Hamburg. Direktorin Sandra Reichel und Botschafterin Andrea Petkovic über das Turnier in Hamburg und die Zukunft des deutschen Damentennis.

Es ist der erste Auftritt der deutschen Tennisdamen seit dem Karriereende von Andrea Petkovic. Dennoch wird die 35 Jahre alte Darmstädterin dabei sein, wenn die Auswahl von Bundestrainer Rainer Schüttler, der Jule Niemeier (23/Dortmund), Anna-Lena Friedsam (28/Neuwied), Laura Siegemund (34/Metzingen) und die Hamburger Debütantin Eva Lys (20/Club an der Alster) nominiert hat, an diesem Freitag und Sonnabend in Rijeka gegen Kroatien versucht, den Abstieg aus der Weltgruppe des Billie Jean King Cups (vormals Fedcup) zu vermeiden.

Petkovic kommentiert das Relegationsduell für den Streamingdienst Tennis Channel (tennischannel.app), ist an der Fortentwicklung des Damentennis aber auch in ihrer Position als Botschafterin der Hamburg European Open am Rothenbaum interessiert. Gemeinsam mit Turnierdirektorin Sandra Reichel (51) wagt sie im Abendblatt-Gespräch einen Ausblick auf die Zukunft.

Hamburger Abendblatt: Frau Petkovic, die deutschen Damen gehen als Außenseiterinnen in die Partie in Kroatien. Wie lange wird es nach den Rücktritten von Julia Görges und Ihnen und dem schleichenden Abschied von Angelique Kerber dauern, bis Deutschland im Billie Jean King Cup wieder in der Weltspitze mitspielt?

Andrea Petkovic: Ich glaube nicht, dass es so schwarz ist, wie viele es aktuell malen. Natürlich ist Kroatien mit den Topspielerinnen Donna Vekic und Petra Martic Favorit. Vielleicht sind sie eine zu große Herausforderung zum falschen Moment. Aber Jule Niemeier kann jede schlagen, an jedem Tag. Anna-Lena Friedsam und Laura Siegemund waren zwar oft verletzt, bringen aber dennoch viel Erfahrung mit. Und mit Eva Lys haben wir eine Debütantin, die sich in den vergangenen Monaten enorm verbessert hat. Deshalb glaube ich, dass wir für eine Überraschung sorgen können.

Dennoch ist nicht zu leugnen, dass die Lücke hinter Ihrer Generation riesig ist. Was ist zu tun, um diese Lücke schnellstmöglich zu schließen?

Petkovic: Wir haben eine ganze Generation verloren mit den Rücktritten von Carina Witthöft, Annika Beck und Antonia Lottner, das ist nicht wegzudiskutieren. Dennoch glaube ich, dass meine Generation zum richtigen Zeitpunkt aufgehört hat, da Jule ihren Durchbruch geschafft hat und es mit Eva, Noma Noha Akugue, Nastasja Schunk und Ella Seidel herausragende Talente gibt, die nachfolgen. Ich glaube nicht, dass wir viele Jahre warten müssen, bis wir wieder oben sind. Aber ein paar Jahre Geduld sollten wir schon aufbringen mit den Jüngeren.

Man hört oft, dass die heutigen Generationen nicht den Biss und Willen hätten wie Ihre Generation. Wie schafft man es, dass die Spielerinnen dennoch ihr Potenzial optimal nutzen?

Petkovic: Unser großer Vorteil damals war, dass wir uns gegenseitig pushen konnten. Eine solche interne Konkurrenz hat Jule Niemeier leider nicht. Allerdings ist das in der Gruppe um Eva Lys auch schon wieder anders, und sie können auch Jule Druck machen. Ob der Biss fehlt, kann ich nicht beurteilen, weil ich die Mädels nur selten im Training sehe. Es heißt manchmal, dass der Anreiz, es im Tennis in die Spitze zu schaffen, nicht mehr so groß sei, weil es so viele andere Möglichkeiten gibt, sich beruflich zu verwirklichen. Aber wenn ich sehe, wie viel Preisgeld heute auf der WTA-Tour verdient werden kann, sollte allein das Anreiz genug sein, alles aus sich herauszuholen.

Frau Reichel, Sie sind Österreicherin, setzen sich aber schon viele Jahre als Turnierveranstalterin in Deutschland für das hiesige Damentennis ein. Warum liegt Ihnen Deutschland so am Herzen?

Sandra Reichel: Ich denke nicht in nationalen Kategorien. Ich bin Europäerin und möchte in erster Linie das Damentennis als Ganzes entwickeln und dabei helfen, die Diskrepanz zwischen Damen und Herren zu verringern. In Deutschland habe ich mich erstmals 2013 in Nürnberg engagiert, weil es mich gewundert hat, wie wenig Damenturniere es gab. Ich habe das Potenzial erkannt, und ich bin froh zu sehen, wie es sich entwickelt hat.

In den vergangenen Jahren sind Turniere in Bad Homburg, Berlin und Hamburg dazugekommen. Warum sind Heimturniere so wichtig für die Entwicklung der nationalen Szene?

Reichel: Die Atmosphäre ist einfach eine ganz besondere, das spüre ich immer wieder, wenn am Rothenbaum deutsche Spielerinnen auf den Court kommen. Sie müssen lernen, damit umzugehen, und diese Möglichkeit wollen wir den deutschen Spielerinnen geben. Erfolgreich auf dem Heimatmarkt zu spielen ist auch aus wirtschaftlichen Gründen wichtig, aber vor allem für die sportliche Entwicklung.

Petkovic: Auf Heimturnieren kann man Selbstvertrauen für die gesamte Tour sammeln. Die Unterstützung der Fans hat einen riesigen Effekt auf die eigene Leistung. Leider sorgt der neue Modus des Billie Jean King Cups dafür, dass man mit dem Nationalteam viel weniger Heimspiele hat. Umso wichtiger ist es, dass wir unsere Heimturniere ausbauen.

Dafür sind Sie in Hamburg angetreten. Was ist das Besondere, das Sie für den Rothenbaum begeistert hat?

Petkovic: Ganz klar die Tradition des Turniers. Hamburg war, als ich 15 Jahre alt war, das erste Turnier, das ich auf der WTA-Tour spielen durfte. In Hamburg muss man niemandem erklären, dass es ein Tennisturnier gibt, das ist an anderen Standorten, wo man etwas neu zu etablieren versucht, anders und sehr langwierig. Außerdem macht die Stadt 50 Prozent an der Entscheidung aus, wo die Profis spielen. Da bietet Hamburg sehr viele Argumente, warum es sich lohnt herzukommen.

Reichel: Die Stadt ist sicherlich unser Unique Selling Point. Die Unterstützung aus der Politik, der Wirtschaft und von den Tennisfans ist riesig, es ist ein Rundumpaket, das einfach passt. Außerdem ist Hamburg eine sehr offene Stadt, in der ich das Gefühl habe, dass die Bereitschaft, Damentennis zu fördern, groß ist. Mein Eindruck ist, dass sich alle darüber freuen, dass wir das Damentennis nach 19 Jahren Pause 2021 wieder zurück an den Rothenbaum gebracht haben.

Rothenbaum-Turnierchefin Reichel: „„Wir planen für 20, 30 Jahre“

In diesem Jahr gab es sogar erstmals seit 1978 wieder ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier. Allerdings hat der Deutsche Tennis-Bund (DTB) als Lizenzinhaber des Herrenturniers entschieden, von 2024 an mit der Agentur Tennium zu arbeiten, Sie halten dann nur noch die Damenlizenz. Was verändert das in Ihrer Herangehensweise?

Reichel: Ich konzentriere mich nie auf andere Themen, sondern nur auf das, was ich beeinflussen kann. 2023 wollen wir noch einmal ein kombiniertes Event durchführen, danach fokussieren wir uns auf das Damenturnier. Im Gegensatz zur Herrentennisorganisation ATP, die ihre 500er-Lizenzen befristet vergibt (am Rothenbaum aktuell bis 2038, d. Red.), gilt eine WTA-Lizenz lebenslang. Unser Plan ist, das Damenturnier langfristig und nachhaltig am Rothenbaum zu verankern, also für die nächsten 20, 30 Jahre.

Wird das Herrenturnier von 2024 an ein Konkurrenzprodukt sein, oder ist eine friedliche Koexistenz möglich?

Petkovic: Der DTB sollte ein Interesse daran haben, den Sport für Damen und Herren gleichrangig weiterzuentwickeln. Deshalb gehe ich davon aus, dass er weiterhin das Damenturnier in Hamburg unterstützt und wir gemeinsam die beste Lösung für beide Turniere finden. Wäre das nicht der Fall, hätten wir eine neue Thematik. Aber ich bin überzeugt, dass wir alle den Erfolg für beide Turniere wollen. Da zählen nun Taten, nicht nur Worte.

Wie lässt sich das Damenturnier am Rothenbaum weiterentwickeln? Ist der Termin im Juli auf Sand zwischen der Rasen- und Hartplatzsaison der beste, oder sollte man versuchen, vor das Sand-Grand-Slam in Paris zu kommen? Ist eine Aufwertung vom 250er- auf den 500er-Status geplant?

Reichel: Nach Hamburg passt und gehört ein 500er-Turnier. Die Gespräche darüber mit der WTA laufen, eine Aufwertung ist sowohl in der Sandplatzsaison vor den French Open als auch im Juli möglich. Wir setzen uns da keinerlei Schranken im Denken, aber werden alles mit unseren Partnern besprechen.

Petkovic: Ich glaube, dass der Termin im Juli ein guter ist, denn viele Spielerinnen wollen nach Wimbledon gar nicht sofort in die USA und wären froh, noch ein 500er-Turnier auf Sand in Europa spielen zu können. In der direkten Woche vor Paris – und die wäre angesichts der Ausweitung der Mastersturniere in Rom und Madrid in der Verlosung – wollen viele Topspielerinnen gar kein Turnier spielen. Die Aufwertung zu einem 500er-Event ist sehr wichtig, und wenn sie kommt, dann glaube ich, dass wir im Juli ein tolles Starterfeld haben könnten.

Welche Möglichkeiten der Weiterentwicklung über Status und Starterinnenfeld hinaus sehen Sie?

Reichel: Wir möchten gern, vielleicht schon 2023, einen Ländervergleich für den Nachwuchs, also die Altersklassen U 12 und U 14, integrieren. Das ist wichtig, um die nachfolgenden Generationen heranzuführen. Ich bin sehr glücklich, dass wir mit Eva Lys, Noma Noha Akugue, Ella Seidel und auch Tamara Korpatsch vier Spielerinnen aus Hamburg haben, die die Zukunft des deutschen Damentennis maßgeblich prägen werden. Das sollte auch dem Turnier zugutekommen.

Frau Reichel, Sie haben durchblicken lassen, dass Sie den Posten der Turnierdirektorin an Andrea Petkovic weiterreichen würden. Wie intensiv verfolgen Sie diesen Plan?

Reichel: Seit Andrea 2009 in Bad Gastein ihr erstes WTA-Turnier gewann, haben wir eine besondere Beziehung. Ich wusste damals, dass ich den Kontakt zu ihr nie würde abreißen lassen, denn sie war als Spielerin und ist als Mensch etwas ganz Besonderes. Ich mache mir wenig aus Titeln, deshalb bin ich total offen, ihr die Turnierdirektion oder eine Rolle als Chairwoman zu geben, wenn sie bereit ist.

Und, Frau Petkovic, sind Sie bereit?

Petkovic: Ich bin momentan sehr glücklich mit meiner Botschafterrolle. Aber ich spüre, wie sehr mir das Hamburger Damenturnier am Herzen liegt. Ich möchte meinen Beitrag leisten, es fest und nachhaltig zu etablieren.

Ist eine Rolle im DTB eine Option?

Petkovic: Mit Chefbundestrainerin Barbara Rittner habe ich darüber viel gesprochen. Ich bin gern bereit, meine Erfahrung einzubringen, um jungen Spielerinnen in ihrer Entwicklung zur Seite zu stehen. Aber eine Einbindung in feste Strukturen ist nicht das, was zu mir passt. Ich werde mich dort engagieren, wo ich gebraucht werde, um nachhaltig und langfristig zu helfen.