Hamburg. Der Eishockeyspieler der Crocodiles Hamburg kämpft seit mehreren Jahren um seine Gesundheit. Die Geschichte einer Leidenszeit.

Die kleine Beule an seiner linken Schläfe konnte Dominic Steck nicht stoppen. Natürlich schmerzte die Stelle, an der ihn ein Gegner beim privaten Floorballspielen in einem Zweikampf unabsichtlich mit seinem Kopf erwischt hatte, ein wenig. Aber Steck spielte weiter, er ging am nächsten Tag ins Büro und seiner Arbeit als Steuerfachangestellter nach, als wäre nichts gewesen. Die Schwindelattacken, die ihn plagten, schrieb er der Hitze und dem Stress zu.

Hätte er geahnt, dass sie nur der Beginn einer monatelangen Leidenszeit waren, hätte er womöglich anders reagiert. Aber ob das etwas geändert hätte, ist unklar, denn die Krankengeschichte des 29-Jährigen beginnt nicht erst in jenem August des vergangenen Jahres, sondern drei Jahre zuvor.

Crocodiles Hamburg: Profi-Traum hat sich für Dominic Steck nicht erfüllt

Dominic Steck, geboren im Januar 1994 in Augsburg, ist Eishockeyspieler. In der Jugend, in den Nachwuchsakademien großer Clubs wie der Düsseldorfer EG und den Mannheimer Adlern, hofft der Abwehrspieler auf eine Profikarriere, die sich nach einigen geplatzten Wechseln jedoch nicht erfüllt. Beim Drittligisten EHC Timmendorfer Strand findet er eine Möglichkeit, eine Berufsausbildung zu machen und semiprofessionell Drittliga-Eishockey zu spielen.

In der Saison 2018/19 wechselt er zunächst zum HSV in die Regionalliga und von dort zum Drittligisten Crocodiles Hamburg, der am Freitag (20 Uhr) bei Tabellenführer Hannover Scorpions antritt. Dort beginnt sein Leidensweg.

In einem Spiel bei den Preußen Berlin verletzt ihn ein Gegenspieler im Frühjahr 2019 mit einem Check gegen den Kopf. Eine Gehirnerschütterung wird diagnostiziert, die erste offiziell festgestellte Blessur dieser Art; die Anzahl der zuvor nicht erkannten ist unklar. Klar ist: Steck muss sechs Wochen pausieren. Gehirnerschütterungen werden schon damals ernst genommen im Vollkontaktsport Eishockey, die Folgen von wiederkehrenden Schlägen auf den Kopf sind berüchtigt.

25 Prozent aller Verletzungen erleiden Eishockey-Spieler am Kopf

Im Eishockey betreffen gut 25 Prozent aller Verletzungen den Kopf, rund sieben Prozent davon sind Gehirnerschütterungen. Das Tückische an diesen, so sagen Experten wie Andreas Gonschorek, Chefarzt des Neurotraumatologischen Zentrums am BG Klinikum Hamburg, sei, dass jede Folgeverletzung Symptome verschlimmern und zu dauerhaften Schädigungen bis hin zur Berufsunfähigkeit führen kann.

Die Spielzeit 2019/20 verläuft ohne Probleme, doch 2020/21 schlägt das Schicksal gleich dreifach zu. Im Herbst 2020 wird Steck bei einer Partie gegen Herne von einem Puck am Hinterkopf getroffen. Die Wunde wird genäht, die Gehirnerschütterung kuriert er binnen weniger Wochen aus. Kurz nach der Rückkehr checkt ihn ein Rostocker Gegenspieler, Steck stürzt mit dem Hinterkopf in die Bande – wieder Gehirnerschütterung, wieder nur zwei Wochen Pause. Noch in derselben Saison trifft ihn in einem Spiel gegen Hamm ein Check am Kopf, wieder ist das Gehirn erschüttert, diesmal dauert die Genesung vier Wochen.

Dominic Steck entscheidet sich im Sommer 2021 auch wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie, den Leistungssport aufzugeben und eine berufliche Weiterbildung zu machen. Er wird jedoch bald rückfällig, weil ihm das Eishockey fehlt, er kehrt in den Crocodiles-Kader zurück. Ende Januar 2022 verliert er in einem Spiel gegen Tilburg bei einem Pucktreffer drei Vorderzähne. Eine weitere Gehirnerschütterung wird nicht festgestellt. So dauert es bis zu jenem Floorballspiel im August, um sein Leben auf den Kopf zu stellen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Dominic Steck absolvierte einen Ärztemarathon

„Der Schlag gegen die Schläfe war nicht schwer“, erinnert sich der 1,77 Meter große Abwehrspieler, „aber er hat die schwersten Folgeschäden für mich gehabt.“ Nach einem wahren Ärztemarathon findet ein Optometrist heraus, dass infolge der fünften Gehirnerschütterung seine Augen gegen- statt miteinander arbeiten. „Vereinfacht gesagt legen sich die Bilder, die die Augen sehen, nicht über­einander, sondern eins steht quasi auf dem Kopf“, erklärt er. Daraus resultieren starke Wahrnehmungsstörungen. Steck wird extrem schwindelig, als er als Beifahrer seiner Freundin in einem Parkhaus im Kreis die Auffahrten hinauffährt. Er kann sich nicht mehr konzentrieren, ermüdet extrem schnell, sein Hirn kann Reize nicht mehr verarbeiten.

Vier Monate dauert es, bis er das Pro­blem mithilfe einer speziellen optometrischen Therapie und der Unterstützung des Hannoveraner Physiotherapeuten David Dale im Griff hat. „In dieser Zeit konnte ich weder arbeiten noch Sport treiben. Ich habe mich fast nur zu Hause verbarrikadiert, weil mir alles zu viel war. Wer so etwas nicht erlebt hat, kann es nicht nachvollziehen“, sagt er. Die größte Last sei die mentale Zermürbung; nicht zu wissen, wie lang die Genesung dauern und ob er überhaupt seine volle Leistungsfähigkeit zurückerlangen wird. „Ich habe das psychische Element komplett unterschätzt und wurde eines Besseren belehrt. Aber ich habe mich einfach nicht getraut, mir psychologische Hilfe zu holen, weil ich mich damit nicht gut fühlte.“

Erst am 14. Dezember kehrt er an seinen Arbeitsplatz zurück. Nach sechs Wochen Krankheit hatte er Krankengeld bezogen. „Die Sorge vor Berufsunfähigkeit war groß, da die Berufsgenossenschaft für Eishockeyspieler eine Gehirnerschütterung als Grund nicht akzeptiert, weil die Symptome auch vorgeschoben werden könnten“, sagt Steck. Als im Januar dieses Jahres erneut Schwindel und Müdigkeit auftreten, sind die Ängste sofort wieder präsent. Diagnostiziert wird allerdings das Epstein-Barr-Virus, das neben Schwindel und Müdigkeit auch das Pfeiffersche Drüsenfieber auslöst. „Da war ich fast schon glücklich über die Diagnose und darüber, dass es nicht wieder das Gehirn ist, das verrücktspielt“, sagt Dominic Steck.

Freundin stützt Steck, die Geburt von Sohn Noah gibt im Kraft

Er berichtet sehr gefasst von dieser unheimlichen Verkettung unglücklicher Umstände, seine Worte jedoch unterstreichen die Emotionen, die in ihm aufwallen. „Die vergangenen vier Jahre waren wirklich die Hölle, aber am schlimmsten waren die vier Monate Ende 2022“, sagt er. Geholfen habe ihm in der schwersten Zeit in erster Linie der Zuspruch seiner Freundin Luisa. Auch die Geburt des gemeinsamen Sohnes Noah im November habe ihm Kraft gegeben, obwohl der Kleine die ersten neun Tage nach der Geburt wegen gesundheitlicher Probleme im Krankenhaus verbringen musste.

Dankbar ist er zudem allen behandelnden Ärzten, seinem Arbeitgeber, der ihm alle Zeit zur Genesung gab und damit zusätzlichen Stress ersparte, und seinem Verein, der ihm medizinischen Beistand zusicherte. Von den Heimspielen habe er sich bewusst ferngehalten, „weil ich einerseits den Abstand brauchte und andererseits auch gar nicht in der Lage gewesen wäre, einem Eishockeyspiel zu folgen“.

Dominic Steck wird in dieser Saison nicht wieder aufs Eis zurückkehren. „Ich bin zwar wieder in der Lage, meinen Alltag zu bewältigen, aber körperlich erst bei rund 70 Prozent meiner Fitness“, sagt er. Ausschließen, dass er noch einmal für die Crocodiles oder einen anderen Club – sein Vertrag läuft zum Saisonende aus – antreten wird, will er aber nicht.

Eishockey ist für Dominic Steck eine Sucht

„Der gesunde Menschenverstand sagt natürlich, dass ich aufhören muss. Aber Eishockey ist wie eine Sucht. Wir sind uns alle bewusst, dass jede Gehirnerschütterung diejenige sein kann, die dein Leben komplett verändert. Aber wenn man das nicht ausblenden könnte, gäbe es keinen Profisport mehr“, sagt er.

Allerdings ist ihm auch klar, dass er nicht mehr allein das Risiko trägt, sondern für eine Familie verantwortlich ist. Und das Geld, das ein Drittligaspieler verdient, kann kein Anreiz sein, dafür die Invalidität zu riskieren. Es spricht deshalb vieles dafür, dass die kleine Beule, der er kaum Beachtung schenkte, das letzte sichtbare Zeichen gewesen sein wird, das Dominic Steck aus einem sportlichen Wettkampf davongetragen hat.