Glinde. Beim TSV Glinde ist die Abteilung Familiensache. Ein Beispiel für ehrenamtliches Engagement, ohne das der Sport nicht funktionieren würde.

Der Wirt der Vereinsgaststätte Opatija empfängt Edith Groth mit einer herzlichen Umarmung – „alles gut?“ Das Weißbier für Ehemann Bernd zapft sich praktisch von allein. Läuft, man kennt und schätzt sich schließlich seit Jahren. „Das ist hier wie ein zweites Zuhause“, sagt Edith Groth und meint damit den ganzen TSV Glinde und insbesondere die rund 500 Fußballer, die die 58-Jährige als „gute Seele der Abteilung“ bezeichnen.

„Es gab noch nicht einen Tag, an dem ich keine Lust auf meine Arbeit hier hatte“, sagt sie. Vor 22 Jahren ging es los mit dem unbezahlten Engagement in der Freizeit für den Verein. Und wie so oft war es zunächst ein durchaus egoistisches Motiv, mit dem alles begann: „Unser Sohn Phillip war damals vier und wollte Fußball spielen. Es gab aber nicht genug Trainer und Betreuer. Also habe ich es selbst gemacht.“

Gemeinsam mit einem anderen Trainer als ihrem „Vorturner“ zog sie das Team durch die Jahre hoch bis in den Erwachsenenbereich. Auch wenn es zunächst Vorbehalte gab – „wir wollen keine Frau“. Das stachelte sie aber eher an. Die ehemalige Handballerin („Fußball mochte ich nicht wegen der Grandplätze“) bildete sich mit Betreuerscheinen und der Kinder- und Jugendtrainer-Ausbildung weiter. Einige aus dieser Mannschaft spielen heute noch bei den Herren in der Bezirksliga Ost – wie auch Phillip.

Bei Glindes Heimspielen kassiert Edith Groth das Eintrittsgeld

Mittlerweile kümmert sich die kaufmännische Angestellte als Kassenwartin um die Finanzen der Fußball-Herren. Sechs Teams von der ersten Mannschaft bis zu den Ü-55-Senioren hat der TSV am Start. Da sind Verbandsabgaben zu kalkulieren, die Steuer zu befriedigen, Spenden zu verbuchen, Aufwand zu ersetzen. Nur eines gibt es nicht, sagt die Kassenwartin: „Wir bezahlen unsere Spieler nicht.“ Bei den Heimspielen der 1. und 2. Herren läuft sie bei Wind und Wetter zudem mit dem Klingelbeutel herum und kassiert das Eintrittsgeld.

Am Freitag backt sie Kuchen, den sie am Wochenende in der kleinen Holzhütte am Spielfeldrand verkauft. Das Geld fließt komplett in die Fußball-Förderkasse. Auch da hat sich die Pandemie bemerkbar gemacht. „Normalerweise kommen bis zu 13.000 Euro im Jahr zusammen“, sagt sie, „dieses Jahr waren es nur 5000.“

Auch Sohn Phillip engagiert sich ehrenamtlich beim TSV Glinde

1992 sind die Groths aus Hamburg nach Glinde gezogen, weil es dort bezahlbaren Wohnraum gab. „Aber wir fühlen uns als Hamburger, wir sind Barmbeker“, sagen beide. Bernd Groth (57) hat früher beim SC Urania selbst gekickt. Im Jahr 2000 sind sie dann beim TSV Glinde eingetreten. Praktisch jedes Wochenende ist seitdem verplant, Urlaube oder Freizeiten werden, wenn möglich, dem Spielplan angeglichen.

Ehemann Bernd ist als „Grillmeister“ für die Würstchen am Spielfeldrand zuständig, auch er ist also komplett dabei – „muss ich ja, wenn ich meine Frau sehen will“, sagt er mit einem Lächeln. Der EDV-Experte erstellt und betreut zudem die Website der Fußballabteilung, dokumentierte fotografisch den Bau des Kunstrasenplatzes, erstellte Foto-CDs zu Weihnachten. Lehramtsstudent Phillip (26) bringt sich seit dem Sommer als Jugendwart für den gesamten, etwa 2500 Mitglieder großen TSV Glinde ein.

„Ich kenne das ja gar nicht anders, bin damit groß geworden“, sagt er. Phillip hatte bereits ein Freiwilliges Soziales Jahr im Club absolviert und dabei selbst gemerkt, dass Arbeit in einem Sportverein etwas Erfüllendes sein kann. Jetzt freut er sich auf Jugendfreizeiten im nächsten Jahr und hofft, dass die auch wie geplant stattfinden können.

Edith Groth arbeitet 400 Stunden ehrenamtlich im Jahr

Ohne Ehrenamt würde der organisierte Amateursport in Deutschland nicht funktionieren. 1,59 Millionen Ehrenamtliche arbeiten nach einer Statistik des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) bundesweit allein im Fußball mit. Der Amateurfußball schafft demnach laut DFB-Berechnungen 2019 eine Sozialrendite von 13,9 Milliarden Euro. Im Hamburger Fußball-Verband (HFV) „erwirtschaften“ vor der Pandemie 38.000 Ehrenamtliche wie die Familie Groth mit ihrer Arbeit rund 355 Millionen Euro für das Allgemeinwohl.

„Das hervorragende ehrenamtliche Engagement der Einzelnen ist die Basis für die Zukunftsfähigkeit unserer Vereine“, sagt Andreas Hammer, Ehrenamtsbeauftragter des HFV. Er weiß aber auch, „dass das klassische Ehrenamt ein wenig ausstirbt.“

Der DFB und seine Verbände versuchen deshalb, jüngere Menschen mit der Aktion „Fußballhelden – das junge Ehrenamt“ zu ködern. Der HFV hat 2021 vier junge Trainer ausgewählt, die zu 249 Ehrenamtlichen zwischen 18 und 30 Jahren gehören, die der DFB im Mai zu einer Workshop-Reise nach Spanien schickt. „Für junge Menschen steht das Bilden von Netzwerken an erster Stelle“, sagt Hammer, „wir sind da auf einem ganz guten Weg.“

Im Juli 2021 wurde Edith Groth mit einer Urkunde und einer DFB-Ehrenamtsuhr ausgezeichnet. „Sie ist die einzige unersetzbare Person im Verein“, lobte Sören Deutsch, der Trainer der Bezirks­ligamannschaft des TSV. Zur Ehrung ließ Deutsch seine gesamte Mannschaft antreten.

Auf etwa 350 bis 400 Stunden schätzt Edith Groth ihren Zeitaufwand für den Verein im Jahr, bei Bernd werden es auch rund 300 Stunden sein. „Mir gibt die Arbeit ein Stück Lebenserfahrung, man lernt Menschen kennen und schließt Freundschaften, es ist hier wie eine Familie, und ich gebe dem Verein etwas zurück“, sagt Edith Groth: „Ich mache auf jeden Fall weiter, so lange ich gesund bleibe.“