Weltmeister Sebastian Vettel fällt im achten Saisonrennen zum ersten Mal aus. Doch die deutschen Formel-1-Fans dürfen sich über den Sieg von Mercedes-Pilot Nico Rosberg freuen. Serie von Reifenschäden sorgt für Unruhe.

Silverstone. In Runde 18 wurden in Silverstone Helden geboren. Zu Dutzenden huschten Streckenposten in orangefarbenen Warnwesten auf die Strecke, klaubten Splitter und Gummifetzen auf. Hinter ihnen schrubbten Kehrmaschinen über den Asphalt, während das Safety Car die Meute der Formel-1-Boliden im Zaum hielt. Über den Boxenfunk warnten die Teamchefs ihre Piloten vor angeblich scharfkantigen Randsteinen.

So ganz genau kannte niemand die Ursache der kurios-gefährlichen Häufung identischer Reifenschäden im ersten Renndrittel. Nachdem binnen weniger Minuten Lewis Hamilton, Felipe Massa und Jean-Eric Vergne die linken Hinterreifen um die Ohren geflogen waren, ordneten die Veranstalter des Großen Preises von Großbritannien vorsorglich eine Zusatzreinigung der Strecke an.

Nico Rosberg ärgerte sich nur kurz. Zwar wurde die Boxenstrategie des Mercedes-Piloten durch die Neutralisierung durcheinandergewirbelt, allerdings blieben seine Reifen bis zum Ende des Rennens heil und trugen ihn als Ersten vor Mark Webber und Fernando Alonso über den Zielstrich. „Das ist ein besonderer Tag“, jubelte Rosberg, der 35 Jahre nach seinem Vater Keke den britischen Grand Prix gewann: „Vor allem freut es mich, dass wir hier beim Heimspiel unseres Teams gewinnen konnten.“ Am Abend musste Rosberg allerdings noch kurz um seinen Sieg bangen. Die Rennkommissare untersuchten einen Vorfall kurz nach dem Start, beließen es aber bei einer Verwarnung. Rosberg soll das Warnsignal der gelben Flaggen missachtet haben.

Damit beschenkte sich der gebürtige Wiesbadener drei Tage nach seinem 28. Geburtstag nicht nur selbst. Er linderte auch Mercedes’ Ärger über das Pech seines Stallgefährten Hamilton, der nach seinem Reifenschaden vom ersten auf den letzten Platz zurückgefallen war und nach einer bemerkenswerten Aufholjagd noch Vierter wurde. „Ich habe keine Lust, mein Leben für diese verdammten Reifen zu riskieren“, schimpfte der Brite im Ziel. „Dass solche Probleme auftreten, ist inakzeptabel.“ Auch Mercedes-Formel-1-Aufsichtsratschef Niki Lauda zürnte: „Da kannst du tot sein. Irgendwo hört der Spaß auf.“ Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery erklärte, man habe bereits mit der Analyse der Vorfälle begonnen.

Die Silberpfeile dürften sich abseits des Reifenspektakels freuen, dass Rosberg mit seinem dritten Karrieresieg den Frust bei Red Bull verstärkt.

„Fünfter Gang hat sich verabschiedet“

Das Team des Titelverteidigers war ob des Ausfalls von Weltmeister Sebastian Vettel zehn Runden vor Schluss ohnehin schon bedient. „Es war ein Getriebeschaden, wir wissen noch nicht, warum“, sagte der 25-Jährige. „Es kam sehr plötzlich. Ursprünglich war alles in Ordnung, dann wollte ich vom fünften in den sechsten Gang hochschalten, der fünfte hat sich dabei verabschiedet.“ Als wäre der erste technisch bedingte Ausfall der Saison nicht schon ärgerlich genug, übernahm ausgerechnet ein Mercedes-Pilot das Gewinnen.

Die vergangenen Tage hatten die Vertreter der beiden Teams vornehmlich dazu genutzt, sich gegenseitig anzuzicken. Er rede nur noch mit Niki Lauda und nicht mehr mit Motorsportchef Toto Wolff, hatte Red-Bull-Berater Helmut Marko vor dem Rennen verkündet. Es war die Replik auf die Provokation seines Landsmannes, der sinngemäß gesagt hatte, ein Brauseschuppen wie Red Bull könne auf Dauer ja wohl kein ernsthafter Konkurrent für den Weltkonzern Mercedes sein.

Der Streit brodelt seit dem Urteil in der Reifenaffäre nach den privaten Testfahrten von Mercedes und Pirelli, das Red Bull für unangemessen milde hält. Seither bemühen sich beide Teams, die Kluft, die sie trennt, weiter zu vertiefen. Der Ausgang des achten Saisonlaufs dürfte das nur noch beschleunigen.

Auf dem Podest kam es immerhin zu einem Anflug von Diplomatie, als Red-Bull-Pilot Webber seinem Nebenmann Rosberg gratulierte. Für den Australier war es die zweite Genugtuung an diesem Rennwochenende, nachdem er am Donnerstag seinen Ausstieg aus der Formel 1 am Saisonende verkündet hatte. Bei den Red-Bull-Bossen führte dieses Manöver zu Verstimmung, weil sie sich nicht rechtzeitig eingeweiht gefühlt hatten.

Nach seiner furiosen Fahrt beim letzten Auftritt auf seiner Lieblingsstrecke konnte sich Webber daher eine Spitze in Richtung des ungeliebten Noch-Teamkollegen nicht verkneifen. „Ich weiß nicht, wo das nächste Rennen ist“, sagte er schelmisch mit Blick auf Sebastian Vettels Heim-Grand-Prix auf dem Nürburgring am kommenden Sonntag: „Aber ich würde es zu gern gewinnen.“

Immerhin erwies Webber Vettel den womöglich noch sehr wertvollen Dienst, Ferrari-Star Alonso drei WM-Punkte wegzuschnappen. Dennoch hat der Spanier mit nun 21 Zählern Rückstand wieder Tuchfühlung zum Spitzenreiter aufgenommen. „Ich bin sehr zufrieden mit den Punkten“, sagte der von Rang neun gestartete Alonso: „Aber nicht mit der Leistung des Autos an diesem Wochenende.“

Vor allem aber sollte er glücklich sein, dass er körperlich unversehrt in die Eifel fahren kann. Fünf Runden vor Schluss explodierte der linke Hinterreifen am McLaren des vor ihm fahrenden Mexikaners Sergio Perez – dasselbe Mysterium wie bei dem unglücklichen Trio zu Beginn. Die umherfliegenden Gummifetzen verfehlten Alonso nur um Haaresbreite.