London. Der verrückte Montag in Wimbledon ist ein wirtschaftliches Opfer der Corona-Pandemie. Ein letztes Mal können Fans ihn noch genießen.

Es gibt Namen, Begriffe und Schlagworte, die unzertrennlich mit Wimbledon verbunden sind. „The Queue“ zum Beispiel, die Schlange der unermüdlichen Fans, die in normalen Zeiten bei Wind und Wetter für den Einlass in den Tennistempel anstehen. Oder auch die „Royal Box“, die kleine, feine, königliche Center-Court-Loge, in die man sich mit keinem Geld der Welt einkaufen kann, sondern eingeladen wird vom All England Lawn Tennis Club. Oder der „heilige Rasen“, dieses wie manikürte grüne Spielfeld, in unverwechselbarer Akkuratesse von den Greenkeepern für die Besten im Tennis präpariert.

Allerdings ist auch in Wimbledon nichts für die Ewigkeit. Wer hätte einst gedacht, dass jemals ein bewegliches Dach wie ein Regenschirm den Center Court und Court 1 vor den Unbillen des britischen Sommers schützen würde. Apropos Court 1, der hieß früher „Hinterhof des Henkers“, ein faszinierender Schauplatz beim größten aller Grand-Slam-Wettbewerbe. Genauso wie Court 2, der sogenannte Friedhof der Champions, auf dem regelmäßig die Stars und Sternchen strauchelten, auf dem einst auch die Karriere des siebenmaligen Champions Pete Sampras (USA) trostlos zu Ende ging. Aber beide Plätze sind längst dem großen Modernisierungsprogramm zum Opfer gefallen.

Fans müssen auf den „Manic Monday“

Und nun auch noch dies: 2021 wird das letzte Jahr sein, in dem die Tennisfans den allseits bekannten „Manic Monday“ erleben können. Rein technisch finden an diesem Tag einfach nur alle 16 Achtelfinals der Herren und Damen statt. Doch wie der Begriff des „verrückten Montags“ schon sagt: Es ist ein Ausnahmezustand, ein einmalig dicht gedrängtes Schauspiel mit fast allen Szenegrößen. „Es ist nichts anderes als der beste Tag, den das Tennis kennt“, sagt US-Idol John McEnroe (62), ein ums andere Mal Hauptdarsteller an diesem Wimbledon-Montag, „du weißt gar nicht, wohin du schauen sollst als Zuschauer. Ein Highlight jagt das nächste.“

Auch der Manic Monday ist nun ein wirtschaftliches Opfer der Corona-Pandemie. 2020 war Wimbledon komplett ausgefallen, 2021 findet es mit eingeschränkten Zuschauerzahlen statt. Und die Realität ist: Der All England Lawn Tennis Club, diese stets so profitabel operierende Geldmaschine, muss jetzt seine hohen finanziellen Verluste aus zwei Jahren kompensieren – und so wird es von 2022 an ein neues Spielprotokoll geben.

Spielfreier „Middle Sunday“ verschwindet

Der spielfreie „Middle Sunday“, eine ebenso eherne Tradition, verschwindet. Und das Achtelfinale wird auf zwei Tage verteilt, am Sonntag und am Montag je vier Matches bei Herren und Damen. So wie bei allen anderen Turnieren auch, nix ist es mehr mit der Verrücktheit in Britannien. „Es war immer eine wunderbare Sache, einmal bei einem Grand Slam richtig durchschnaufen zu können – ganz ohne Tennis“, hat Legende Steffi Graf (52) einmal gesagt. Aber das ist nun Vergangenheit.

Der Manic Monday war immer auch ein Sehnsuchtstag. Eine Zwischenstation, an der jede Spielerin und jeder Spieler wenigstens ankommen wollte – zum Auftakt der zweiten, alles entscheidenden Grand-Slam-Woche, in der das Geschehen noch einmal eine ganz neue Dynamik entfaltet. Vierte Runde Wimbledon bedeutet: Mitten drin zu sein im dicksten Trubel, im wahnsinnig prominent besetzten Programm. Und sich mit einem Sieg vielleicht noch größere Träume erlauben zu dürfen.

Hamburger Zverev gegen Auger-Aliasssime

An diesem letzten verrückten Montag hoffen auch zwei Deutsche auf die Fortsetzung der Träume. Für die Kielerin Angelique Kerber, 2018 immerhin bereits mit dem Wimbledon-Titel dekoriert, lief am Sonnabend in der dritten Runde gegen Alexandra Sasnowitsch (27) zunächst nichts zusammen. Doch nach einer Regenpause spielte Kerber wie ausgewechselt und verkörperte die pure Dominanz. Die sichtlich beeindruckte Belarussin hatte beim 2:6, 6:0, 6:1 nicht mehr den Hauch einer Chance. Gegen US-Supertalent Cori Gauff (17), als Weltranglisten-23. fünf Plätze vor Kerber notiert, ist die 33-Jährige nun an diesem Montag im Achtelfinale im zweiten Match nach 14 Uhr auf dem Center-Court gefordert.

Ebenfalls im zweiten Match, aber auf Court 1, versucht sich der Hamburger Weltranglistensechste Alexander Zverev gegen Kanadas Jungstar Felix Auger-Aliasssime (20/Nr. 19) am ersten Viertelfinaleinzug an der Church Road. In seinem Drittrundenmatch hatte der 24-Jährige am Sonnabend den US-Amerikaner Taylor Fritz (23) 6:7 (3:7), 6:4, 6:3, 7:6 (7:4) besiegt.

Ein letztes Mal die volle Wimbledon-Dröhnung

Auch für die Wimbledon-Anhänger aus aller Welt war dieser Manic Monday das Ziel der größten Wünsche und Sehnsüchte, ein Ticket dafür ist begehrter als für die Finals. Früher, als die Fans noch an der Church Road campierten, konnte man bereits am Sonnabendabend die ersten Freaks sehen, die ihre Zelte aufschlugen in der vagen Hoffnung, für den Montag ein Ticket zu ergattern. „Es ist verrückt, es ist wahnsinnig., Und es ist verdammt berührend“, sagte Andy Roddick, der einstige US-Star, „als ich diese Szenerie zum ersten Mal sah, habe ich richtig schlucken müssen. Da wurde einem klar, was Wimbledon ist.“

Noch einmal gibt es nun die volle Wimbledon-Dröhnung, das spektakuläre Erlebnis. Novak Djokovic wird an diesem Montag dabei sein, der 34 Jahre alte Weltranglistenerste aus Serbien, der vielleicht über einen Triumph den echten Grand Slam gewinnt, alle vier Pokale bei den Majorturnieren innerhalb eines Jahres. Roger Federer (39) ist dabei, der achtmalige König von Wimbledon aus der Schweiz. Aber auch Kerber und Zverev, die letzten deutschen Solisten. 5. Juli 2021 – oder: Goodbye, Manic Monday.