Hamburg. Das Unternehmen ist mit Weltmarktführer Stellar fusioniert. Spieler mit Gesamtwert von 1,5 Milliarden Euro unter Vertrag.

Wer mal im Hinterhof vom Eppendorfer Weg 213 zu Besuch war, der würde kaum erahnen, was sich hier seit Kürzestem verbirgt: das neue Epizen­trum des Weltfußballs. Oder eine Dependance dieses Epizentrums – wenn man ganz ehrlich ist. Thies Bliemeisters Terrassentür steht offen, ein Mitarbeiter klopft an der Tür und fragt, ob man beim Italiener um die Ecke Nudeln oder Salat bestellen soll, und alle fünf Minuten kommt (natürlich ohne Anklopfen) entweder Tochter Nummer eins oder Tochter Nummer zwei herein. „Nur eine Ratzfatzumarmung“, sagt Nummer zwei. Welcher Vater könnte da widerstehen?

Papa Bliemeister kann es nicht. Und der Hamburger Spielerberater konnte auch nicht widerstehen, als er vor gut einem Jahr eine ziemlich lukrative Offerte erhielt. Jonathan Barnett, 2020 vom Forbes-Magazin zum einflussreichsten Fußballagenten der Welt gekürt, fragte, ob seine ICM Stellar Sports und Bliemeisters Agentur Sports United nicht fusionieren wollen.

Zwei Anwälte schauten wochenlang über jedes Komma

Eine nette Umschreibung für: aufkaufen. „Wenn man sich 17 Jahre lang ein Unternehmen aufgebaut hat, dann ist man natürlich auch ein wenig nervös, wenn man dieses dann zu Anteilen verkauft“, sagt Bliemeister, der nach etwas Bedenkzeit trotzdem zustimmte und nun auf seiner Visitenkarte „Managing Director and Partner“ stehen hat. Den Kaufpreis will Bliemeister nicht verraten. Nur so viel: „Der Vertrag war dicker als jeder Vertrag, den ich jemals einem Spieler vermittelt habe.“

Zwei Anwälte schauten wochenlang über jedes Komma, ehe beim Notar an der Palmaille vor Kurzem Fakten geschaffen wurden. Die Hamburger Agentur Sports United mit neun Mitarbeitern, 43 Fußballern und einem addierten Marktwert von rund 37 Millionen Euro verschmolz mit Barnetts ICM Stellar Sports zum unangefochtenen Weltmarktführer mit insgesamt 676 Spielern mit einem Gesamtmarktwert von nicht zu glaubenden 1,5 Milliarden Euro. „Deutschland ist ein sehr wichtiger Markt für uns“, erklärt Barnett dem Abendblatt. „Und Sports United ist für uns der perfekte Partner.“ Welcome in the big business!

Pelé, Ronaldo, Maradona – und Manuel Wintzheimer

Bliemeister sitzt in seinem kleinen Hinterhofbüro nahe der Hoheluftchaussee hinter seinem Schreibtisch. An der Wand hängen gerahmte Bilder von Pelé, Ronaldo und Diego Maradona – sowie ein Trikot von HSV-Stürmer Manuel Wintzheimer. Im Nebenraum sitzt der frühere U-21-Nationalspieler Mats Köhlert (23) und spielt mit den Töchtern. Bliemeister isst seinen Ceasars Salad und jon­gliert ganz nebenbei mit ein paar Millionensummen.

Dieser Eduardo Camavinga sei eine Granate, sagt der 43-Jährige. An dem sei halb Europa dran. Sein Marktwert laut Fachportal transfermarkt.de: 55 Millionen Euro. Und der Franzose, der es nicht einmal ins EM-Aufgebot der A-Nationalmannschaft geschafft hat, ist sogar nicht der Top-Seller im neuen Portfolio. Die Engländer Jack Grealish (65 Millionen Euro) und Mason Mount (75 Millionen Euro) sind noch teurer – und dürften bei einer guten Europameisterschaft Englands im Preis sogar noch einmal steigen.

Mason Mount (l.) ist der teuerste Stellar-Profi.
Mason Mount (l.) ist der teuerste Stellar-Profi. © AFP

Corona hin, Corona her: „Die Marktwerte der Spieler können bei einem Turnier wie der Europameisterschaft in kürzester Zeit nach oben schießen – oder auch abstürzen“, sagt Bliemeister, der um die Bedeutung der EM als bedeutendste Fußballmesse in diesem Jahr nur zu gut Bescheid weiß. „Die Preise können nach einer EM explodieren“, sagt der Hamburger, der ein Beispiel aus einer längst vergessenen Zeit gibt, als Bundesligaclubs sogar noch in D-Mark rechneten: „Nach der EM 1996 wurden plötzlich die Tschechen zu den absoluten Verkaufsschlagern und in ganz Europa umworben. Vor dem Turnier hatte die kaum einer auf dem Schirm.“

Größtes Geschäft mit dem früheren HSV-Talent Heung-Min Son

In Tschechien fing Bliemeisters Berater-Karriere an. Weil er mit dem frühere HSV-Profi Tomas Ujfalusi gut befreundet war und ist, half der ihm, einen Fuß in die Tür des tschechischen Marktes zu bekommen. Es dauerte nicht lange, ehe der Sohn von Ex-HSV-Profi Thomas Bliemeister im Konzert der Großen mitspielte. Ilkay Gündogan oder Supertalent Youssoufa Moukoko – sie alle waren seine Kunden.

Doch das größte Geschäft machte der Familienvater vor allem mit dem früheren HSV-Talent Heung-Min Son, den er erst für acht Millionen Euro nach Leverkusen und später für 30 Millionen Euro nach Tottenham vermittelte. Sports United eröffnete sogar eine Zweigstelle in Südkorea, kümmerte sich vor Ort um Sons Vermarktung und Werbepartner.

Supertalent Moukoko hatte Bliemeister wie einen eigenen Sohn gehegt

Son (aktueller Marktwert: 85 Millionen Euro), Moukoko (18 Millionen Euro) und Gündogan (40 Millionen Euro) – sie alle stehen einerseits für das gute Auge, das Bliemeister bei Talenten nachgesagt wird. Und andererseits für den hart umkämpften Markt, der keinen Raum für Freundschaften zulässt. So hat Gündogan einst Bliemeister am Telefon informiert, dass er sich ab sofort von seinem Onkel beraten lässt. Dabei hatten sich die beiden sogar noch unmittelbar davor ein Hotelzimmer geteilt.

Auch Supertalent Moukoko hatte Bliemeister wie einen eigenen Sohn gehegt und gepflegt, ehe der vom einstigen Mitarbeiter Pa­trick Williams und dessen britischen Stellar-Konkurrenten Wasserman abgeworben wurde. Und Asiens dreifacher Fußballer des Jahres Son gab nach fast zwölf Jahren seinem einstigen Entdecker den Laufpass, weil er sich ab sofort nur noch von seinem eigenen Vater vertreten lassen wollte.

Bundesligaclubs gaben 193 Millionen Euro für Beraterhonorare aus

„Als normale Agentur muss man sich sehr strecken, um in diesem Haifischbecken mitzuschwimmen“, sagt Bliemeister, der nun im ganz großen Ozean fischen will. Dass die Beraterbranche auch weiterhin nicht den besten Ruf genießt, weiß er. Halbseidene Figuren aus der Unterwelt wollen nur allzu gerne am großen Millionenrad mitdrehen. Zuletzt war rund um die Enthüllung um den Stuttgarter Silas Mvumpa sogar von Menschenhandel die Rede.

Im Geschäftsjahr 2020 gaben laut des Finanzreports der Deutschen Fußball-Liga (DFL) die 18 Bundesligaclubs 193 Millionen Euro für Beraterhonorare aus. Doch gerade weil immer mehr zwielichtige Vertreter ihre Angel auswerfen, geht der Trend klar zu Zusammenschlüssen mehrerer Agenturen zu echten Beratungs-Schwergewichten. „Ich hatte schon vorher einige gute Kontakte zu englischen Clubs.

Stellar hat bessere Kontakte

Aber man muss ganz klar sagen: Stellar hat natürlich bessere Kontakte“, gibt Bliemeister zu. Stellar hat gleich sechs englische EM-Teilnehmer mit einem Gesamt-Marktwert von 264 Millionen Euro im Portfolio. Bei der EURO 2020 ist der Branchenkrösus sowohl bei teilnehmenden Profis (30) als auch bei deren Gesamtmarktwert (535 Millionen Euro, siehe Infografik) unangefochten der größte Fisch im Teich.

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Eine Europameisterschaft ist nach der Weltmeisterschaft die größte Tauschbörse des Weltfußballs. Die Kurse der Helden in kurzen Hosen können nach einem Tor in der 90. Minute in schwindelerregende Höhen schnellen – oder nach einem überraschenden Ausscheiden in der Vorrunde abstürzen. Das Fachportal „transfermarkt.de“ hat sich den Spaß gemacht, die teuerste Elf des Turniers zusammenzusuchen. 1,04 Milli-arden Euro wäre dieses Dreamteam um Kylian Mbappé (22), Harry Kane (27) und Joshua Kimmich (26) wert. Bliemeisters erster Spieler, den er jemals beriet, war Christian Möckel mit einem Transferwert von 125.000 Euro.

Bei der diesjährigen EM hat Bliemeister einen ganz genauen Blick auf Österreich und den früheren HSV-Profi Michael Gregoritsch. „Für mich wäre das natürlich gigantisch, wenn Österreich Europameister wird und Michi ein paar Tore schießt.“ Ein schwieriges Unterfangen. Allerdings hat „Gregerl“ den Anfang am Sonntag schon einmal gemacht.

Stellar Sports will bei der Europameisterschaft nichts dem Zufall überlassen

Beim 3:1-Sieg gegen Nord-Mazedonien traf der 27 Jahre alte Augsburger, dessen Marktwert vor der EM von einst sieben auf „nur“ noch drei Millionen Euro eingebrochen war. Gegen die Niederlande am Donnerstag in Amsterdam soll Tor und Martwertboost Nummer zwei folgen. Thies Bliemeister wird dann live im Stadion dabei sein.

Gerade in Corona-Zeiten will Stellar Sports bei dieser Europameisterschaft nichts dem Zufall überlassen. Die Vereine gucken ganz genau auf das Geld, da müssen auch die Berater ganz genau auf die Spieler schauen. „Die meisten Deals laufen kurz vor oder kurz nach der EM über die Bühne“, sagt Barnett. Deswegen gab es auch in der Woche vor dem Eröffnungsspiel ein großes Treffen aller Stellar-Berater in Madrid. Auch Bliemeister war dabei. Welcher Verein kann noch einen Linksverteidiger gebrauchen? Wo ist Bedarf für einen zweiten Torhüter? Und wohin könnte der talentierte Stürmer wechseln, der nie spielt?

Ex-HSVer Michael Gregoritsch aus Bliemeisters Portfolio traf gegen Nord-Mazedonien.
Ex-HSVer Michael Gregoritsch aus Bliemeisters Portfolio traf gegen Nord-Mazedonien. © AFP

All diese Fragen orchestriert für die englische Agentur seit Neustem Michael Reschke. Nach seinen Abenteuern bei Schalke (als Technischer Direktor), Stuttgart (Sportvorstand), Bayern (Technischer Direktor) und Leverkusen (Manager) wechselte der Fußball-Weise in diesem Frühling die Seiten und ist nun eine Art Europa-Chef von Stellar. „In England ist man traditionell bärenstark vernetzt und besitzt hervorragende Kontakte zu allen Clubs. In Europa gibt es noch Optimierungspotenzial“, sagte Reschke vor Kurzem im Interview mit Sport 1. Er und Bliemeister sollen dieses Optimierungspotenzial ausreizen.

In seinem Büro in Hoheluft hat Bliemeister vor allem seinen Wohlfühlfaktor optimiert. Ein neuer Massagestuhl mit allem Zipp und Zapp steht mitten im Raum, an der Seite ist eine Massagebank, an der ein Flachbildfernseher angebracht ist. Während der Corona-Krise war auch ein Spielerberater zum Arbeiten in der Heimat verdonnert – da wollte es sich der Hobbystürmer, der mit Victoria Hamburg an der Seite von Marius Ebbers sogar noch einmal Norddeutscher Ü-40-Meister wurde, gut gehen lassen.

Bliemeister setzt auf Italien als Europameister

Doch während der EM müssen sowohl Vicky als auch der Massagestuhl ruhen. Das Business ruft. „Es ist doch klar: Die Spanier machen die besten Geschäfte in Spanien, die Deutschen machen die besten Geschäfte in Deutschland, und die Engländer machen die besten Geschäfte in England“, sagt Bliemeister. „Und in England, dem wichtigsten Markt im Weltfußball, ist Stellar klar die Nummer eins.“

Wer jetzt aber denkt, dass sich die neuen Stellar-Partner Bliemeister und Barnett in allen wichtigen Dingen vollumfänglich einige seien, der irrt. So ist sich der Engländer Barnett ganz sicher, wer in diesem Sommer erstmals Europameister wird: „England wird der Champion!“, sagt er. Of course. Und Bliemeister? Setzt auf einen Klassiker. Nicht Deutschland, sondern Italien.

Bene, nun aber genug geschnackt. Gleich müsse er noch mal mit Schalke reden. Ein neuer Linksverteidiger ist im Anmarsch. Und beim HSV wird doch noch ein neuer Torhüter gesucht. Doch zunächst einmal will Bliemeister in Ruhe seinen Salat aufessen. Hungrig kann man schließlich keine Geschäfte machen.