Sebastian Vettel gerät vor dem Grand Prix von China unter Druck. Der abgehängte Weltmeister muss den Rückstand auf das dominierende Mercedes-Duo Nico Rosberg und Lewis Hamilton in Grenzen halten.

Hamburg/Shanghai. Riesige Wolkenkratzer, grelle Neonlichter und der zäh fließende Huangpu-Fluss – Sebastian Vettel wünscht sich beim Grand Prix von China in Shanghai am kommenden Wochenende endlich ein bisschen Abwechslung und will etwas anderes sehen, als die Rücklichter der dominierenden Mercedes. „Falls ich Zeit habe, möchte ich in die Stadt fahren und zum Bund gehen“, sagte der Vierfach-Champion vor dem vierten Rennen der Formel-1-Saison zu Plänen für einen Besuch der weltberühmten Uferpromenade in der chinesischen Boomtown an.

Doch Zeit zum Bummeln in Metropole mit über 20 Millionen Einwohnern wird Vettel kaum haben. Stattdessen wird ein Meeting mit seinen Red-Bull-Ingenieuren das nächste jagen – immer auf der Suche nach den fehlenden Sekunden auf die Silberpfeil-Piloten Nico Rosberg und Lewis Hamilton. „Wir waren einfach zu langsam. Das ganze Paket ist bei denen stärker“, sagte Vettel zuletzt nach der nächsten Enttäuschung in Bahrain über den aufmüpfigen Rivalen, „wir haben also noch einen weiten Weg vor uns.“

Vettel hat erst 23 mickrige Pünktchen auf dem Konto, belegt nur Platz sechs in der Fahrerwertung, und der Rückstand auf WM-Spitzenreiter Rosberg beträgt auch schon bemerkenswerte 38 Zähler – der Druck auf den Heppenheimer ist spürbar gestiegen.

Will der Titelverteidiger seinen fünften Triumph in Serie nicht schon im Frühling abschreiben, muss Vettel nach Jahren des Vorneweg-Fahrens beweisen, dass er seinem Team den Erfolg zurückbringen und nicht nur ein überlegenes Auto fehlerlos ins Ziel steuern kann. In der Vorsaison kniete der damalige Dauer-Sieger noch vor seinem Wagen nieder, in diesem Jahr gleicht sein Red Bull im Vergleich mit den Mercedes eher wie eine lahme Seifenkiste.

Vor dem Abflug ins Reich der Mitte spricht sich Vettel deshalb schon selber Mut zu. „Der Grand Prix von China ist immer noch etwas Besonderes für mich, denn da habe ich 2009 mein erstes Rennen mit Red Bull gewonnen“, sagt Vettel und hofft auf bessere Zeiten als zuletzt: „Durch die vielen breiten Stellen der Strecke gibt es viele Möglichkeiten zum Überholen.“ Einen dritten Platz hinter Rosberg und Hamilton würde der 26-Jährige aufgrund der herrschenden Kräfteverhältnisse wohl schon wie einen Sieg feiern.

Eine ungewohnte Situation für den Star der Szene. Aber was noch schlimmer ist: Beim bisherigen Branchenprimus sind die Hoffnungen nicht allzu groß, die Lücke zu Mercedes schnell schließen zu können. „Wir schätzen den PS-Vorsprung von Mercedes auf etwa 80 PS. Die Fahrbarkeit ist zudem noch viel besser als bei Ferrari und Renault. Das hat sich Mercedes durch Cleverness und wesentlich längere Vorbereitung erarbeitet“, sagte Red Bulls Motorsportberater Helmut Marko nach dem Bahrain-Desaster, als Vettel nicht über Platz sechs hinausgekommen war: „Da werden wir sehr zu kämpfen haben, dass wir nur annähernd in die Nähe von Mercedes kommen.“

Den Ausflug zum Bund kann sich Vettel daher wohl abschminken. „Mercedes einzuholen ist ein Prozess, das geht nicht mit einem Geniestreich“, sagte Marko. Bei Red Bull zählt jetzt nur noch harte Arbeit.