Lüneburg. Erik Röhrs soll Lüneburg zum Europapokalsieg schlagen. Gegner Rzeszow ist aber hoher Favorit. Wie dennoch ein Sieg gelingen kann.

Es ist das bisherige Highlight der Vereinsgeschichte – und gleichzeitig die maximale Herausforderung. Wenn die Spielgemeinschaft Volleyball Gellersen (SVG) Lüneburg am heutigen Dienstag (19 Uhr/kostenpflichtig bei eurovolley.tv) im Hinspiel des CEV-Europapokalfinales gegen den polnischen Spitzenclub Asseco Resovia Rzeszów aufschlägt, stehen auf der anderen Seite des Netzes Welt-, Europameister, Olympiasieger und Champ­ions-League-Gewinner.

SVG Lüneburg: Halle war in einer Stunde ausverkauft

Die 3200 Plätze in der LKH Arena an der Lüner Rennbahn waren im Internet innerhalb einer Stunde verkauft, mehr als 6000 wollten ein Ticket. „Erstes Ziel von uns ist es, die Sätze eng zu gestalten. Daraus können dann die nötigen Chancen erwachsen“, sagt Cheftrainer Stefan Hübner (48).

Im Halbfinale des zweithöchsten europäischen Volleyball-Vereinswettbewerbes war den Lüneburgern genau das gegen Arkasspor Izmir gelungen. Nach einer 0:3-Niederlage im Hinspiel und einem 3:1-Sieg im Rückspiel schlugen sie sich im anschließenden „Golden Set“, dem ultimativen Entscheidungsszenarium, in die beiden Europapokalendspiele.

SVG Lüneburg mit Rekordetat von 1,2 Millionen Euro

23 Punkte steuerte Erik Röhrs vor zwei Wochen zu dem bis in die Nacht in Lüneburgs Altstadt gefeierten Erfolg gegen die Türken bei, und der 22 Jahre alte Nationalspieler könnte auch gegen die Polen der Faktor sein, um die bestehenden Kräfteverhältnisse zu konterkarieren, die sportlich und finanziell zwischen beiden Volleyballwelten liegen.

Während die Lüneburger in dieser Saison einen Rekordetat von rund 1,2 Millionen Euro aufstellen konnten, kalkuliert Rzeszów konservativ geschätzt mit dem Fünf- bis Sechsfachen. Der Namensgeber und Hauptsponsor des Clubs aus der südostpolnischen Woiwodschaft Karpatenvorland gehört zu den größten börsennotierten IT-Unternehmen Europas.

Erik Röhrs: Lüneburg ist krasser Außenseiter, aber nicht chancenlos

„Auch wenn jetzt viele Leute aus unserem Umfeld hoffen, und einige es sogar glauben, dass wir den Pott holen, müssen wir realistisch bleiben. Wir sind krasser Außenseiter. Das heißt jedoch nicht, dass wir chancenlos sind“, sagt Röhrs. „Wir haben ein Heimspiel, die Stimmung in der Halle wird wieder grandios sein, jeder Ballwechsel lautstark gefeiert werden. In dieser Atmosphäre ist vieles möglich, manchmal selbst Unmögliches.“

Röhrs wechselte im vergangenen Sommer vom Bundesligakonkurrenten powervolleys Düren an die Ilmenau. Mehr Verantwortung, mehr Spielzeit wünschte sich der Außenangreifer von Cheftrainer Hübner, „und exakt das habe ich in Lüneburg auch bekommen“, sagt Röhrs.

Röhrs sei ein fast kompletter Volleyballer, sagt der Trainer

Dafür gibt es gute Gründe. „Erik ist ein kompletter Spieler, er beherrscht alle Elemente des Volleyballs: Aufschlag, Annahme, Abwehr, Angriff, Block. Und er ist ein Wettkämpfer, der viel Energie, Willenskraft und Teamspirit mitbringt. Ich hätte ihn gern schon ein Jahr früher verpflichtet“, sagt Hübner. „Manchmal will er allerdings zu viel, will mit dem Kopf durch die Wand. Da würde ihm ein Schuss Lockerheit sicherlich helfen. Das wird er aber auch noch lernen.“

Wahrscheinlich nicht mehr in Lüneburg. Zwar laufen im Moment Vertragsverhandlungen, die Lüneburger bleiben trotz aller aktuellen Erfolge ein Ausbildungsverein, dessen unternehmerisches Schicksal es nun mal ist, Spieler zu entwickeln, sie dann irgendwann aber nicht mehr angemessen bezahlen zu können.

Nach seinen Leistungen in dieser Saison dürfte Röhrs kaum zu halten sein. „Ich fühle mich in Lüneburg sehr wohl, das Familiäre des Vereins gefällt mir, die Chemie in der Mannschaft stimmt, niemand ist hier auf einem Ego-Trip“, sagt er. Das Aber liegt nah, auch wenn er es nicht explizit ausspricht.

Erik Röhrs zog mit 13 Jahren von zu Hause aus

Ein Spieler seiner Klasse will sich mit den Besten der Welt messen, mit ihnen trainieren, von ihnen lernen. Und, daraus macht Röhrs keinen Hehl, auch entsprechend verdienen. In Deutschland bietet nur Rekordmeister Berlin Recycling Volleys diese Möglichkeiten, in Polen, Italien und der Türkei locken viele Clubs mit noch besseren Bedingungen.

Es wäre die konsequente Fortsetzung einer Karriere, die sich der Deutsche Volleyball-Verband (DVV) in seine Mustermappe legen kann. Mit 13 Jahren zog der junge Erik aus der brandenburgischen Kleinstadt Kyritz ins gut 100 Kilometer entfernte Sportinternat nach Berlin, genoss die Zeit, „weil wir alle hier dieselbe Leidenschaft für den Sport teilten“.

Deutschlands bester Volleyballer ist Röhrs’ Vorbild

Mit 16 spielte er für den VCO Olympia Berlin, die Junioren-Nationalmannschaft, die außer Konkurrenz in der Ersten und Zweiten Bundesliga antreten darf – und die 2018 erstmals die U-18-Europameisterschaft gewann. Schon beim VCO Olympia fielen seine wuchtigen Sprungaufschläge auf, die United Volley Frankfurt holten sich ihn 2021 für die Play-offs, danach wechselte Röhrs für zwei Spielzeiten nach Düren.

Für die Männer-Nationalmannschaft bestritt er bisher 23 Länderspiele, in diesem Sommer sollen bei Olympia weitere folgen. Paris ist sein großes Ziel. Beim polnischen Männer-Bundestrainer Michal Winiarski kann er sich mit Spielen wie gegen Rzeszow empfehlen. Bei der erfolgreichen Olympia-Qualifikation im vergangenen September/Oktober in Brasilien teilte Röhrs das Zimmer mit Deutschlands bestem Volleyballer Georg Grozer (39), der danach auch öffentlich viele lobende Worte für ihn fand. „Das hat mich mit Stolz erfüllt“, sagt Röhrs.

SVG Lüneburg: Röhrs ist mit 275 Punkten der Topscorer

Die beiden sind in Kontakt geblieben, beim CEV-Halbfinale trafen sie sich wieder. Grozer ist Izmirs Hauptangreifer. „Von Georg habe ich viel gelernt, seine Einstellung, seine Liebe zum Sport haben mich beeindruckt. Er hat es über mehr als 20 Jahre geschafft, sich fit zu halten und auf höchstem Niveau Volleyball zu spielen“, sagt Röhrs.

In Lüneburg ist er – im Gegensatz zu den Jahren in Düren – trotz hoher Belastung verletzungsfrei durch die bisherige Saison mit Spielen an jedem vierten Tag gekommen, was er dem dosierten, aber gezieltem Krafttraining Hübners zuschreibt.

Fast ein Kilo Muskelmasse hat Röhrs in den vergangenen Monaten zugelegt, er sei noch dynamischer geworden, sagt Hübner. Mit 275 Punkten in 20 Spielen ist er Lüneburgs Topscorer in der Bundesliga, gegen Rzeszwo ist heute seine Schlagkraft einmal mehr gefragt. Erik Röhrs wird wieder Verantwortung übernehmen müssen, aber genau das will er ja auch.