Hamburg. Die Leichtathletin vom HSV hat eine lange Verletzungshistorie hinter sich. Gewinn des deutschen 200-m-Titels bringt Selbstvertrauen.

Auf dieses Foto ist sie mittlerweile häufig angesprochen worden. So wie sie sich die Hände vor den Mund schlägt im Moment ihres Zieldurchlaufs, so tun das nur Menschen unter dem Eindruck absoluter Überraschung. Zehn Tage ist er nun her, ihr Triumph im 200-Meter-Rennen bei den deutschen Leichtathletik-Hallenmeisterschaften in Dortmund, aber Louise Wieland hat diese Zeit gebraucht, um zu realisieren, was ihr da gelungen ist. „Tatsächlich bin ich noch immer in der Verarbeitung. Manchmal schaue ich mir das Video an und denke: Welche Person läuft da?“, sagt sie im Zoom-Gespräch mit dem Abendblatt.

Ein persönliches Treffen in Hamburg, wo die aus Icking südlich von München stammende 23-Jährige seit 2020 in Winterhude lebt und für den Hamburger SV startet, war zeitnah nicht möglich. Nach den Meisterschaften reiste sie in die Heimat, um in Berchtesgaden und am Schliersee ein paar Wintertage mit der Familie zu verbringen. Die an diesem Wochenende anstehenden Hallen-Europameisterschaften in Istanbul muss sie auslassen, weil ihre Paradestrecke nicht im EM-Programm vorgesehen ist. „Das ist zwar schade, weil ich mich gern international gemessen hätte. Aber so kann ich mich voll auf die Vorbereitung für die Freiluftsaison konzentrieren“, sagt Louise Wieland, die Anfang kommender Woche wieder in Hamburg ins Training einsteigt.

Leichtathletik: Arbeit mit ihrem Cheftrainer Dominik Ludwig zahlt sich aus

Dass sie von ihrem ersten nationalen Titel, bei dem sie immerhin Staffeleuropameisterin Jessica-Bianca Wessolly (26/Mannheim) hinter sich ließ, selbst so überrascht wurde, liegt in der Verletzungshistorie begründet, die sie hinter sich hat. In den Jahren des Übergangs vom Juniorinnen- in den Erwachsenenbereich plagten sie Knochenödeme in beiden Füßen. „Das war eine krasse Zeit“, sagt sie rückblickend. Mehrere Monate Pause brachten kaum Linderung, sodass sie nur die Sommersaison für intensives Training und Wettkämpfe nutzen konnte. „Im Winter saß ich meist auf dem Fahrrad, da ich die Umfänge nicht leisten konnte, die nötig gewesen wären“, sagt sie.

Erst als sie nach Hamburg kam, wo sie ein Jurastudium beginnen wollte, besserte sich die Lage entscheidend. Dank orthopädischer Fachbetreuung mittels starker Magnetfeldtherapie verschwanden die Schmerzen fast vollständig, „ich bin jetzt in der Lage, nahezu alles machen zu können“, sagt Louise Wieland. Die kontinuierliche Arbeit mit ihrem Cheftrainer Dominik Ludwig und einer starken Trainingsgruppe zahle sich aus, der Lohn war nun in Dortmund ein goldener. „Ihr Mindset ist sehr professionell, sie ist sehr zielstrebig und wird national dauerhaft zu den besten vier Sprinterinnen zählen. Mittelfristig wird sie auch international starten, vielleicht schon bei der EM 2024 in der Staffel“, sagt ihr Coach.

Leichtathletik: Louise Wieland ist bereit dafür, neue Bilder zu produzieren

Louise Wieland, die als Siebenjährige einen Leichtathletik-Wettkampf im Fernsehen sah und ihrer Mutter anschließend so lange erklärte, dass sie so etwas auch machen wolle, bis diese sie beim Probetraining anmeldete, hat mit dem Titelgewinn Selbstvertrauen getankt. Den aus einer gesteigerten Erwartungshaltung entstehenden Druck will sie aber nicht an sich herankommen lassen. „Die Hallenmedaille ist schön, mein Ziel ist nun, auch draußen den Topleuten näher zu kommen. Aber das muss Schritt für Schritt passieren“, sagt sie. Zielzeiten hat sie sich für dieses Jahr nicht explizit gesetzt. Die 23,51 Sekunden, die in Dortmund zu Gold reichten, will sie aber auch in der Freiluftsaison angreifen. Aktuell liegt ihre 200-Meter-Bestzeit im Freien bei 23,91.

Ihr Fokus, sagt Louise Wieland, die mittlerweile im dritten Semester Psychologie an der Medical School studiert, liege aber genauso auf den 100 Metern (Bestzeit 11,70). „Da möchte ich mich ebenfalls entwickeln“, sagt die Athletin, die den Laufstil von US-Star Allyson Felix (37) bewundert. Schon bei den deutschen Meisterschaften in Kassel (8./9. Juli) hofft sie, diese Entwicklung nachweisen zu können. Internationaler Höhepunkt könnten die World University Games (ehemals Universiade) im August in Chengdu (China) werden, sofern diese nach Aufhebung der Corona-Beschränkungen stattfinden dürfen. Wo auch immer sie starten wird: Louise Wieland ist bereit dafür, neue Bilder zu produzieren.