Die 43-Jährige ist eine Pionierin im Hamburger Schiedsrichterwesen. Was sie für Veränderungen vorantreiben möchte.

Der Hamburger Fußball-Verband (HFV) würdigte die Dimension des Ereignisses mit starken Worten. „Historische Wahl in den Schiedsrichterbezirken des HFV“, titelte der Verband in seiner Pressemitteilung – und gratulierte: „Zum ersten Mal in der Geschichte seit der Neugründung des HFV im Jahr 1947 ist mit Stephanie Nehls eine Frau an die Spitze eines Bezirks-Schiedsrichterausschusses gewählt worden. Dafür ganz herzlichen Glückwunsch!“

Die erste Frau an der Spitze eines Bezirks-Schiedsrichterausschusses

Einige Zeit später sitzt Nehls (43) gut gelaunt im Clubhaus ihres Vereins Horner TV. Die neue Obfrau des Bezirks-Schiedsrichterausschusses (BSA) Ost ist nun ein Novum in der Hamburger Schiedsrichterei. Doch als feministische Vorkämpferin sieht sie sich nicht. „Ich empfinde meine Wahl nicht als historisch“, sagt Nehls.

Sie ist ein bodenständiger Typ. Stets damit beschäftigt, in der Praxis die Dinge zum Guten zu wenden. Geschichtsträchtige Betrachtungen ihrer Rolle sind nicht ihr Ding. „Teams, in denen unterschiedliche Sichtweisen von Männern und Frauen vertreten sind, finde ich gut. Aber nicht durch den Zwang einer Quote. Kompetenz und eine große Leidenschaft für die Sache sind bei der Besetzung von Posten das Wichtigste“, findet Nehls.

Stephanie Nehls wurde mit 25 Jahren Schiedsrichterin

Die große Leidenschaft, der die beruflich als Angestellte in einer Kaffeerösterei arbeitende Nehls ihre Freizeit widmet, ist die Schiedsrichterei. Mit 25 Jahren wurde sie zur Unparteiischen. „Mein Bruder war Schiedsrichter und weckte mein Interesse“, erinnert sich Nehls. Sie leitete Herrenspiele bis zur Bezirksliga, pfiff zwei Pokalendspiele der Frauen, erlebte spannende sportliche Partien, Witziges (bei einer Partie schubste sie in einer Rudelbildung versehentlich einen Spieler um) und Verstörendes (ein Verein wurde vom Sportgericht zu 1000 Euro Strafe wegen massiver verbaler Entgleisungen seiner Anhänger ihr gegenüber verurteilt). Parallel stärkte Nehls die Liebe zu ihrem Hobby durch ihre seit 16 Jahren ausgeübte Tätigkeit als Vorstandsmitglied des BSA Ost.

Als der scheidende Vorsitzende Marco Heppner (49) über seine Nachfolge nachdachte, wünschte er sich Nehls für den Posten. Daniel Burmester, zuständig für die Schiedsrichteransetzungen im BSA Ost, wundert das nicht. „Was Stephanie tut, tut sie mit Akribie und Herzblut. Regeltechnisch oder in Strukturfragen macht ihr keiner was vor. Sie ist ein wandelndes Lexikon. Und sie hat noch eine herausragende Eigenschaft. Weiß sie ausnahmsweise etwas nicht, sagt sie das offen. Sie haut keine ahnungslosen Sprüche raus“, sagt Burmester.

Die Nachwuchsarbeit ist das größte Thema

Nehls, die sich lächelnd als „Kopfmensch mit einer guten Portion Bauchgefühl“ bezeichnet, steht nun nach ihrer Wahl zur Vorsitzenden für die Amtsperiode von zwei Jahren vor der Aufgabe, den mit knapp 300 Schiedsrichtern besetzten und für rund 30 Clubs zuständigen BSA Ost, einen von sieben Ausschüssen dieser Art in Hamburg, gemeinsam mit ihrem männlichen Vorstandsteam in die Zukunft zu führen. Ansetzungen der Unparteiischen, Schiedsrichterbeobachtungen bei Spielen und Öffentlichkeitsarbeit sind einige der vielen anfallenden Aufgaben. Größtes Thema ist der Nachwuchs.

„Wir bilden in unserem BSA im Jahr ungefähr 40 Schiedsrichter aus. Leider hören viele davon in den ersten zwei Jahren wieder auf. Unser großes Ziel ist es, mehr Schiedsrichter dauerhaft zu halten“, sagt Nehls. Aktuell können alle Spiele am Wochenende besetzt werden. „Aber nur deshalb, weil manche Kollegen positiv verrückt sind und bis zu fünf Partien am Wochenende pfeifen.“

Ein Patentrezept für mehr Schiedsrichter gebe es zwar nicht. „Aber“, so Stephanie Nehls, „als Schiedsrichter lernst du, mit vielen verschiedenen Charakteren umzugehen und kritische Situationen gut zu bewältigen. Das stärkt einen selbst. Ich finde, dies sollte viel positiver herausgestellt werden. Wenn dazu die gesamte Hamburger Fußballfamilie aus Spielern, Trainern, Eltern, Zuschauern und Schiedsrichtern daran arbeitet, wieder besser miteinander umzugehen, hätten wir viel erreicht.“