Mercedes-Pilot Nico Rosberg gehört vor dem Start in die Formel-1-Saison zu den Favoriten. Für den Titel hungerte er vier Kilo ab. Ein Gespräch über seine Titelambitionen.

Hamburg/Melbourne. Als der Franzose Alain Prost am 13. November 1988 in Adelaide mit einem Sieg im rot-weiß lackierten McLaren-Honda die erste Turbo-Ära der Formel 1 beendete, war Nico Rosberg gerade drei Jahre alt und noch im Tretauto unterwegs. An diesem Wochenende schließt sich in Melbourne, ebenfalls beim Großen Preis von Australien (Sonntag, 7 Uhr, RTL und Sky), ein Kreis. Die tiefgreifendste Regeländerung seit Jahrzehnten bringt der Vollgasbranche die Turbomotoren zurück. Und der Wiesbadener Nico Rosberg gilt im neuen Silberpfeil als einer der Titelfavoriten.

Mercedes scheint die Hausaufgaben über den Winter am besten bewältigt zu haben. „Ich habe schon das Gefühl, dass 2014 unser Jahr werden könnte“, sagt Rosberg, der gemeinsam mit seinem Teamkollegen Lewis Hamilton bei den Testfahrten in Jerez und Bahrain den stärksten Eindruck hinterließ. Und obwohl Sebastian Vettel und das Red-Bull-Team zuletzt große Schwierigkeiten hatten, weiß Rosberg: „Red Bull darf man nie abschreiben.“

Die Formel-1-Konstrukteure mussten die neue Saison mit einem leeren Blatt Papier beginnen. Statt Achtzylindertriebwerken mit 2,4 Litern Hubraum befeuern sechs Zylinder mit 1,6 Litern Hubraum und Turboaufladung die Autos. Dazu kommen zwei Systeme zur Energierückgewinnung, die beim Bremsen und aus den Abgasen abgeschöpft werden und auf Knopfdruck 160 Zusatz-PS freisetzen. Die schwierigste Aufgabe für die Fahrer allerdings ist der deutlich reduzierte Benzinverbrauch. Die Autos führen nur noch 100 Kilogramm Treibstoff (rund 130 Liter) mit. So wird aus stupider Tempobolzerei ein Spritsparwettbewerb.

Die Autos sind wegen der beschnittenen Aerodynamik hässlicher, wegen des Gewichts langsamer und rutschen noch mehr um die Strecke, als dass sie flüssig fahren. Eine Herausforderung für die Intelligenz der Rennfahrer. Einser-Abiturient Rosberg hat da gute Karten. Der Schlüssel zum Sieg, sagt Mercedes-Teamprinzipal Niki Lauda, „ist die Zuverlässigkeit“.

Für den Erfolg sind die Rennfahrer bereit, an ihre Grenzen zu gehen. Weil das Gewicht wieder eine größere Rolle spielt, hungerten sich die athletischen Rennfahrer noch mehr Körpermasse ab. Der 28-jährige Nico Rosberg verlor mehr als vier Kilogramm. Schlank zum Titel? Über Chancen und Aussichten sprach Rosberg noch vor dem Abflug nach Melbourne.

Hamburger Abendblatt: Wenn Sie an diesem Wochenende in Melbourne aus der Garage rollen, ist fast alles an Ihrem Silberpfeil-Rennwagen neu. Verstehen Sie das neue Auto schon?

Nico Rosberg: Ja, das tue ich – im weitesten Sinne, so wie ich es verstehen muss. Ich weiß zum Beispiel, was ich mit meinem Getriebe anstellen kann, wie ich die Motorbremse einstelle. Aber wie jetzt mein Getriebe die einzelnen Gänge reinhaut, da steige ich aus. Das muss ich auch nicht wissen. Insgesamt ist unser Sport schon so eine kleine Raketenwissenschaft. Ich habe unzählige Knöpfe und Einstellmöglichkeiten am Lenkrad. Aber durch die Simulator-Arbeit und die Winter-Tests ist das inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen.

Die Aufgabe im Cockpit ist zweifellos anspruchsvoller geworden. Mussten Sie das Rennfahren neu lernen?

Rosberg: Nein, das ist etwas übertrieben. Es ist nur so, dass unser Sport in diesem Winter die größte Regel-Revolution aller Zeiten vollzogen hat. Vor ein paar Jahren hat die Fia (der Automobil-Weltverband, d. Red.) gesagt, wir müssen etwas ändern. Jetzt müssen alle Teams auf kleinere Motoren, Hybrid-Antrieb, einen Turbolader und weniger Spritverbrauch umstellen. Wir haben jetzt statt den bislang 150 Kilo Benzin nur noch 100 für das ganze Rennen zur Verfügung. Wir haben aber mehr Power, sind also effektiver geworden. Das ist sehr interessant. Diese ganze Technik mag ich. Ich fuchse mich da gern rein mit den Ingenieuren. Jetzt zahlt sich aus, dass ich in Mathe und Physik früher gut aufgepasst habe und das sogar meine Lieblingsfächer waren.

Es scheint so, als gebe sich die Formel 1 einen grünen Anstrich. Ist sie mit dem Schwerpunkt Nachhaltigkeit und Effizienz auf dem richtigen Weg?

Rosberg: Ich denke, da sind wir am Puls der Zeit. Wir sind effektiver, quetschen mehr Leistung aus jedem Tropfen Benzin. Das ist doch Formel 1, die Königsklasse. Es muss die Spitze des Motorsports sein. Und das ist sie.

Aber vermissen Sie nicht den Sound der alten Achtzylindermotoren?

Rosberg: Es ist anders. Komisch, dass man plötzlich die Reifen in den Kurven quietschen hört. Das hörte ich das letzte Mal in einer der Nachwuchsserien.

Mercedes hat bei den Testfahrten überzeugt. Sie werden in die Favoritenrolle gedrängt. Schmeckt Ihnen das?

Rosberg: Das ist nicht in meinem Fokus, und du kannst es auch nicht beeinflussen, da es von außen kommt. Wir haben generell eine gute Stimmung im Team. Die Vizeweltmeisterschaft hat uns alle noch einmal zusätzlich motiviert, noch eine Schippe draufzulegen.

Und muss Ihr Ziel dann in diesem Jahr nicht der Titel sein?

Rosberg: Grundsätzlich hat man das ja jedes Jahr. Aber ich bin von Tag eins an dabei beim Silberpfeil-Projekt der Neuzeit. Nee, eigentlich noch vorher. Das Team war 2010 noch gar nicht als Mercedes-Team gegründet, da hatte ich schon einen Vertrag mit Ross Brawn gemacht. Daher kann ich die Entwicklung sehr gut beobachten. Wir haben uns wahnsinnig verbessert auf allen Ebenen. Das ist wirklich ein tolles Projekt. Dafür bin ich sehr dankbar.

Von dieser Saison an fahren Sie mit einer permanenten Startnummer. Warum haben Sie die Nummer 6 gewählt?

Rosberg: Mein Vater (Keke Rosberg, Weltmeister 1982, d. Red.) sagte mir im Winter: Komm, du musst auch die 6 nehmen, die hat mir Glück gebracht. Da war ich noch nicht so überzeugt. Dann kam meine Verlobte Vivian und sagte: Nimm die 6, das ist meine Glückszahl. Da dachte ich, okay, warum nicht? Ich erinnerte mich dann, dass ich eine Meisterschaft in den Nachwuchs-Serien auch mit der 6 gewonnen hatte. Also ist es jetzt die 6, ich hoffe, sie ist auch ein gutes Omen für mich.