Kiew/Köln/Hamburg. Selbst der ehemalige Lieblingsschüler Bastian Schweinsteiger übt Kritik am DFB. Immerhin: Die TV-Quote hat sich erholt.

Immerhin die TV-Quote hat sich erholt: 7,53 Millionen Menschen (Marktanteil 26,0 Prozent) wollten am Sonnabend in der ARD den ersten Sieg der deutschen Fußballnationalmannschaft von Bundestrainer Joachim Löw in der beinahe sinnlosen Nations League sehen. Der knappe 2:1-Erfolg in Kiew lockte mehr Zuschauer vor die Fernseher als das müde 3:3 gegen die Türkei (6,77 Millionen und 21,6 Prozent Marktanteil). Doch um was ging es, wenn nicht um einen besseren Platz in einem Lostopf bei der Auslosung für die Weltmeisterschaft 2022 zur Weihnachtszeit in Katar?

Nun, Bundestrainer Joachim Löw hat einen großen Legitimationsdruck derzeit. Nach dem Umbruch im Anschluss an die verkorkste WM 2018 in Russland hat er mehr offene Kritiker als ihm recht ist. Da kommt ihm ein erster Sieg in der Nations League gerade recht. Doch selbst Torschütze Matthias Ginter meinte nach dem 2:1 über die Ukraine: "Wir wissen, dass wir nicht die Sterne vom Himmel gespielt haben."

Nationalmannschaft wurstig – auch die Bayern-Profis wie Kimmich

Das war mit einem Anflug von Selbstironie weit untertrieben. Denn die DFB-Elf mit den wieder hinzugekommenen Triple-Siegern von Bayern München spielte wurstig und profitierte beim 2:1 von Leon Goretzka vom katastrophalen Fangfehler des ukrainischen Torwarts. Auch die Bayern wie Niklas Süle und Joshua Kimmich oder Serge Gnabry lieferten eine pomadige Leistung ab.

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Ginter meinte noch: "Das war nicht unser bestes Spiel.“ Der Gladbacher sah „sehr, sehr viele einfache Ballverluste“. Das komme in der deutschen Nationalmannschaft selten vor.

Löw landet mit DFB-Tross um 3.52 Uhr in Köln

Joachim Löw scheint etwas hilflos.
Joachim Löw scheint etwas hilflos. © AFP

Deshalb kam es allen Beteiligten entgegen, dass man in einer Sondermaschine noch nachts nach Köln düsen konnte, weg aus dem Corona-Risikogebiet. Um 3.52 Uhr am Sonntagmorgen landete der DFB-Tross in Köln. Am Dienstag geht es dort (20.45 Uhr, live in der ARD) gegen die Schweiz.

Dort ist eine Erlaubnis für mehr als 300 Zuschauer zumindest rechnerisch ausgeschlossen. Nachdem die Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen in Köln am Sonntag weiter auf 59,7 stieg, könnte sie am Montag selbst bei keinem weiteren Fall nicht mehr unter die erforderliche Kennzahl von 35 sinken. Die Stadt hatte darauf verwiesen, dass die endgültige Entscheidung erst am Montag getroffen werde.

„Siege sind der Klebstoff, Siege sind wichtig“, sagte Bundestrainer Löw mit Blick auf den noch Weg zur Europameisterschaft im Sommer 2021. Die Kernbotschaft war: „Ich sehe das große Ganze. Wir wissen schon, was wir machen.“ Kritik an ihm, seinem Kurs und der Personalauswahl sei erlaubt, sagte Löw, aber er stehe darüber. „Das erlebe ich seit 16 Jahren.“

Schweinsteiger und Rummenigge kritisieren

ARD-Co-Moderator Bastian Schweinsteiger sieht bei der Nationalmannschaft Probleme in Sachen Fan-Bindung. „Man kann sich nicht mehr so hundertprozentig identifizieren mit der Nationalmannschaft – und das ist schade. Ich hoffe, dass das Ruder wieder rumgerissen wird“, so Schweinsteiger.

Derweil hat auch Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge beim Deutschen Fußball-Bund einen „gewissen Wertewandel“ festgestellt – und er meint das negativ. Nach dem Titelgewinn bei der WM 2014 sei versucht worden, „diesen großen Erfolg finanziell auszunutzen“, so Rummenigge in der „Bild am Sonntag“. Dazu zählten auch die großen Sponsoren-Verträge. „Ich weiß von unseren Spielern, dass es bei jedem Länderspiel vermehrt Sponsoring-Termine gab. Aber wer im Fußball tätig ist - egal ob bei einem Club oder beim DFB -, muss auch den Fußball exklusiv in den Mittelpunkt stellen.“

Derzeit „überwiegen beim DFB Interessen abseits des Fußballs“, sagte Rummenigge. Bundestrainer Joachim Löw, den er als den "armen Jogi Löw“ bezeichnete, habe das Freundschaftsspiel am vergangenen Mittwoch gegen die Türkei (3:3) bestreiten müssen, „damit Geld in die Kassen kommt, angeblich fehlen 15 Millionen Euro“, sagte Rummenigge. „Was sind 15 Millionen im Vergleich zu dem, was die Bundesliga-Clubs verlieren?“ Das Problem sei: „Geld, Vermarktung und Politik haben Priorität, aber nicht der Fußball.“

Was war mit der Bandenwerbung?

Der DFB, der vergangene Woche durch die Razzia der Frankfurter Staatsanwaltschaft erneut erschüttert worden war, müsse „dringend in ruhiges Fahrwasser zurückkehren“, sagte Rummenigge. „Das ist die primäre Aufgabe von Präsident Fritz Keller.“ Die Ermittler werfen einzelnen ehemaligen und aktuellen DFB-Funktionären vor, Erlöse aus der Bandenwerbung von Heimländerspielen der Nationalmannschaft in den Jahren 2014 und 2015 bewusst falsch versteuert zu haben.

Das Ansehen der Nationalmannschaft hat laut Rummenigge in den vergangenen Jahren aber nicht entscheidend gelitten. „Nein, ich habe 95 Länderspiele gemacht und weiß, welch hohen Stellenwert die Nationalmannschaft hat“, sagte Rummenigge. „Selbst nach der vergangenen Saison, die der FC Bayern hoch dekoriert beendet hat, sage ich: Die Nationalmannschaft ist im Moment vielleicht nicht die beste, aber immer noch die wichtigste Mannschaft in Deutschland.“