Hamburg. Wenn die Athleten gewisse Voraussetzungen erfüllen, spricht wenig dagegen. Das gilt auch für Belarus.

Vor exakt einem Jahr begann der russische Krieg gegen die Ukraine. Was neben wirtschaftlichen Sanktionen und politischen Boykotten schnell folgte, war auch der Ausschluss russischer Athleten und Clubs sowie der des belarussischen Kriegsverbündeten von nahezu sämtlichen internationalen Wettkämpfen.

Nun öffnet das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter dem deutschen Präsidenten Thomas Bach die Tür für die gebannten Sportler, unter neutraler Flagge wieder bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris antreten zu dürfen. Das Echo aus Politik, Medien und auch von vielen Olympioniken war erwartbar vernichtend. Aber ist dieses Urteil auch gerecht?

Es ist morgen auch exakt ein Jahr her, dass sich der russische Tennisprofi Andrej Rubljow nach einem Match schon am zweiten Kriegstag eindeutig gegen den Angriff durch sein Heimatland positionierte. „Kein Krieg, bitte“, schrieb er auf eine Kamera, die die Partie übertragen hatte – schon damals wurde in Russland offiziell nur von „Spezialoperation“ statt Krieg gesprochen. Sein noch bekannterer Kollege, der ehemalige Weltranglistenerste Daniil Medwedew, pflichtete ihm umgehend bei. Zuschauen mussten beide, so wie ihre Landsleute, unter anderem beim Saisonhöhepunkt in Wimbledon dennoch.

Russen nicht wegen ihrer Nationalität ausschließen

Ist das fair? Ist es nicht an der Grenze zum Rassismus, wenn Menschen wegen ihres Geburtsortes, ihrer Nationalität ausgeschlossen werden? Hierauf beruft sich auch das IOC, das auf den UN-Menschenrechtsrat verweist, der einen pauschalen Ausschluss von Russland und Belarus als Verstoß gegen die Menschenrechte ansieht. Bitte nicht falsch verstehen. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, dass Vereine wie die Armeeclubs ZSKA, die überwiegend von Oligarchen und Putin-Unterstützern finanziert werden, nichts im internationalen Wettkampf verloren haben, solange der Krieg andauert; dass dem Regime nahestehende Sportler, die sich nicht glaubhaft gegen den Angriff aussprechen, weiter ausgeschlossen werden sollten; dass der Sinn von Boykotten maßgeblich auch darin besteht, das Kollektiv zu schädigen, um so von innen heraus eine Veränderung zu bewirken.

Aber weswegen friedfertigen Sportlern, die ihre Überzeugung auf eigene Gefahr oder der ihrer in Russland lebenden Angehörigen mutig kundtun, signifikante Teile ihrer Karriere und Arbeitsberechtigung entziehen, anstatt sie unter neutraler Flagge antreten zu lassen? Das erschließt sich mir nicht.

Der Weltschachverband hat eine recht schlüssige Regelung gefunden. Wer sich gegen den Krieg ausspricht, darf bei internationalen Turnieren antreten, wer dies verweigert oder mit dem Konflikt sympathisiert, wie der ehemalige WM-Herausforderer Sergei Karjakin, ist raus.

Zudem sind die Olympischen Spiele selbst in Zeiten, in denen Menschen mit deeskalierendem Ansinnen im freundlichsten Fall als naiv beschieden werden, nach wie vor das größte Friedensfest der Welt. Die letzte Bastion, um die Weltgemeinschaft zusammenzuführen. Sie können durch die Strahlkraft der großen Stars Inspiration schaffen, selbst dem verbittertsten Rivalen in Respekt und Fairness gegenüberzutreten.

Olympische Spiele: Sanktionierung genauer Prüfung unterziehen

Auch die Sanktionierung belarussischer Sportler sollte einer genaueren Prüfung unterzogen werden. Als das Volk dort nach der mutmaßlich manipulierten Präsidentschaftswahl 2020 auf die Straßen ging und 250 Demonstranten niedergemetzelt wurden, blieb die umfassende Unterstützung des Westens aus. In Belarus sind im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten politischen Gefangen weltweit inhaftiert. Eine überwältigende Mehrheit von 85 Prozent der Belarussen – inklusive der meisten Athleten – ist dagegen, an der Seite Russlands in den Krieg zu ziehen.

Die Antwort auf die Frage, ob russische und belarussische Sportler auf die Weltbühne zurückkehren dürfen, wird aber voraussichtlich final nicht von der Politik und schon gar nicht durch Ideale entschieden, sondern ist dort zu suchen, wo längst alle Antworten im Profisport zu finden sind: im Portemonnaie. Internationale Sponsoren haben zwar ihre Geschäfte in Russland eingeschränkt, das IOC unterstützen sie nach wie vor. Der Druck auf sie dürfte wachsen. Ihr Engagement hat den maßgeblichen Einfluss auf Bach.