Hamburg. Lars-Wilhelm Baumgarten gilt als einer der führenden Galoppstrategen. Ein Boxenstopp vor dem großen Renntag in Horn.

Paradiesvögel seiner Klasse gedeihen im Biotop des Turfs vorzüglich. Solche Menschen pflegen ihren ureigenen Stil – mit Charme, Charakter, hin und wieder auch mit Chuzpe. Nicht nur wegen seiner beiden Vollblüter im 154. Deutschen Derby an diesem Sonntag gilt Lars-Wilhelm Baumgarten als einer der führenden Galoppstrategen hierzulande.

Seit Wochen fiebern seine Mitbesitzer und er dem Rennes des Jahres auf dem Hippodrom in Hamburg-Horn entgegen. Begeisterung und Aufregung bescheren eine hohe Betriebstemperatur. So wie damals, als seine Kunden um die Deutsche Fußballmeisterschaft mitspielten oder in Wimbledon im Finale aufschlugen. Lars-Wilhelm Baumgarten, von alten Weggefährten „Lausus“ genannt, mag Asse. So und so.

Pferderennen: Am 2. Juli geht es in Horn um 650.000 Euro Preisgeld

Die Namen der beiden mitfavorisierten Hengste aus Baumgartens Stall Liberty Racing sind Programm: Winning Spirit und Fantastic Moon. Hochfliegende Träume, vom Geist der Zuversicht beflügelt. Die Farben der Jockeys, dunkelblau mit goldenen Punkten, ist ein Signal auf Seide. Wahrlich keine Schande, dass die Finger am Fernglas ein bisschen zittern mögen, sobald das Feld am 2. Juli gegen 14.15 Uhr vom Horner Bogen auf die Zielgerade prescht. Dann geht’s um mehr als 650.000 Euro Preisgeld. Nur einmal im Leben kann ein Rennpferd an der Mutter aller Prüfungen teilnehmen.

Lars-Wilhelm Baumgarten ist ein bescheidener Mensch. Für den gebürtigen Niedersachsen und seine Mitstreiter wäre das Blaue Band für den Galopper des Jahres das Größte. Einmal Turfkönig von Hamburg sein. Zumindest für einen glücklichen Moment.

Mitfiebern: Lars-Wilhelm Baumgarten schickt am Sonntag zwei Pferde ins Rennen. Bei 650.000 Euro Preisgeld, dürften die Finger am Fernglas ein bisschen zittern.
Mitfiebern: Lars-Wilhelm Baumgarten schickt am Sonntag zwei Pferde ins Rennen. Bei 650.000 Euro Preisgeld, dürften die Finger am Fernglas ein bisschen zittern. © Lars-Wilhelm Baumgarten

Weil der 51-jährige Tausendsassa aus eigener Erfahrung weiß: Auf die Bodenhaftung im Alltag kommt’s entscheidend an. Das lernte er als Journalist und Jurist mit Staatsexamen ebenso wie als Weichensteller einer renommierten Sportagentur und aktuell als Coach. Einen Teil des Studiums an der Universität Göttingen verdiente er als Croupier in der Spielbank Bad Harzburg. Freitag- und Sonnabendnacht.

Baumgartens Leben hat heutzutage ganz andere Vorzeichen und Schwerpunkte als in der Hully-Gully-Ära damals – im wahrsten Sinn des Wortes. „Ich will einen Jockey abnehmen“, versprach sich der pferdebegeisterte Manager vor ein paar Jahren. Ausgerechnet an seinem Hochzeitstag im Jahr 2000 schleppte er mit 147 Kilogramm Leibesfülle das persönliche Höchstgewicht mit sich herum. Konsequenz: Er krempelte sein Leben um, verabschiedete sich von Fast Food, Naschkram, Alkohol. Mit Nadine ist ihm seit sechs Jahren eine Frau mit ähnlichen Prinzipien verbunden.

Hochzeit des heutigen Rennstallbesitzers: Sigmar Gabriel war Trauzeuge

Angenehme Erinnerungen bleiben. An die durchweg gut behütete Kindheit. Lars-Wilhelm Baumgarten entstammt einer soliden, sozialdemokratischen Familie mit Wurzeln im Süden Niedersachsens, in Braunschweig und Bad Harzburg. Großvater Wilhelm Baumgarten war zwei Jahrzehnte als Präsident des niedersächsischen Landtags prägend. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder war ein Freund der Familie. Und bei der Hochzeit des heutigen Rennstallbesitzers Lars-Wilhelm Baumgarten war der damalige Ministerpräsident Niedersachsens und spätere Vizekanzler Sigmar Gabriel als Trauzeuge zur Stelle. Baumgarten bezeichnet sich als „SPD-Mitglied auf Austrittskurs“. Noch scheut er sich vor dem Schritt, nicht nur der Familientradition zuliebe.

Lars-Wilhelm Baumgarten mit Lebensgefährtin Nadine Siepmann nach dem Sieg im 79. Silbernen Band der Ruhr.
Lars-Wilhelm Baumgarten mit Lebensgefährtin Nadine Siepmann nach dem Sieg im 79. Silbernen Band der Ruhr. © IMAGO/Foto: Stephanie Gruttmann/galoppfoto.de

Seine Leidenschaft für den Sport war früh geweckt. „Ich wollte Profisportler werden“, erinnert sich Lars-Wilhelm Baumgarten, „obwohl es mir an Talent und Disziplin mangelte.“ Nach ersten Rennbahnbesuchen ergab sich für den Jugendlichen ein weiterer Wunsch: Buchmacher, also ein auf eigenes Risiko wirkender Makler von Pferdewetten, das könnte eine Alternative sein. Das Flair des Vollblutsports, die Faszination zwischen Waage, Führring, Geläuf, Absattelring und Totalisator, sollten den Niedersachsen mit heutigem Wohnsitz Köln ein Leben lang fesseln.

In seinem Kinderzimmer versuchte „Lausus“ sich als Radioreporter. Lief richtig gut. So gut übrigens, dass Baumgarten die Mitglieder und Sympathisanten seines Stalls Liberty Racing seit Wochen in Schwung hält – mit stimmungsvollen, etwa fünfminütigen Wortbeiträgen via Internet. Radio Liberty. Unmittelbar vor dem Start des Deutschen Galopp-Derbys wuchs die Begeisterung. Hörbar.

Baumgarten machte sich als Züchter und Rennstallbesitzer einen Namen

Nach Abitur und Einsatz für die „Bild“-Zeitung in Dresden, unmittelbar nach dem Mauerfall, arbeitete er als freier Journalist für diverse Tageszeitungen. Akzente: Fußball, Galopprennen, Tischtennis, Eishockey. Vielseitigkeit war Trumpf. Später sattelte Lars-Wilhelm Baumgarten um. Fortan lag ein Teil seines beruflichen Glücks auf dem Rücken edel gezüchteter Galopprennpferde. Er verhalf der seinerzeit erfolgreichen Telewette im Fernsehen auf die Sprünge, leitete die Marketingsparte des deutsche Galopper-Direktoriums, hatte wirtschaftlich die Zügel in der Hand. Parallel wuchs das Faible für eigene Pferde. Baumgarten machte sich als Züchter und Rennstallbesitzer einen Namen.

„Es waren turbulente, aufreibende Zeiten Anfang des neuen Jahrtausends“, sagt er rückblickend. Das Sport- und Managerleben raste im Sauseschritt dahin. Im Gegensatz zur Neuzeit liebte Lars-Wilhelm Baumgarten Höchstgeschwindigkeit – im Beruf wie auf der Rennbahn. Bei den Derbymeetings in Hamburg war der Tausendsassa mit dem gewinnenden Naturell Stammgast. Dieser Mann beherrscht das Kunststück, seine Begeisterung auf andere Menschen zu übertragen. Immer öfter konnte er das nach und nach erworbene Fachwissen nutzbringend zum Einsatz bringen.

Zu Klienten zählten Ex-Nationalspieler Mike Hanke und Freiburgs Torjäger Nils Petersen

Nach Engagement für eine Sportvermarktung an der Seite des Ex-Fußballnationalspielers und Europameisters Thomas Strunz machte er sich 2001 mit der Agentur Stars Friends selbstständig. Im Team betreute Baumgarten gut 400 Profis – hierzulande und international. Motto: „Jeder ist ein Diamant.“ Zu seinen Klienten zählten der aktuelle Geschäftsführer Sport beim Bundesligaclub Bayer Leverkusen, Simon Rolfes, der frühere Nationalspieler Mike Hanke sowie Freiburgs Torjäger Nils Petersen. Er begleitete Deutschlands Tennis-Ass Angelique Kerber bei ihrem Aufstieg an die Weltspitze. Die gebürtige Bremerin gewann die Australian Open, die US Open sowie in Wimbledon. Mehr geht kaum.

Lars-Wilhelm Baumgarten vermarktete Sportler mit seiner Agentur. Hier ist er mit dem einstigen Becker-Manager und ehemaligen Tennisspieler Ion Tiriac (l.) zu sehen.
Lars-Wilhelm Baumgarten vermarktete Sportler mit seiner Agentur. Hier ist er mit dem einstigen Becker-Manager und ehemaligen Tennisspieler Ion Tiriac (l.) zu sehen. © Privat

Um ein turbulentes Kapitel kurz zu machen: 2018 sattelte Baumgarten erneut um. Er verkaufte seine Agentur. „Ich hatte eine Menge erreicht“, berichtet er, „fiel in ein tiefes Loch.“ Und: „100.000 Kilometer jährlich im Auto, in Hetze von Airport zu Airport, 100 Telefonate am Tag – ich spürte, dass ein weiteres Leben im Haifischbecken Spitzensport kein Anreiz mehr war.“ Baumgarten zog die Reißleine. Kompromisslos.

Das Feuer für Vollblutpferde blieb. Heute steuert der Marketingprofi beruflich verstärkt hinter den Kulissen. Er investiert in Immobilien und Start-ups, berät gezielt jeweils zwei Fußball-Manager und Unternehmerinnen. „Wer mit 20 Jahren im Licht steht“, formuliert Lars-Wilhelm Baumgarten, „sollte mit 40 nicht im Schatten stehen.“ Wegweisend sei die individuelle Frage: „Wie erreiche ich meine Meisterschaft?“ Auf individuelles Glück komme es an, viel mehr als auf Geld. Als Coach unterstütze er andere bei der Aufgabenstellung, „das persönliche Potenzial auf die Straße zu bringen“. Eigene Erfahrung mache ihn stark.

Seiner Leidenschaft für den Turf lässt Baumgarten unverändert freien Lauf. 2020 setzte er die Idee eines professionellen Besitzer-Syndikats in die Tat um: Liberty Racing. Er verkaufte 20 Anteile à 25.000 Euro, zusammen also eine halbe Million Euro. Der Stall umfasste vier Vollblüter. Gemeinsames Zugpferd ist der Hengst Assistent, im vergangenen Jahr Vierter im Derby. Je Anteil gab es 35.000 Euro zurück.

Seit 1985 war er beim Derby in Horn ­jedes Mal am Start

Mitte der 1980er-Jahre nahmen ihn sein Vater, ein selbstständiger Baustatiker, und sein Großvater mit auf die Rennbahn in Bad Harzburg. 1985 folgte die Premiere beim Deutschen Derby. „Seitdem war ich in Hamburg-Horn jedes Mal am Start“, sagt Baumgarten. „Aufregung gehört dazu.“ Früher zockte er professionell – an Totokassen, bei Wettbüros, bei Pokerturnieren. „Nur für Amateure handelt es sich um ein Glückspiel“, meint er. „Vielmehr geht es um mathematisches Geschick.“

Glück und Können sind gefragt, wenn seine Hengste Fantastic Moon und Winning Spirit bei der 154. Auflage des Blauen Bandes über 2400 Meter ins Derby gehen. Diesmal wurden 22 Anteile je 25.000 Euro aufgelegt, erneut für ein Galopper-Quartett. Zwei Scheine zeichneten Baumgarten und Lebensgefährtin Nadine Siepmann. „Eigentlich bin ich beim Start ganz ruhig“, behauptet Lars-Wilhelm Baumgarten, „und der Puls bleibt moderat.“ Meditation helfe. Konzentration ebenfalls.

Pferderennen Hamburg-Horn: Vorfreude auf das Deutsche Derby ist groß

Vielleicht läuft’s ja ähnlich gut wie 2019, als Baumgartens Derbypferd Django Freeman Zweiter wurde. 2020 belegte sein Wonderful Moon als Favorit nur Rang fünf. „Im Turf weiß man nie“, philosophiert er folgerichtig. Vielleicht clever mithin, die Party der Besitzergemeinschaft am Abend vor dem Derby zu organisieren. Drei Mitstreiter reisen aus Australien an. Im East-Hotel nahe dem Heiligengeistfeld ist ein Raum reserviert. Die Vorfreude steigt. „Das Deutsche Derby ist besser als Weihnachten“, sagt Lars-Wilhelm Baumgarten.

Und beim Start ist er ruhig, ganz ruhig. Man könnte darauf wetten ...