Hamburg. Carola Meyer und Henning Fastrich erklären, warum sie den Hockeyverband als erste Doppelspitze führen.

Auch wenn Hockey grundsätzlich als Innovationen durchaus zugeneigter Sport gilt, war der 15. Mai ein besonderer Tag für den Deutschen Hockey-Bund (DHB). Auf der digitalen Mitgliederversammlung wurden Carola Morgenstern-Meyer (72) und Henning Fastrich (57) als erste Doppelspitze in der Verbandsgeschichte installiert und amtieren für die kommenden zwei Jahre gleichberechtigt als Präsidentin und Präsident.

Wie das funktioniert und ob das enttäuschende Olympiaergebnis ihre Arbeit beeinträchtigt, darüber sprechen die Kölnerin und der Wahl-Hamburger in ihrem ersten gemeinsamen Interview.

Hamburger Abendblatt: Frau Meyer, Herr Fastrich, ketzerisch könnte man sagen: Kaum ist die erste Doppelspitze im Amt, gewinnt der Medaillenbringer Hockey keine Olympiamedaille mehr. Was bleibt für Sie von den ersten Sommerspielen ohne Edelmetall seit 2000?

Henning Fastrich: Es bleibt ohne Umschweife festzuhalten, dass wir alle im DHB enttäuscht sind, die angepeilten Medaillen nicht geholt zu haben. Beide Teams haben es nicht geschafft, kon­stant auf höchstem Niveau ihre Leistungen abzurufen, obwohl sie das Potenzial dazu gehabt hätten. Wir müssen nun gemeinsam mit einem Expertenkreis analysieren, woran es gelegen hat und welche Schlüsse daraus für die kommenden drei Jahre bis zu den Spielen in Paris zu ziehen sind.

Als 2000 in Sydney letztmals beide Teams ohne Medaille blieben, wurden die Bundestrainer ausgetauscht. Warum ist das in diesem Jahr weder bei Damencoach Xavier Reckinger noch bei Herrentrainer Kais al Saadi vonnöten?

Fastrich: Wenige Wochen nach den Olympischen Spielen liegt der Fokus nun auf einer Gesamtanalyse. Wir werden mit allen beteiligten Bereichen sprechen und uns natürlich auch anhören, was die beiden Trainer in ihren Analysen zu Tokio 2021 und an Zukunftskonzepten in Bezug auf Paris 2024 vorlegen können. Wir danken beiden Teams der Olympiamannschaft für den großen Einsatz. Mit den zweiten Plätzen bei der Europameisterschaft Anfang Juni und den beiden gewonnenen Europameistertiteln bei den U19 haben wir 2021 sehr positive Akzente setzen können. An diese Erfolge gilt es anzuknüpfen. Kontinuität ist wichtig, aber eine intensive Analyse und die konsequente Umsetzung der dort gezogenen Schlüsse sind unerlässlich. Daran arbeiten wir gemeinsam.

An der Verbandsspitze wurde die Erkenntnis aus den jahrelangen Querelen der Zeit vor Ihrer Amtsübernahme im Mai 2019 gezogen, Frau Meyer, dass es mehr Gemeinsinn im DHB braucht. Was hat Sie dazu bewogen, die Doppelspitze zu wagen?

Carola Meyer: Für uns war es seit 2019 sehr wichtig, dass wir mehr Frauen in Führungspositionen bringen. Das ist uns gelungen, und es hat die Arbeit befruchtet. Aber nur Frauen oder nur Männer funktionieren nicht so gut wie gemischte Führungsteams. Dies haben wir nun auch konsequent in der Verbandsspitze umgesetzt. Deshalb glaube ich, dass wir jetzt noch einen Tick besser arbeiten, als es vorher der Fall war. Zusätzlich schaffen wir es nun auch, unterschiedliche Kompetenzen in der Führungsspitze zu bündeln.

Fastrich: Es gibt in der Wirtschaft Untersuchungen darüber, dass gemischte Teams im Management besser arbeiten. Wir wollen uns im DHB zu einem modernen mittel-ständischen Unternehmen entwickeln, deshalb setzen wir jetzt auf die gemischte Doppelspitze. Großer Vorteil ist auch, die hohe Belastung im Ehrenamt zu teilen. Dies könnte in Zukunft auch andere dazu bewegen, sich in der Spitze eines Verbandes zu engagieren.

Das Internationale Olympische Komitee setzt seit Jahren auf Gender Equality, also die Gleichberechtigung der Geschlechter. Haben Sie das als Aufruf verstanden, sich in Richtung Doppelspitze zu orientieren?

Meyer: Es gab keinerlei Zwang dazu, von keiner Seite. Für uns ist das eine natürliche Entwicklung, wir wollten es so. Die Geschlechterbalance ist im Hockey seit Jahren schon höher als in anderen Verbänden, was man zum Beispiel daran sehen kann, dass wir unsere Welt- und Europameisterschaften gern als Doppelveranstaltung austragen. Insofern haben wir eine bessere Voraussetzung als andere, diesen Weg tatsächlich konsequent einzuschlagen.

Wollen Sie bewusst als Vorreiter gelten? Schließlich ist Hockey dafür bekannt, innovativ zu sein.

Meyer: Wir gehen sicherlich nicht mit dem erhobenen Zeigefinger durchs Land und sagen anderen Verbänden, dass sie es uns nachmachen müssen. Der Deutsche Olympische Sportbund hat uns sehr für den Schritt gelobt, aber ob er für an-dere eine gute Idee ist, müssen die entscheiden. Wir sind nicht so überheblich, anderen etwas empfehlen zu müssen.

Fastrich: Es ist uns bewusst, dass viele Verbände auf uns schauen und auch nachfragen werden, welche Erfahrungen wir gemacht haben.

Sie sind nun fast 100 Tage gemeinsam im Amt. Wie sind denn die ersten Erfahrungen, wie ist die erste Resonanz?

Meyer: Tatsächlich habe ich noch keine negativen Stimmen vernommen. Ich kann nur bestätigen, dass es bislang eine sehr gute Zusammenarbeit ist.

Fastrich: Carola hat als Präsidentin ein starkes neues Team zusammengeführt und aus ihrer jahrelangen Tätigkeit als Vizepräsidentin beim Europaverband EHF Strukturen mitgebracht, die uns in der Arbeit sehr helfen können. Wir beide wollen innovative Wege finden und vor allem über den nationalen Tellerrand hinausblicken.

Aber wie teilen Sie die Arbeit auf? Und wer spricht das Machtwort, wenn Sie sich mal nicht einig sind?

Meyer: Wir haben neben der Doppelspitze mit dem neuen Präsidium ein kompetentes Team zusammengestellt, das uns bei unterschiedlichen Meinungen unterstützt, und in diesem Team entscheiden wir gemeinsam.

Fastrich: Dieser Führungsstil ist anders als gewohnt, er erfordert mehr Disziplin und Rücksichtnahme. Aber uns hilft der Blick beider Geschlechter auf die verschiedenen Themenbereiche. Mein Gefühl ist, dass wir eine zielorientierte Gemeinschaft sind, die mit viel Spaß an die Arbeit geht und einen lockeren Umgang pflegt. Unser Führungsteam bündelt exzellente Fachleute aus allen Bereichen, und genau das benötigen wir, um die Herausforderungen der kommenden Jahre bestmöglich angehen zu können.

Welche sind das in erster Linie?

Fastrich: Wir müssen die strategische Ausrichtung des DHB deutlich schärfen. Den „deutschen Weg“, den wir gehen müssen, weil wir finanziell nicht so aufgestellt sind wie andere führende Hockeynationen wie Belgien, die Niederlande oder auch Großbritannien, müssen wir deutlicher herausarbeiten, außer-dem die finanzielle Sicherheit des Verbands stärken.

Meyer: Wir haben vor zwei Jahren einen strategischen Plan entworfen, den wir nun Schritt für Schritt umsetzen müssen. Wir wollen die Digitalisierung vorantreiben, die Verbindung zwischen Präsidium, Vorstand und Geschäftsstelle stärken. Unser Blick geht auch auf den Breitensport und den Ligasport, der unsere Basis ist. Oberste Priorität haben aber die beiden Nationalteams, die müssen maximal erfolgreich sein.

Wird das in Paris schon der Fall sein?

Fastrich: Wenn es uns gelingt, aus dem Abschneiden in Tokio die richtigen Schlüsse zu ziehen, dann bin ich davon überzeugt. Wir sind noch immer die erfolgreichste deutsche Mannschaftssportart, keine andere hatte in Tokio zwei Teams am Start. Aber wir müssen schauen, was die aktuell Besten besser machen, und dann unseren Weg finden, das innerhalb unseres Systems umzusetzen. Wir müssen aber auch so mutig sein zu sagen, dass wir den maximalen Erfolg nicht nur wollen, sondern auch ermöglichen können. Deshalb sage ich: In Paris werden wir zwei Medaillen holen.