Hamburg. Hamburgs Schwimmtalent Björn Kammann soll bei den Titelkämpfen in Ungarn Erfahrungen sammeln und seine Wettkampfhärte ausbilden.

Klar, sagt Björn Kammann, die Olympischen Spiele, die vom 23. Juli bis 8. August in Japans Hauptstadt Tokio stattfinden sollen, die sind für jeden Leistungssportler der Höhepunkt des Jahres 2021. Aber weil der 20-Jährige die Qualifikation für Tokio knapp verpasste und ursprünglich sowieso erst 2024 in Paris sein Debüt im Zeichen der fünf Ringe vorgesehen ist, hat er sein Jahreshighlight nun bereits in der kommenden Woche vor sich.

Bei der Schwimm-EM in Budapest, die seit vergangenem Montag läuft und am Montag vom Freiwasser ins Becken wechselt, startet der Schmetterlingsspezialist vom AMTV-FTV Hamburg erstmals auf der 50-Meter-Langbahn bei den Erwachsenen in ein Kontinentalturnier.

Für diese Premiere hat sich der gebürtige Berliner ein interessantes Programm vorgenommen. Anstatt über seine Paradestrecken 100 und 200 Meter Schmetterling anzutreten, verzichtet er auf die längere Distanz und versucht sich stattdessen auch über 100 Meter Freistil und 100 Meter Rücken. Ersteres, „weil ich im Kraul auch ganz okay bin und das eine geile Strecke ist“. Und zweiteres, weil das beim Olympia-Qualifikationsevent in Eindhoven Anfang April überraschend gut funktionierte und Björn Kammann in Budapest in der 4x100-Meter-Lagenstaffel ebenfalls für die Rückenlage vorgesehen ist.

Hamburger Schwimmtalent wagt EM-Experiment

Eine Abkehr von seiner Lieblingsdisziplin sei das keineswegs. „Der Fokus auf den Schmetterling bleibt, das ist meine beste Lage und wird es auch bleiben“, sagt er, „aber bis auf Brust konnte ich schon immer alle Lagen gut. Ich möchte bei der EM mal ausprobieren, was über die anderen Strecken so geht.“ Die Bundestrainer haben ihm diese Möglichkeit explizit eingeräumt. Er soll in der ungarischen Hauptstadt, an die er von der Junioren-WM 2018 beste Erinnerungen hat, Fuß fassen im Seniorenbereich, soll Erfahrungen sammeln und Duftmarken setzen.

Mit Finalteilnahmen oder gar Medaillen zu rechnen, das wäre vermessen. „Aber ich habe mir vorgenommen, in all meinen Rennen Zeiten zu schwimmen, die ich von mir bislang noch nie auf der Anzeigetafel gesehen habe“, sagt er. Zuzutrauen, glaubt Veith Sieber, ist Björn Kammann dieses Vorhaben. „Er gehört zu den Athleten, die in der Corona-Krise den größten Entwicklungsschub gemacht haben“, sagt der Hamburger Bundesstützpunkttrainer, aus dessen Trainingsgruppe Kammann der einzige männliche EM-Starter ist.

Zudem sind Julia Mrozinski (21/100 und 200 Meter Freistil) und Sonnele Öztürk (23/100 und 200 Meter Rücken) nominiert. Insgesamt sind unter den 13 Frauen und neun Männern, die für Deutschland ins Wasser gehen, zehn EM-Debütierende. Björn Kammann war 2019 in Glasgow immerhin schon bei einer EM auf der Kurzbahn (25 Meter) am Start.

Kammann braucht Schwimm-EM für Entwicklung

In der Corona-Krise, in der die Schwimmer 15 Monate ohne Wettkampf verkraften mussten, hat der 197 Zentimeter lange Athlet auch Wellentäler durchqueren müssen. „Natürlich gab es immer wieder Momente, in denen ich mich gefragt habe, woher ich die Motivation nehmen soll, mich im Training zu quälen, ohne dass ein Ziel in Sichtweite war“, sagt er.

Aber da er, sobald er das Wasser spürt, nicht anders könne, als alles aus sich herauszuholen, „habe ich im Training durchaus Fortschritte gemacht, die ich jetzt spüre“, sagt er. Es fehlen Erfahrung und Wettkampfhärte, aber gerade um diese Elemente zu stärken, sind Turniere wie die EM nun wichtig.

Kammann will nebenbei Bauingenieurwesen studieren

In der Hamburger Trainingsgruppe grassiert aktuell das USA-Fieber. Der für Olympia qualifizierte Lagenspezialist Jacob Heidtmann (26), der seit September 2019 in Kalifornien trainiert und auf die EM verzichtet, hat eine Sogwirkung erzeugt, der im Sommer Julia Mrozinski und Freistil-Hoffnung Rafael Miroslaw (20) nachgeben.

Auch Björn Kammann, der in diesem Frühjahr sein Abitur an der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg macht, hat überlegt, jenseits des Atlantiks sein Glück zu suchen. „Aber ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich hier die gleichen sportlichen und beruflichen Chancen habe“, sagt er.

Also bleibt er in Hamburg und erwägt, Bauingenieurwesen zu studieren. Und wenn alles so läuft, wie er es sich vorstellt, dann wird Björn Kammann 2024 auf die Olympischen Spiele als Jahreshöhepunkt hinfiebern können.