Hamburg. … und was zum Kuckuck hat mich als Volontärin in die Sport-Redaktion des Abendblatts getrieben? Vielleicht eine stille Sehnsucht.

Ein dreckiger, runder Kunststoff-Klumpen rollt über den Rasen und verliert seine Unschuld, sobald er durch ein rechteckiges Metallgerüst gepfeffert wird. Während es auf der einen Seite des Stadions jubelt und schreit und sich glückserfüllte Menschen in den Armen liegen, bricht auf der anderen Seite eine halbe Welt zusammen – jedenfalls gefühlt. Menschen verstecken ihren enttäuschten Gesichtsausdruck hinter den Händen, andere drücken ihre Wut mit aggressiver Gestik aus. Und wieder andere weinen sich an dem Abend eines verlorenen Spiels in den Schlaf, da bin ich mir fast sicher.

Faszination Fußball: ein Universum, das für viele Menschen in Hamburg Tore zu ungeahnten Gefühlswelten öffnet – und Ahnungslose wie mich verwirrt zurücklässt und den Eingang versperrt. Wieso berührt der Weg dieses runden Balls so viele Menschen? Warum liegt ihm die Kraft inne, Menschen einer Stadt zusammenzubringen – und auch zu spalten? Und auch wenn ich mich hiermit für den Rest meines Volontariats ganz offiziell für jegliche Fußballartikel diskreditiere: Warum, zur Hölle, wollte ich als unwissender Fußballvollpfosten in die Sport-Redaktion des Abendblatts?

Hardcore-Fans kommen sogar zum Training „ihrer“ Spieler

Die Frage brennt weiter lichterloh in meinem Kopf, während ich mir am HSV-Trainingsplatz neben dem Volksparkstadion nicht nur die Nase abfriere. Es ist kalt, der Himmel ist grau, und als ob es nicht schon schön genug wäre, springen die Rasensprenger an und verpassen mir ungefragt eine seichte Dusche. Ich bin nicht alleine hier: Etwa 30 Menschen haben sich am Zaun zusammengefunden, um die Spieler des HSV bei ihrem Training zu beobachten. An einem stinknormalen Tag reisen sie also zum Allerwertesten der Hansestadt, nur um „ihr“ Team hin- und herrennen zu sehen.

Natürlich lässt es sich in einem Land wie Deutschland nicht ohne jeglichen Kontakt zum Fußball aufwachsen: Auch ich konnte mich dem nicht entziehen. Meine Erinnerungen haben jedoch weniger mit dem Sportlichen als mit dem Drumherum zu tun: früher mit Familie, Spareribs und Cola – heute mit Freunden, Veggie-Wurst und Bier. Das, was auf dem Bildschirm passiert – oder sehr selten mal im Stadion –, war für mich eher Nebensache und Zeit, um mich in meinem eigenen Kopf verlieren zu können.

Das Klischee erfolgreich erfüllt: Als Frau keine Ahnung von Fußball haben

Ganz schön klischeehaft, als Frau keinen Schimmer von Fußball zu haben – doch unter den Unwissenden befinden sich aus eigener Erfahrung auch männliche Wesen: Die trauen sich vielleicht nur seltener, das bekannt zu geben. Und trotz meiner verqueren Wahrnehmung möchte ich versuchen, die Begeisterung für den Fußballkosmos zu verstehen.

Zurück zum Trainingsplatz: Aus belebten Gesprächen zweier kleiner Jungs in HSV-Montur erfahre ich, dass der Mann, der känguru-artige Sprungübungen verrichtet, Daniel Heuer Fernandes heißt und Torwart der Mannschaft ist. Das aufkommende Schamgefühl über meine Ahnungslosigkeit unterdrücke ich erfolgreich.

Mit den Rivalitäten zwischen HSV und St. Pauli ist nicht zu spaßen

Eigentlich wollte ich, als kleines, provokantes Späßchen, einen Beutel mit St.-Pauli-Aufdruck mit zum HSV-Training nehmen. Ich war dem Teil meines Gehirns, welches wohl die Form eines Siebs angenommen hat, noch nie so dankbar: Denn außer mir hätte das wohl niemand der hier Anwesenden so witzig gefunden.

Im Gegenteil: Nur am Rande lausche ich einem Schlagabtausch zwischen zwei am HSV-Merch erkennbaren Fans. Nachdem der eine wohl einen nicht sehr positiven Kommentar über den Verein gebracht hat, dreht sich ein anderer empört um und bittet, den Mund zu halten, sonst könne er ja zu St. Pauli gehen. Ein Hauch von Aggression liegt in der Luft. Mit einigen Fußballfans ist wohl wahrlich nicht zu spaßen.

Trainer Baumgart: Für viele die große Hoffnung, für mich ein sprechender Baum

Immerhin: Die Trainings der Mannschaften zu beobachten ist Teil des Journalistenjobs, also stand ich buchstäblich nicht umsonst hier. In einer anschließenden Gesprächsrunde mit dem neuen Trainer Steffen Baumgart durfte ich hautnah miterleben, dass der Umgangston im Fußball wahrlich ein anderer ist. Während ich bei dem Namen Baumgart noch in gedanklichen Assoziationen an „Baumbart“ hängen bleibe – dieser sprechende Baum von „Herr Der Ringe“ –, schießen die aufgeklärten Reporter mit ihren Fragen los.

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Dass man wirklich keine Ahnung von einem Thema hat, merkt man, wenn man nicht mal die Fragen versteht: Viererkette, Sechser – hä? Während alles Inhaltliche für mich also im Nebel bleibt, habe ich Zeit, auf die Art der Kommunikation zu achten. Der Umgangston ist rau und erscheint weichen Herzen wohl ziemlich harsch – wenn zum Beispiel abwertende Gegenfragen oder geringschätzige Lacher kommen.

Aber hey, sowohl den Job eines Profifußballtrainers als auch den des Journalisten sucht man sich wohl nicht vordergründig wegen der liebevollen Atmosphäre und zwischenmenschlichen Zärtlichkeiten aus. Zudem registriere ich, dass alle Anwesenden die Atmosphäre wohl als ziemlich normal empfinden.

Faszination Fußball: Eine Leidenschaft, die ich gerne auch mal fühlen würde

Knapp eine Woche im Sportressort ist nun vergangen, und das Geheimnis rund um die Fußballfaszination konnte ich noch nicht lösen. Im Gegenteil, ich habe noch mehr Fragezeichen im Kopf. Das nächste Mal, wenn ich Menschen in Fan-Kleidung auf dem Weg zum Stadion oder zur Sportkneipe begegne, werden sie wohl weiterhin fragende Blicke von mir erhalten. Und vielleicht ist auch ein wenig Neid dabei: Denn sie tragen eine Leidenschaft in sich, die ich so wohl niemals nachfühlen kann – auch wenn ich es wollte.