Hamburg. Vor 75 Jahren wurde der HSB-Vorläufer Hamburger Verband für Leibesübungen gegründet. Die Politik hatte sich herauszuhalten.

Die Vergangenheit liegt im Keller, rote Aktenordner in hellbraunen Pappkartons, nach Jahrgängen geordnet, 1945 ist der erste. Zu gegebener Zeit, heißt es in der Verbandszentrale beim Haus des Sports am Schlump, werde der Hamburger Sportbund (HSB) seine Geschichte wieder aufarbeiten.

Anlass dazu besteht jedoch schon in diesen Wochen. Vor 75 Jahren begann sich der Sport in der Stadt neu zu organisieren, wurden die Strukturen für den jetzt größten Hamburger Dachverband geschaffen, der trotz coronabedingter Austritte heute noch rund 522.000 Mitgliedschaften in 822 Vereinen zählt.

650 Vertreter aus 168 Vereinen gründeten 1945 den Hamburger Verband

Am 14. November 1945, einem Mittwochnachmittag, trafen sich 650 Vertreter aus 168 Vereinen im Schauspielhaus, das am Besenbinderhof Asyl gefunden hatte, um den Hamburger Verband für Leibesübungen (HVL/Große Bleichen 23) zu gründen, der sich am 1. Juni 1948 in Hamburger Sport-Bund umbenennen sollte.

Das war keine Selbstverständlichkeit, waren doch aufgrund der „Direktive Nr. 23“ des Alliierten Kontrollrats sämtliche Sportorganisationen nach Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland aufgelöst worden. „Zunächst stand die politische Bereinigung der Vereine mit der Entfernung NS-belasteter Trainer, Erzieher und Funktionäre aus ihren Ämtern auf der Agenda“, schreibt der Reinbeker Sportsoziologe Prof. Hans-Jürgen Schulke in seinem (Geschichts-)Buch „Als die Vereine in Bewegung kamen“.

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Nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“, so Schulke, habe die britische Militärregierung dann einerseits den Sport zu säubern, ihn anderseits aber auch sofort wieder aufzubauen versucht. In der britischen Tradition ist Sport charakterbildend, was Oberstleutnant Aitkin-Davies damals vor Sportreferenten in Hannover zu dem Appell veranlasste: „Möge ihr Sport dazu dienen, Staats­bürger zu formen, die befähigt sind, Deutschland noch einmal jene Achtung von anderen Völkern wiedergewinnen zu helfen, die das Hitler-Regime verspielte.“

Die gesellschaftspolitische Bedeutung des Sports, die in den vergangenen 75 Jahren zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten ist und erst allmählich wieder an Konturen gewinnt, spielte beim Wiederaufbau des Dachverbandes eine zentrale Rolle. „Der Sport ist dazu angetan, das Leben nach all den Schrecknissen der vergangenen Jahre wieder in geregelte Bahnen zu lenken“, sagte Schulsenator Heinrich Lan­dahl bei seinem zehnminütigem Grußwort auf der Gründungsversammlung des HVL.

SPD-Politiker hatte großen Anteil an der Neuorganisation des Hamburger Sports

Heinrich Landahl war SPD-Schulsenator von 1945 bis 1953 und 1957 bis 1961. Er engagierte sich für den Aufbau des Sports nach dem Krieg.
Heinrich Landahl war SPD-Schulsenator von 1945 bis 1953 und 1957 bis 1961. Er engagierte sich für den Aufbau des Sports nach dem Krieg. © ullstein bild

Der SPD-Politiker hatte großen Anteil an der Neuorganisation des Hamburger Sports, räumte Bedenken und rechtliche Hindernisse in vielen Gesprächen mit den Briten aus dem Weg. „Sport ist mehr als ein Zeitvertreib für den Sonntag, sondern eine Lebensnotwendigkeit“, sagte Landahl weiter. Der Sport müsse helfen, die Lebensfreude wieder zu gewinnen, die Gesundheit zu fördern und die Seele wieder in Schwung zu bringen. „Kameradschaft und Gemeinschaft muss unser gemeinsames Ziel sein, so lehrt uns der Sport lebendige Demokratie.“ Für seine Rede, die an Aktualität nichts eingebüßt hat, erhielt Landahl anhaltenden Beifall, notierte der Protokollführer.

Eine der Richtlinien der britischen Militärregierung lautete 1945, der Sport müsse unpolitisch sein. „In den Sportvereinen hat die Politik nichts zu suchen“, sagte dann auch Ernst Junge, der HVL-Vorsitzende und spätere HSB-Präsident, das sei eine der Lehren „aus dem verhassten Nationalsozialismus“. Kein Verein, kein Sportler, dürfe bevorzugt werden, forderte Junge. Der neue Verband hob die vor 1933 herrschende Trennung zwischen Arbeiter- und bürgerlichen Sportvereinen auf. Junge: „Wir haben alle nichts mehr und müssen alle ganz von vorn anfangen.“ Firmensportvereine wurden dagegen ausgeschlossen. Sie konnten erst nach der Gründung des Hamburger Betriebssportverbandes 1950 Mitglied des Dachverbandes werden.