Hamburg. Ende August gewann Ruderweltmeister Lars Wichert den Ironman. Nun startet er bei der WM im Küstenrudern. Über den „Active City Hero“.

Beginnen wir diesen Text aus gegebenem Anlass mit einem Warnhinweis: Treffen Sie diesen Mann niemals, wenn Sie unter Minderwertigkeitskomplexen leiden! Lars Wichert ist kein Großkotz, beileibe nicht. Aber es ist schwierig, sich nicht klein und hilflos zu fühlen, wenn der 34-Jährige von dem erzählt, was er in den vergangenen Monaten in sein Leben gepresst hat und in den kommenden Monaten noch erledigen möchte.

Wäre Harry Potter nicht Fiktion, dann müsste man unverzüglich eine Leibesvisitation durchführen, um den Zeitumkehrer zu finden, der es Hamburgs vielseitigstem Leistungssportler erlaubt, wie Hermine Granger an mehreren Orten gleichzeitig zu sein.

Leistungssport: Wichert begann Karriere im Rudern

Lars Wichert hat seine Leistungssportkarriere im Rudern gestartet. 2012 und 2016 wurde er mit dem deutschen Leichtgewichtsvierer jeweils Neunter bei den Olympischen Spielen, 2010 und 2012 war er Weltmeister mit dem leichten Achter. Als er im März 2019 zum zweiten Mal Vater wurde, entschied der Sportsoldat, die aktive Karriere zu beenden, um mehr Zeit für die Familie zu haben.

Doch weit gefehlt: Knapp zweieinhalb Jahre später, am 29. August, läuft er als Gewinner des Hamburger Ironman-Wettkampfes auf dem Rathausmarkt ins Ziel. Bei 8:12:42 Stunden steht die Uhr – eine für Debütanten auf der Triathlon-Langdistanz über 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und einen Marathonlauf erstaunliche Zeit. Noch verwunderlicher aber ist das, was der Triumphator wenige Wochen später, als er sich nach seiner Erholungsphase zum Gespräch mit dem Abendblatt trifft, zur Einschätzung seiner Leistung zu sagen hat.

Wichert trainiert heute weniger als früher

„Ich investiere aktuell deutlich weniger Zeit ins Training, als es früher im Rudern der Fall war“, sagt er. Der Unterschied zu damals sei, dass er heute keiner Gruppe gegenüber mehr verpflichtet sei und seine Übungseinheiten deshalb frei einteilen könne. Laufen und Radfahren seien von seinem Wohnort Asendorf in der Nordheide aus pro­blemlos möglich, einzig das Schwimmtraining sei eine große Herausforderung vor dem Ironman gewesen.

„Vor Corona war ich nur zum Planschen mit meinen Kindern im Schwimmbad gewesen“, sagt er. Als feststand, dass der Ironman 2021 stattfinden würde, habe er sich mittels YouTube-Videos eine halbwegs brauchbare Kraultechnik angeeignet. „Aber mehr als 40 Schwimmkilometer waren es in der Vorbereitung nicht“, sagt er.

Radfahren wurde der Ausgleichssport

Was dem 185 Zentimeter langen Athleten zugutekommt, ist seine Ausdauerfähigkeit. Das Radfahren, vorzugsweise auf dem Mountainbike, hatte er schon während seiner Ruderkarriere als Ausgleichssport entdeckt. 2017 startete er mit seinem Ruderkollegen Philipp Birkner beim härtesten Mountainbikerennen der Welt, dem Cape Epic in Südafrika, einem Acht-Etappen-Wettkampf über 695 Kilometer unter extremen klimatischen Bedingungen. So einen können 180 Kilometer im Sattel bei Hamburger Schmuddelsommerwetter kaum schocken. Einen Marathon hintendran läuft Lars Wichert quasi zum Abkühlen.

Tatsächlich war das Sommerprogramm, das er geplant hatte, etwas anders vorgesehen. Für das monatlich erscheinende Hamburger Sportmagazin „Sporting“ ist Wichert als Kolumnist tätig, und in dieser Rolle sollte er sich als „Active City Hero“ beweisen, der die drei Ausdauer-Großevents – Marathon, Triathlon, Cyclassics – absolviert.

Wichert sicherte sich Ticket für Hawaii-Ironman

Nachdem die Cyclassics abgesagt wurden, konzentrierte er sich eben auf das Event, das alles vereint. Mit dem Nebeneffekt, dass er sich als Hamburg-Sieger das Ticket für den legendären Hawaii-Ironman im Oktober 2022 sicherte. „Das ist natürlich ein tolles Highlight“, sagt der Mitbegründer des Vereins „Wir für Yannic“ in Erinnerung an Ex-Ruderer Yannic Corinth, der sich 2016 das Leben genommen hatte. Der Verein hat sich zum Ziel gemacht hat, das Thema „Depressionen im Leistungssport“ zu enttabuisieren.

Seine nächste sportliche Dienstreise führt Wichert nun immerhin von der Alster an die Atlantikküste. An diesem Wochenende finden in Oeiras (Portugal) die Weltmeisterschaften im Küstenrudern statt, einer Disziplin, die 2028 in Los Angeles mit den Sprintrennen über 500 Meter olympisch werden soll.

Zweimal Vizeweltmeister im Küstenrudern

Und weil Lars Wichert 2019 mit dem Abschied vom Leistungssport natürlich das Ruder nicht vollends aus der Hand gelegt hat, geht er im Einzel über die Sechs-Kilometer-Langstrecke an den Start. Selbstverständlich nicht ohne Ambitionen: „Eine Medaille ist mein Ziel, aber der Spaß steht mittlerweile im Vordergrund“, sagt Lars Wichert, der sich neben seinem Ehrenamt als Athletensprecher im Deutschen Ruderverband (DRV) auch als Berater der DRV-Coastalsparte betätigt.

2018 und 2019 war er bereits Vizeweltmeister im Küstenrudern, bei dem im Freiwasser den Naturgewalten getrotzt und ein Kurs gelesen und gehalten werden muss. Aber weil sich die in Deutschland noch in den Kinderschuhen steckende Disziplin, die seit 2006 auf WM-Niveau ausgetragen wird, international immens entwickelt, ist die Herausforderung in diesem Jahr deutlich höher. „Es gibt 77 Meldungen für den Einer und mindestens fünf Titelkandidaten, und wenn ich sehe, wie manche für die WM trainiert haben, weiß ich, dass es für mich hart wird, da mitzuhalten“, sagt er.

Topathlet Wichert hat zwei kleine Söhne

Er selbst habe, der Ironman-Vorbereitung geschuldet, in den vergangenen Monaten kaum für sich allein im Boot arbeiten können. In seinem Verein RC Allemannia betreut er allerdings die Coastal-Riege, aus der immerhin 14 Teilnehmer für die WM gemeldet haben (eine Qualifikation gibt es nicht, starten kann jeder, der einem Verein angehört) und mit der er zweimal pro Woche trainiert.

Nach dem Ironman habe er vier Einheiten pro Woche auf dem Wasser absolvieren können. Mehr als elf Wochenstunden Sport unterzubringen sei utopisch, schließlich teilt sich Lars Wichert mit seiner Frau, die als Kinderärztin arbeitet, die Betreuung der Söhne Jonte (4) und Tinus (2).

Wichert sitzt parallel an seiner Masterarbeit

Und dann ist da noch sein Studium, das er im nächsten Jahr als Master of Arts der Gesundheitsforschung abschließen möchte. Aktuell erstellt er seine Masterarbeit, in der es um Kraftmessungen geht, die während Corona wegen der Kontaktbeschränkungen nicht möglich waren. Aber auch das ist eine Herausforderung, die Lars Wichert meistern wird. Ohne Zeitumkehrer und sonstige Magie. Einfach, weil er es will und kann.