Hamburg. Saba Shakalio, Athletiktrainerin beim FC St. Pauli, erforscht Auswirkungen des Zyklus aufs Training von Sportlerinnen.

Ihr Körpergefühl sei ein sehr bewusstes. Kaffee? „Nein, danke!“ Saba Shakalio bleibt lieber bei einem stillen Wasser, als sie die Abendblatt-Redaktion am Großen Burstah besucht. Auch den FC St. Pauli habe sie sich sehr bewusst ausgesucht. „Ich glaube, der Verein ist sensibler und aufgeschlossener, Unterschiede wahrzunehmen und anzuerkennen. Dieses Umfeld benötige ich für meine Arbeit“, sagt die 29-Jährige. Was Shakalio macht ist auf den ersten Blick allerdings nichts, wofür eine besondere Sensibilität nötig wäre: Sie ist Athletiktrainerin der Regionalliga-Fußballerinnen des Kiezclubs. Selbst das, was am Trainingsansatz der in Teheran geborenen und aufgewachsenen und mit 20 Jahren nach Hamburg gezogenen Deutsch-Iranerin speziell ist, sollte bei rechtem Überlegen schnöde Normalität sein. Ist es aber nicht. Shakalio forscht über den Einfluss der Menstruationszyklen auf die Trainingsperiodisierung von Leistungssportlerinnen.

Und hierbei hat die Sportwissenschaftlerin festgestellt: „Die meisten Trainer, vor allem männliche, haben überhaupt keine Ahnung von der Periode.“ Dies zu ändern, hat sich Shakalio, die ihren Master in Sportphysiotherapie an der Deutschen Sporthochschule Köln gemacht hat, zum Ziel gesetzt. Am Montag hat sie einen Workshop für Übungsleiter des Clubs und Interessierte geleitet. Thema: „Topfit vor dem Eisprung.“ Ihre Einheiten beim Frauenteam richtet Shakalio, sofern möglich, was bei Amateursportlerinnen zwecks Trainingszeiten und Verfügbarkeit eine Herausforderung ist, nach dem weiblichen Zyklus aus. Das Trainerteam um Jan-Philipp Kalla und Kim Koschmieder weiß es zu schätzen.

"Die meisten Trainer, vor allem männliche, haben überhaupt keine Ahnung von der Periode"

Zu der Erkenntnis, dass es in diesem Bereich eine ganze Menge zu tun gibt, gelangte Shakalio durch ihre eigene sport­liche Biografie. In ihrer Heimat spielte die Sportabiturientin erstklassig Wasserball, was angesichts ihrer zarten Statur nur schwierig vorstellbar ist. Bei einer Leistungsdiagnostik wollte die heutige Hobbytriathletin wissen, ob ihre Menstruationsbeschwerden mit ihrem für Frauen äußerst geringen Körperfettanteil von weniger als zehn Prozent zusammenhängen könnten. „Die Person war völlig überfordert, steht damit aber keineswegs allein da. Der weibliche Körper ist in der Forschung seit jeher extrem unterrepräsentiert, die Studienlage im Sport, die sich ausschließlich auf Frauen bezieht, liegt im einstelligen Prozentualbereich“, sagt Shakalio. Das prangert sie an, fordert ein Umdenken, jedoch auf eine angenehm entspannte Art, ohne dabei penetrant oder anmaßend zu wirken.

Also beziehen sich ihre Bachelorarbeit an der MSH Medical School Hamburg sowie ihre Masterarbeit in Köln unter anderem auf sportbedingte Krankheiten, die Frauen entwickeln. Eine Erkenntnis: Viele Leistungssportlerinnen, die Menstruationsbeschwerden haben oder bei denen sogar überhaupt keine Periode mehr einsetzt, leiden an Osteoporose, einer deutlich verminderten Energieverfügbarkeit und immunologischen Erkrankungen. Die Konsequenzen von Übertraining wirken sich bei Frauen zudem fataler aus als bei Männern.

„Jahrelang hieß es, es sei normal, nicht zu menstruieren. Logischerweise ist es das nicht, und nur gesunde Sportlerinnen sind langfristig in der Lage, Erfolge zu erzielen“, sagt Shakalio. Dabei sei es sogar recht simpel, das Training für Frauen zu strukturieren, indem es sich an der körperlichen Periodisierung orientiert: „Vereinfacht ausgedrückt: In der anabolen Phase nach dem Eisprung Gas geben, in der katabolen Phase eher regenerieren.“

Ganz wichtig ist die Diagnostik: Welche Phase des Zyklus wird wann durchlaufen

Shakalio möchte nicht falsch verstanden werden. Der weibliche Organismus sei zu jedem Zeitpunkt in der Lage, Höchstleistungen zu erbringen. „Die Frage ist nur: Welcher Aufwand wird dafür benötigt?“ Orientiere sich die Athletin an ihrem Zyklus, sei die Kosten-Nutzen-Rechnung deutlich vorteilhafter, hat die Hamburgerin erforscht. „Sportlerinnen ohne Zyklus haben kein Leistungstal, aber auch keinen Leistungsberg. Der Zyklus ist sogar ein Segen, weil das Verletzungsrisiko reduziert werden kann, wenn die Phasen korrekt beachtet werden“, sagt Shakalio. Tatsächlich steigt die Gefahr beispielsweise eines vorderen Kreuzbandrisses um rund das Dreifache, wenn die Sportlerin in der Eisprungphase ist, weil während dieser aus hormonellen Gründen die Bänder beweglicher und damit anfälliger sind.

Am wichtigsten bei der Trainingsperiodisierung sei dementsprechend die Dia­gnostik darüber, welche Phase des Zyklus derzeit durchlaufen werde. Zur exakten Bestimmung verwendet Shakalio einen sogenannten Ovularing, der vaginal getragen wird und 288-mal am Tag die Basaltemperatur misst. Hintergrund: Frauen erleben einen Temperaturanstieg, wenn der Eisprung einsetzt. „Der gesundheitliche Nebeneffekt, der über den fürs Training hinausgeht, ist der, dass der Zyklus sensibel auf Stressfaktoren reagiert. Wenn etwas im Körper nicht stimmt, merkt die Frau es daran als Erstes“, sagt Shakalio, die mithilfe des Ovularings eine Studie mit den Wasserballerinnen des Eimsbütteler TV erhoben hat.

Zyklusorientierte Trainingsperidisierung: Ein Projekt mit Strahlkraft

Einen Datensatz relevanter Größe im Amateursport zusammenzutragen, sei jedoch kaum möglich. Dennoch kann Shakalio in ihrer wöchentlichen Athletikeinheit beim FC St. Pauli immer wieder individuell auf Spielerinnen eingehen, da diese sie einzeln zur Beratung konsultieren. In der Regionalliga Nord haben sich die Kiezkickerinnen nach zwischenzeitlich sechs Siegen in Serie auf einem soliden sechsten Platz stabilisiert.

Ihre Arbeit am Millerntor soll ein Projekt mit Strahlkraft für Shakalio sein. „Der Frauenfußball professionalisiert sich, gleichzeitig gibt es aber in Deutschland keinen Club, der eine zyklusorientierte Trainingsperiodisierung umsetzt“, sagt sie. Die persönliche Zukunft sieht sie dennoch nicht im Fußball, sondern in der Wissenschaft. Derzeit arbeitet Shakalio zusammen mit dem Olympiastützpunkt in Leipzig an einem Themenheft über die Leistungsfähigkeit von Frauen, dazu sei ihr Kopf „voll mit einer langen Liste“ an Forschungsthemen. „Es gibt noch so vieles, was wir über den weiblichen Körper nicht wissen. Das möchte ich ändern.“

Beim Training der Profis am Dienstag fehlten Rechtsverteidiger Luca Zander, Mittelfeldmann Marcel Hartel sowie die langzeitverletzten Innenverteidiger David Nemeth und Christopher Avevor.