Hamburg. Damentennischefin Barbara Rittner spricht über die Chancen neuer Turniere und ihre Kritik am Nachwuchs.

Eine gewisse Sentimentalität kann Barbara Rittner nicht verbergen, als sie am Dienstagmorgen während des Gesprächs mit dem Abendblatt im Schatten des Center-Courts am Rothenbaum der früheren Weltranglistenneunten Andrea Petkovic (33/Darmstadt), die als Turnierbotschafterin und Spielerin eine wichtige Doppelrolle ausfüllt, beim Warm-up zuschaut. „Es wäre toll, wenn auch Angie und Jule die Chance gehabt hätten, hier in Hamburg aufzuschlagen“, sagt die 48-Jährige, die als „Head of Women’s Tennis“ im Deutschen Tennis-Bund (DTB) die Oberaufsicht führt.

Angie, Kerber mit Nachnamen, zog ins Halbfinale in Wimbledon ein, während Jule, die auf den Nachnamen Görges hört, ihre Karriere bereits beendet hat. Die Rückkehr des internationalen Damentennis nach Hamburg nach 19 Jahren Abstinenz kommt für die goldene Generation des DTB ein paar Jahre zu spät, und einerseits bedauert Barbara Rittner das.

Andererseits sieht sie in der Neuordnung der Turnierlandschaft, die Deutschland neben dem Comeback des Rothenbaums auch die Rasen-Events in Berlin und Bad Homburg in den Wochen vor Wimbledon gebracht hat, eine große Chance.

Heimturniere setzten eine besondere Energie frei

„Im Tennis entwickeln sich die Dinge in Zyklen. Natürlich ist es schade, dass die Spielerinnen, die mit ihren Erfolgen den Weg für die neuen Turniere bereitet haben, davon nicht profitieren“, sagt sie. „Aber wir haben nun die Möglichkeiten, unserer nachrückenden Generation auf Turnieren in der Heimat die Chance zu geben, sich an das internationale Topniveau zu gewöhnen.“

Heimturniere setzten eine besondere Energie frei, „ich habe in Deutschland immer mein Maximum abrufen können“. Außerdem können die nationalen Verbände bei Turnieren in ihrem Einflussbereich die Verteilung von Wildcards steuern und darüber jenen Talenten Matchpraxis verschaffen, die im Ausland nicht in die Hauptfelder der WTA-Events hineinkommen.

Hinter Kerber und Petkovic klafft eine große Lücke

Wie wichtig das ist, kann ermessen, wer um die Situation im deutschen Damentennis weiß. Hinter den Altmeisterinnen Kerber und Petkovic, deren Karrieren sich im Spätherbst befinden, klafft eine große Lücke, die Rittner als „verlorene Generation“ bezeichnet. Als große Talente gefeierte Spielerinnen wie die Hamburgerin Carina Witthöft (26), Annika Beck (27/Bonn) oder Antonia Lottner (24/Düsseldorf) konnten aus verschiedenen Gründen die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen. „Wer 2024 in Paris bei Olympia antreten soll, kann ich im Moment nicht sagen“, sagt Rittner.

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Mit dem Nachwuchs-Bundestrainerteam, bestehend aus Jasmin Wöhr (40) und Dirk Dier (49), arbeitet die gebürtige Krefelderin seit Jahren daran, die Lücke zu schließen. Dank DTB-Sponsor Porsche können 16 Talente der Jahrgänge 1999 bis 2005 speziell gefördert werden. Sechs von ihnen, darunter die Hamburgerin Eva Lys (19/Club an der Alster), zählen zum Talent Team. Zehn weitere, darunter die deutsche Hallenmeisterin Noma Noha Akugue (17) und Ella Seidel (16/beide Alster), sind dem Junior Team zugeordnet.

Gesellschaftliches Problem

Wer von diesen 16 allerdings das Zeug hat, mittelfristig die Weltspitze zu attackieren, will Barbara Rittner noch nicht beurteilen. „Wir glauben an alle, sonst würden wir sie nicht fördern. Spielerisch ist es eine vielversprechende Generation. Aber wer wirklich den Willen und das Durchhaltevermögen hat, um es im Hochleistungssport zu schaffen, muss sich zeigen“, sagt sie. Ernüchterung und, ja, auch ein gewisser Ärger scheint durch, wenn die Damentennischefin über die Einstellung der jungen Generation spricht.

„Das Problem, vor dem wir stehen, ist ein gesellschaftliches“, sagt sie. Die meisten Toptalente wüssten ihre Privilegien zu wenig zu schätzen, seien zu wenig bereit, sich für ihren Beruf aufzuopfern. Kritikern, die ihr vorhalten, in ihrer Position für die Entwicklung der Spielerinnen verantwortlich zu sein, entgegnet sie: „Die Mädels bekommen vom DTB wirklich das Komplettpaket. Aber umsetzen müssen sie es selber. Wenn sie nicht bereit sind, Ratschläge anzunehmen, liegt das nicht mehr in unserer Verantwortung.“ Selbstkritisch müsse man anmerken, die Talente manchmal zu sehr zu verhätscheln. „Wir machen es ihnen an einigen Stellen zu einfach“, sagt sie.

Rittner fordert eine stärkere Orientierung am Leistungsprinzip

Eine Konsequenz, die Rittner im DTB einfordert, ist eine stärkere Orientierung am Leistungsprinzip. Unter dem Eindruck der Corona-Krise habe man niemandem den Stuhl vor die Tür stellen wollen. „Aber 2022 werden wir Auslese betreiben und Leistung einfordern“, sagt sie. Letztendlich sei es für alle besser, Konsequenzen zu ziehen, bevor die Realität gnadenlos zuschlägt. Wie richtig sie liegt, zeigt die Bilanz der Rothenbaum-Qualifikation. Von sieben Deutschen im 16er-Feld schaffte es nur Anna Zaja (30/Sigmaringen) ins Hauptfeld, die dem Talentalter längst entwachsen ist. Viel Arbeit also, die auf Rittner und ihr Team wartet.