Der Formel-1-Weltmeister gewinnt auch in Japan, der vierte Titel ist ihm nur noch theoretisch zu nehmen. Damit kratzt Vettel an Schumachers Rekorden. Eine Personenbeschreibung.

Hamburg/Suzuka. Bitte schön, sehen so heute Helden aus? Helden sind doch für gewöhnlich kräftige, mächtige Kerle, und sie tragen, wenn überhaupt, imposante Bärte, die ihrem Gesicht den Ausdruck von Unerschrockenheit verleihen sollen. Von Mut und Einzigartigkeit. Undurchdringlich, manchmal geheimnisvoll. Aber pubertär doch nun wirklich nicht. Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel aber sieht seit ein paar Wochen aus wie ein Zottelbär, vielleicht braucht er ja einfach nur noch ein bisschen mehr Zeit, aber so ist mit diesem dürftigen Wildwuchs gewiss kein Staat zu machen. Er ist, sagen wir es präzise, so gesehen eines Helden unwürdig.

Vettel ist klug genug, das zu wissen, es muss also eine besondere Absicht dahinterstecken. Seine Art Kompromissvorschlag an die Leute da draußen, an die Kollegen hier drinnen, soll sagen: Er ist eben doch nicht perfekt, nicht unschlagbar, zumindest was die Optik anbelangt. Auch nicht mehr Everybody‘s Darling. So kann sich Fernando Alonso, der stolze Spanier, ausgiebig an seinem penibel gestylten Ziegenbärtchen erfreuen, während Zottel-Vettel ihm die Punkte klaut, Lewis Hamilton, dieser eitle Fatzke, verliert entscheidende Sekunden vor dem Spiegel, und „Teamkollege“ Mark Webber ist im direkten Vergleich eh ein ausgesprochener Smartie, nicht mehr, nicht weniger; die Frauen schmelzen dahin, aber die Teamchefs geben ihm keinen neuen Vertrag mehr, vier Rennen noch, und für den Australier ist Schluss mit lustig in der Formel1, trotz seiner taktischen Hilfestellungen beim Grand Prix von Japan an diesem Sonntag .

Und Vettel? Der schert sich nicht um Eitelkeiten. Schreit auch nicht lang „hier!“, wenn Heldenrollen zu vergeben sind. Er gewinnt einfach ein Rennen nach dem anderen, sagenhafte neun schon in dieser Saison, dank cleverer Taktik und überragender Fahrkunst zum vierten Mal bereits in Suzuka, also eigentlich fast immer. Das macht summa summarum 90 WM-Punkte Vorsprung vor Alonso, in 14 Tagen wird der Sack dann zugemacht, Rang fünf reicht Vettel in Indien schon zum vierten Weltmeistertitel hintereinander und das im zarten Rennfahrer-Alter von 26 Jahren. Bald wird er wohl auch Michael Schumacher eingeholt haben, sieben WM-Titel sind bei Vettels Tempo durchaus greifbar, sieben Weltmeisterschaften, 91 Grand-Prix-Siege. Schumachers Rekord-Bilanz schien der Formel-1-Welt so unerreichbar wie im Fußball Gerd Müllers 365 Bundesligatore. Pustekuchen.

Vettel ist schon auf dem Weg. Dass kein Rennfahrer alleine siegt, ist eine Binse. Aber die besten Techniker um sich zu scharen, ist auch eine Qualität. Und solange ein Genie wie Adrian Newey ihm jedes Jahr das beste Auto der Formel1 baut, ist die Einstellung des Schumacher-Rekordes exakt vorherzusagen, im Herbst 2016 wird wohl es so weit sein.

Aber ob Sebastian Vettel in drei Jahren diesen Heldenstatus wieder erlangt haben wird, ist allgemein fraglich, ihm persönlich aber völlig egal. Immerhin, die Landsleute mögen ihn über die Maßen, es wäre ja auch noch schöner. 96 Prozent der Deutschen kennen und mögen Sebastian Vettel, damit hat der junge Champion den Altmeister Michael Schumacher schon abgehängt, und so ungefähr zu Franz Josef Strauss in Bayern aufgeschlossen. Dass er davon herzlich wenig zu spüren bekommt, liegt wohl unter anderem auch daran, dass er seinen Beruf vorwiegend im Ausland ausübt. Ob sich unterm Helm dann anderthalb Stunden lang tatsächlich Sebastian Vettel einfindet, nun denn, möglich ist alles, aber wahrscheinlich nichts. Genaues sieht man halt nicht, und ob da nicht vielleicht doch gelegentlich Michael Schumacher am Werkeln ist…?

Gegner reagieren weinerlich

Die Konkurrenz gibt sich weinerlich bis zuletzt, versagt Vettel immer wieder den Respekt, animierte in Singapur und Monza das Publikum zum blöden Pfeifkonzert, eine Schande war das, und Vettel verstand ob so viel Unsportlichkeit die Welt nicht mehr. Ist nicht Ferrari das Team mit dem größten Budget, langt nicht auch Mercedes in die Vollen, baut nicht Renault schnelle Motoren auch für die anderen? Es gibt also keinen zwingenden Grund dafür, dass der junge Deutsche allen vor der Nase herumfährt, außer: Vettels Talent, Vettels Ehrgeiz, Vettels Selbstbewusstsein. Vettels Fleiß, Vettels Klasse.

Mit einem coolen Spruch wollte er sich für die Überlegenheit seines Teams rechtfertigen: „Während die anderen zu Hause schon wieder die Eier in den Pool hängen, sind wir noch am Auto und tüfteln.“ Über Geschmack lässt sich streiten, doch in der Sache lag Vettel wieder mal richtig. Dass sich die Kollegen hernach gerierten wie Mimosen, bestätigte ihn einmal mehr, die ohne Eier nämlich heulten am lautesten.

Sebastian Vettel gibt den Souverän, er müht sich nach Kräften. So richtig die Kurve gekratzt haben wird er aber erst, wenn ihn auch seine Feinde lieben. Dann kann wohl auch das Zottelbärtchen wieder runter, es wird allerhöchste Zeit.

Peter Stützer, 59, arbeitete 1981 für das Abendblatt, später als Fernsehmoderator, heute als freier Autor