Hamburg. Vor 20 Jahren spielten die Cowboys in der Volleyball-Bundesliga – nun sind sie zurück. Die Story eines Comebacks.

Es gibt so viele Geschichten im Sport. Geschichten vom Gewinnen und Verlieren, von schlimmen Verletzungen und großen Comebacks. Geschichten, die in fünf Minuten das Leben zusammenfassen, in seinen besten und schlimmsten Momenten. Und dann gibt es die anderen. Die am Anfang so wirken, als gebe es gar nichts groß zu erzählen. Das sind Geschichten wie diese.

Es ist Ende August, und die Luft klebt an diesem Mittwochabend in der Walter-Ruckert-Sporthalle am Ende des Gewerbegebiets Oststeinbek. Hier findet das Training der Walddörfer SV Cowboys statt, und wer beim Wort Cowboys und Volleyball aufmerkt, hat natürlich recht: Da war doch mal was. Vor bald 20 Jahren, als die erste Mannschaft des Oststeinbeker SV (OSV) in die Volleyball-Bundesliga aufstieg – eine kleine Sensation. Mehrere Jahre gab es ein Auf und Ab zwischen Erster und Zweiter Liga, 2008 löste sich das Team schließlich auf.

Aber nun wollen sie es doch noch einmal wissen. Entgegen aller Vernunft. „Space Cowboys live“, wie sie hier zu ihrem Projekt sagen, oder auch einfach: „Alte Säcke am Netz“. 53 Jahre ist der älteste Spieler des Teams, der jüngste 32. In der Regionalliga Nord treten sie gegen Athleten an, die ihre Söhne sein könnten. Seit 13 Jahren spielt der Kern der Cowboys schon zusammen, und wie es immer so ist, hat auch ihnen das Leben voll mitgespielt. Es gab Karrieren, die steil waren oder scheiterten, Scheidungen und Verletzungen, schwere Krebserkrankungen. Aber es gab auch immer den Mittwochabend.

„Schöner Altherrenvolleyball“, brüllt jemand

32 Tage sind es noch bis zum Start der Regionalliga Nord. Elf Cowboys sind an diesem Mittwoch zum Training gekommen, 22 Beine, die über den Hallenboden rennen, stoppen, springen. 16 Kniebandagen. Es steht eine Trainingseinheit mit vielen Wechseln an, Bälle landen auf dem Boden, fliegen ins Netz. „Schöner Altherrenvolleyball“, brüllt jemand, und man weiß nicht, ob das Verzweiflung war oder Ironie.

Damals jung und wild: die Cowboys im Januar 2006 in der Bundesliga
Damals jung und wild: die Cowboys im Januar 2006 in der Bundesliga © imago

Bis 22 Uhr dauert das Training, dann setzen sich alle zusammen, trinken ein Bier und schütteln den Kopf. „Über die Corona-Zeit haben wir tatsächlich mehr Substanz verloren, als uns klar war“, sagt Rüdiger Barth (48). Er gehört zum Kern der Mannschaft, die damals in die Bundesliga aufstieg. Mit Spielern wie Jan Buhrmester und Hendrik Hofmann, die inzwischen aus der Dusche gekommen sind, „der da, der Henni“, sagt Barth und zeigt erst auf Hofmann, dann hinter sich ins Dunkle der Halle, „der stand damals auf dem Feld, als Georg Grozer junior hier den Ball beim Aufschlag an die Decke geworfen hat, und Buhrmi“, er zeigt einen weiter, „hat Grozer mehrfach geblockt“.

Damals, als die kleinen Ostbek Cowboys den großen Moerser SC mit 3:1 aus der Halle fegten, vor 1000 Zuschauern, „wir mussten Zusatztribünen aufstellen“. Solche Geschichten sind die DNA dieses Teams. Und sie sind einer der Gründe dafür, dass es jetzt einfach noch mal sein muss: diese eine Saison in der Regionalliga Nord. Weshalb die Cowboys sogar extra den Verein gewechselt haben: zum Walddörfer SV, weil der OSV mit den Pirates ja schon ein Team in der Regionalliga hat. Und das erste Heimspiel der Cowboys? Ist nun ausgerechnet das Derby gegen den alten Verein. Die Cowboys gegen die Pirates. Wenn man fragt, was diese Mannschaft antreibt, bekommt man Antworten, die so unterschiedlich sind wie die Menschen, aus denen sie besteht. Die einen sagen, es sei die Romantik, die Irrationalität. Andere sagen, dass sie neugierig sind: ob sie da wohl noch mithalten können, ob die Schulter noch hält, der Rücken das mitmacht. Und dann diese vielen gemeinsamen Jahre. Die sie stark machen, nicht nur als soziales Gefüge.

Die Skepsis – noch immer groß

Volleyball ist eine der wenigen Sportarten, bei denen ein Team im Grunde ganz auf sich allein gestellt ist – getrennt vom Gegner durch ein Netz in der Mitte. Es gilt, Fehler auszuhalten, egal wem sie passieren, Verantwortung zu übernehmen und abzugeben. Und im besten Fall in einen Flow zu kommen, der es dem Gegner unmöglich macht, sein Spiel durchzubringen. Dann ist ein Volleyballteam so etwas wie ein lebendiger Organismus, der im Sekundentakt Entscheidungen trifft, dezentral, zeitgleich in mehreren Köpfen. Blindes Verständnis, könnte man auch sagen. „Wir sind die Mannschaft, gegen die wir nie spielen wollten, als wir noch jung waren“, sagt Jan Buhrmester (43). Er muss es wissen. In den 90er-Jahren besuchte er das Frankfurter Elite-Internat der Volleyballer, eine Zeit, über die er aktuell wieder viel nachdenkt.

Weil es ja auch damals schon diese Teams gab, gegen die man verlor und nicht wusste, warum. Weil sie schütteres Haar hatten und einen Ansatz von Plautze. Und die wollen gewinnen? Es ist der 8. September, 19 Tage sind es noch bis zum ersten Match. Die Skepsis – noch immer groß. Die wochenlange Corona-Pause mag schon 20-jährige Athleten arg zurückwerfen, aber bei 40-Jährigen? Sind die Folgen brutal. Auch bei Aimo-Rhys Heilmann (46), vor zehn Jahren einer der, na ja, Neuzugänge des Teams, was insofern bemerkenswert ist, als Heilmann schon eine gewisse Karriere hinter sich hat: Er war Schwimmer. Bei den Olympischen Spielen 1996 gewann er mit der 200-Meter-Freistilstaffel die Bronzemedaille.

40,5 ist der Altersdurchschnitt des Teams an diesem Tag

Und nun Volleyball? „Ja, das war die Sportart, die mich schon immer interessiert hatte“, sagt Heilmann. Dass er dabei auf die Cowboys stieß, ist ein riesiger Zufall. Nun gehört er zum Team. Das ihm heilig sei, so drückt er es aus. „Dass die einem Fisch wie mir versucht haben, Volleyball beizubringen, und sich jetzt sogar trauen, mich in der Regionalliga aufs Feld zu schicken“, sagt er und lacht. „Das ist doch eigentlich unglaublich.“

Wobei – nicht allen ist zum Lachen zumute. Jan Schneider, der 49-jährige Abteilungschef, hat sich beim Wasserskifahren mit seinem Sohn die Schulter verletzt. Er wird den Auftakt verpassen. Bei Patrick Klose, dem Jüngsten im Team, machen immer wieder die Waden zu.

Am 27. September ist es schließlich so weit. In der Sporthalle Hoheluft verteilen sich an die 40, 50 Neugierige. Der Eimsbütteler TV war letztes Jahr Dritter der Regionalliga, ein eingespieltes Team, einer der Favoriten. Das Team sieht aus wie ein Haufen Studenten, manche erkennbar Kraftraum-gestählt. Nach dem Warmmachen haben sich die Cowboys in die Kabine verzogen. Jan Schneider kramt sein Handy hervor, grinst. Ein hohes Pfeifen ertönt: „Engel“ von Rammstein, das Cowboys-Lied im Abstiegskampf. Fast 20 Jahre her. 40,5 ist der Altersdurchschnitt des Teams an diesem Tag. Der Kapitän ist 53 Jahre alt. Es kann nicht gut gehen.

Nach drei Spieltagen sind die Cowboys Tabellenführer

Pünktlich um 12 Uhr beginnt das Spiel. Und es ist im Grunde unbegreiflich: Nach den langen Monaten des Wartens und Zweifelns, den mühsamen Wochen des Formfindens ist es, als hätte jemand die Cowboys aufgezogen. Der erste Aufschlag – fast wie ein Stromstoß. Und dann: spielen nur sie, schmettern und baggern, spielen sich in einen Rausch. Der ETV nimmt eine Auszeit, dann noch eine, wechselt, wechselt noch einmal. Den Gästen glückt nahezu alles. Aimo Heilmann brilliert im Mittelblock, wo er zuvor noch nie gespielt hat. Sebastian Neufeld, eigentlich Spielmacher, punktet im Angriff. In den Augen der Spieler ist ein Leuchten zu sehen. Am Ende steht es 3:0, ein Kantersieg. Die alten Cowboys, sie springen im Kreis herum wie Kinder. Allein für dieses Match, für dieses Erlebnis, werden sie danach sagen, hat sich schon alles gelohnt.

Aber es geht, kaum zu glauben, so weiter. Nach drei Spieltagen sind die Cowboys Tabellenführer. Und man beginnt zu verstehen: Was dieses Mal die Geschichte ist. Dass es um mehr geht als ums Gewinnen. Um mehr als einen Sieg. Sondern darum, was manchmal eine Mannschaft – und am Ende einen selbst – im Innersten zusammenhält.

Das Derby Walddörfer SV gegen Oststeinbeker SV wird am Sonnabend ab 19 Uhr auf der Facebook-Seite der Cowboys live gestreamt. In der Halle zugelassen sind nur die Familien des Teams. Das Abendblatt wird die Mannschaft auch weiterhin durch ihre Regionalligasaison begleiten.