Der Titelverteidiger betreibt beim WM-Start der Formel 1 in Melbourne Schadensbegrenzung und fährt auf Platz zwei hinter dem Briten Jenson Button.

Melbourne. Am Lächeln des Siegers beim Großen Preis von Australien hat sich nichts geändert, Breitwandformat wie gehabt. Erster Gewinner des neuen Formel-1-Jahres sein, das ist etwas Besonderes. Nur strahlt diesmal ein anderer, aber wie. Jenson Button leiht sich auch gleich Sebastian Vettels ureigene Geste auf dem Podium. Ein Fingerzeig, dass der britische McLaren-Pilot überlegen den Saisonauftakt gewonnen, seinen 13. Grand-Prix-Erfolg insgesamt nach Hause gefahren hat. Auch Titelverteidiger Vettel zeigt die Zähne und blendende Laune, obwohl er nichts mehr hasst als zu verlieren. Zweiter mit 2,1 Sekunden Rückstand auf Button - das hätte schlimmer kommen können, viel schlimmer. Der Heppenheimer hat vom enttäuschenden sechsten Startplatz aus, dem schlechtesten seit September 2010, standes- und landesgemäß die Känguru-Taktik angewandt: durchboxen und nach vorn hüpfen.

Zum ersten Mal seit 23 Rennen hat kein Red-Bull-Rennwagen eine Runde eines Grand-Prix-Rennens angeführt. Das ist gewiss nicht das Ende der Ära Vettel/Webber, es zeigt nur, dass das Risiko der Bullen, erst am letzten Testwochenende eine nagelneue Aerodynamik am RB8 zu installieren, etwas zu groß war. Aber wohl auch notwendig. Denn der Chrompfeil von McLaren ist nicht nur das schönste Auto im Feld, sondern auch das schnellste, seine Rundenzeiten waren zwischen einer halben und anderthalb Sekunden pro Runde besser als die der nächsten Verfolger.

Sieger Button frohlockte daher auch, nicht nur weil er das interne Prestigeduell gegen seinen von der Poleposition gestarteten Landsmann Lewis Hamilton (am Ende verbitterter Dritter) so souverän gewonnen hat: "Dieser Sieg zeigt, wie wichtig der Test-Winter war. Es wird ein großes Jahr für die Formel 1, eine enorme Wettbewerbsdichte, das ist schön zu sehen."

Die Autos sind nervöser geworden, die Auseinandersetzungen auf und neben der Strecke werden härter.

Die 58 Runden von Melbourne waren nur am Anfang und am Ende richtig packend, aber immer spannend. Und das Feld rückte tatsächlich wie von den Regelhütern gewünscht zusammen - nicht nur durch den Safetycar-Einsatz anfangs der zweiten Rennhälfte. Eine Menge Außenseiter mischten die Top Ten durch, Fernando Alonso peitschte den indiskutablen Ferrari dank seiner Hingabe von zwölf auf fünf, Kimi Räikkönen seinen Lotus beim Comeback aus der 17. Startposition noch auf sieben.

Sebastian Vettel machte vier Plätze gut, er hatte sich nach der ungewöhnlichen Qualifying-Misere standhaft geweigert, das böse Wort "Desaster" überhaupt anzunehmen: "Kein Grund zur Panik." Der 24-Jährige ist auch der amtierende Weltmeister im Positivdenken, und er zelebrierte den zweiten Platz in Gesten und Worten wie einen seiner bisher 21 Siege. "War das nicht ein großartiges Rennen? Das hat richtig Spaß gemacht", sagte er in die Runde, "es war nicht ganz einfach von Rang sechs aus. Aber ich bin dann ziemlich gut in den Rhythmus gekommen, das Auto liegt im Rennen gut. Ich habe eine Menge Kämpfe bestanden, das war sehr positiv für uns heute. Platz zwei war unser Maximum, das hat uns gut getan heute, wir verstehen das Auto etwas besser."

Jenson Button sorgte schnell für klare Verhältnisse, mit dem Start war der Sieg an ihn vergeben. Die Fahrweise des Briten kommt einem französisch vor, sanft und fordernd wie einst "Professor" Alain Prost. Immer kontrolliert und zur Not mit dem Bewusstsein, zur Not noch zulegen zu können. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh sprach von einer "weltmeisterlichen Leistung".

Sebastian Vettel schnappte sich erst den am Start auf Rang vier geschossenen Nico Rosberg und ging außen vorbei. "Ich habe nicht viel nachgedacht, einfach die Lücke gesehen und bin auf der letzten Rille durch", beschrieb er die Situation. Bis zur elften Runde studierte der Weltmeister die innovative Heckpartie des Mercedes von Altmeister Michael Schumacher. Dann jagte er dem siebenmaligen Champion kampflos den dritten Rang ab, der Mercedes rollte ganglos auf dem Grünstreifen aus. Kollege Rosberg wurde im allerletzten Umlauf noch der Reifen aufgeschlitzt, er schlitterte nur als Zwölfter in die Wertung.

Das Glück blieb Titelverteidiger Vettel treu. Der Sprung auf Platz zwei gelang dem von der Box befeuerten Weltmeister ("Push! Push! Push!") in Runde 37, als der Russe Witali Petrow seinen Caterham an unglücklicher Stelle an der Mauer parkte und das Rennen wieder neutralisiert werden musste. Lewis Hamilton kam da gerade aus der Box, ihm wurde schon vorsichtiges Fahren angezeigt, Vettel konnte noch voll fahren, ging mit dem Safetycar-Signal zum Reifenwechsel. "Wie auf der A 5 im Stau", fühlte sich Vettel, als ein gewaltiger Abschleppwagen zur Bergung neben den Rennwagen auf die Piste fuhr. Beim Neustart in Runde 42 war er schon Zweiter. Er ist sich allerdings sicher, dass er den Briten im McLaren auch so geschnappt hätte. Reihenweise jagte er nun die eigene Rundenbestzeit, aber Button war unerreichbar. Der britische Weltmeister von 2009 fuhr zum dritten Mal (2009, 2010, 2012) als Sieger über die Ziellinie im Albert Park. "Ich habe in all den Jahren immer das gleiche Schlafzimmer gehabt", verriet Button sein Erfolgsgeheimnis

Aus der gemeinsamen Ausgelassenheit bezieht Vettel das nötige Adrenalin für den schon am nächsten Wochenende anstehenden Großen Preis von Malaysia: "Das gefällt uns natürlich nicht, wenn uns McLaren auf der Nase herumtanzt ...", sagte er. "Aber Jenson ist ein fantastisches Rennen gefahren. Er war heute unschlagbar." Die McLaren seien das Maß aller Dinge.

Und doch scheint am Ende alles, was in Melbourne anfänglich noch schiefgelaufen ist, verdrängt: "Ich richte meine Augen immer nach vorn." Die Richtung ist klar, denn auf Dauer kann er sich mit zweiten Plätzen nicht anfreunden. So etwas geht gegen die Berufsehre eines Titelverteidigers.