller Leidenschaft. Solche Typen schätzt einer wie Klopp.

In Berlin werden die Fans Sie wieder mit dem Lied nach der Melodie von "Flipper" begrüßen: "Norbert, Norbert, Norbert Dickel, jeder kennt ihn, den Held von Berlin." Das Olympiastadion wird für Sie immer ein außergewöhnliches Stadion bleiben, oder?

Dickel: Definitiv. Die Erinnerungen an 1989 werden sofort wieder wach. An das Stadion in Schwarz-Gelb, an den unfassbaren Empfang am nächsten Tag. Es war ja für den BVB der erste Titel nach 23 Jahren. Noch einmal den Pott zu holen wäre ein ganz großer Traum.