Hamburg. Der Bremer teilt seine Begeisterung für Fußball im Fernsehen, auf der Bühne und in einem neuen Buch. Was er kritisch sieht.

Die Adolf-Jäger-Kampfbahn liegt an diesem Herbsttag in strahlendem Sonnenlicht. Arnd Zeigler (55) guckt sich um, schaut auf die alte Tribüne, das Clubhaus von Altona 93, saugt die Atmosphäre in diesem geschichtsträchtigen Stadion von 1908 auf, macht sogar Handyfotos. Der Autor, TV-Moderator und Stadionsprecher von Werder Bremen war in Hamburg, um sein neues Buch „Traumfußball“ vorzustellen, das jetzt im Edel-Verlag erschienen ist. Gute Gelegenheit, mit dem Fußball- und Werderfan über seine Leidenschaft zu sprechen.

Hamburger Abendblatt: Herr Zeigler, wenn Sie so ein altes Stadion sehen, macht das noch etwas mit Ihnen?

Arnd Zeigler: Aber ja. Alte Stadien sind eine der sinnlichen Seiten des Fußballs. Wenn man hier reinkommt, der Geruch, das ist so, wie Fußball in den 70er-Jahren gerochen hat. Das ist toll. Alte Fußballstadien sind Stätten, wo viele Menschen viele Dinge erlebt haben, die sie ihr Leben lang nie vergessen werden.

In Ihrer TV-Sendung „Zeiglers wunderbare Welt des Fußballs“, ihren Bühnenprogrammen und jetzt im neuen Buch machen Ausschnitte und Sammelstücke aus der Fußballgeschichte einen wesentlichen Teil aus. Warum ist diese Nostalgie so erfolgreich?

Zeigler: Ja, es wird manchmal als Romantik be­lächelt. Aber ich glaube, dass es eine ­große Bedeutung hat. Wenn ich oder ­andere Menschen aus meiner Gene­ration heute acht Jahre alt wären, wüsste man ja nicht, ob wir überhaupt noch Fußballfans werden würden. Wir würden nur eine Bundesliga kennen, wo immer die gleiche Mannschaft Meister wird, wir würden immer die gleichen Mann­schaften in der Champions League haben, wir hätten festgefahrene Strukturen, wo immer die gleichen Vereine das große Geld verdienen und die anderen eben nicht.

Aber ist so eine Haltung, „Früher war alles besser“, nicht sehr rückwärtsgewandt?

Zeigler: Glaube ich nicht. Es ist tatsächlich alles immer weniger spannend geworden. Dass der FC St. Pauli am Millerntor gegen die Bayern gewinnt, werden wir nie wieder erleben. Die Aussage von Sepp Herberger, Menschen gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht, stimmt nicht mehr. Da ist uns etwas sehr Kostbares verloren gegangen.

Es gibt inzwischen Vereine, die mit der Tradition nichts mehr zu tun haben. Dennoch freuen sich Fans zum Beispiel in Leipzig und Sinsheim, dass sie Bundesligafußball erleben können. Soll man denen das nehmen?

Zeigler: Natürlich nicht. Aber diese Clubs funktionieren einfach anders. Dennoch ist es wichtig, dass man sich das bewahrt, was einen einmal am Fußball fasziniert hat. Wenn wir alles vergessen, was einmal war, würden wir ganz viele Dinge am Fußball sehen, die uns nicht behagen.

Zum Beispiel?

Zeigler: Ich habe durch die Arbeit an dem Buch im Kicker-Archiv recherchiert, was sich unter „Wunder von der Weser“ findet. Da war ein Bericht über ein Spiel von Werder Bremen gegen Spartak Moskau. Damals hat jeder Anteil an den Spielen aller deutscher Vereine im UEFA-Cup. genommen. So ist das nicht mehr. Ich habe selbst gemerkt, mich interessiert die Europa League gar nicht mehr. Das ganze Ding ist aufgebläht worden, um möglichst viele Spiele vermarkten zu können. Der Modus wird dauernd geändert, und man muss erst im Internet recherchieren, wo man die Spiele verfolgen kann. Deshalb ist es wichtig, uns die Dinge zu bewahren, die uns den Fußball mal nahe gebracht haben.

Denken Sie, dass Fans des Jahrganges 2000 das auch so erleben?

Zeigler: Möglicherweise nicht. Es gibt inzwischen einen relativ großen Anteil von Menschen, die sind Fußballfans, um sich aufzuregen. Es gibt wirklich Fans von Clubs, die finden jeden Spieler scheiße, halten den Trainer für einen Vollidioten, und beim Manager tun sie so, als könnten sie jeden Transfer eigentlich besser abwickeln. Da frage ich mich: Warum mag so einer den Verein, was genau ist es? Das ist wohl wirklich eine Frage der Sozialisation. Viele sind ja auch mit Managerspielen aufgewachsen, die interessieren sich vor allem für den Wiederverkaufswert von Spielern, oder welchen Marktwertperspektive einer hat.

Die Pandemie scheint auch den Sport und den Fußball zu verändern. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Zeigler: Ich bin wirklich gespannt, ob Corona dieses Geschäft nachhaltig beeinflusst. Derzeit hat man das Gefühl, dass Vereine wieder nur Geld ausgeben können, dass sie vorher eingenommen haben. Jetzt sind wir vielleicht wieder in einer Situation, wo Talente entwickelt werden müssen und dadurch vielleicht auch eine höhere Durchlässigkeit nach oben zu ersten Mannschaft entsteht. Vielleicht entwickelt sich nun doch so etwas wie ein Bewusstsein auch bei den Spielern, wir sitzen alle im selben Boot. Oder bei den Ablösesummen, die ja auf einem völlig kranken Weg waren. Die Idee war ja nicht mehr so absurd, dass es sehr bald irgendeinen Verein geben könnte, der einem Scheich gehört, und der eine Milliarde für einen Messi zahlt.

Aber spielt die Krise nicht Clubs mit Investoren letztlich in die Hände?

Zeigler: Vielleicht. Dass ein Verein wie Hertha BSC mit seinem Investor Lars Windhorst in dieser Zeit Millionen für Spieler ausgibt und so ein Signal setzt, uns ist das alles egal, wir haben das Geld, und damit völlig antizyklisch handelt, finde ich natürlich auch bedenklich.

Investoren sind in Deutschland ein Reizthema – ist diese Aversion auch zu nostalgisch?

Zeigler: Es ist erstaunlich, dass es in Deutschland nahezu kein Beispiel gibt, wie ein Investor richtig zu behandeln ist und wo das reibungslos funktioniert. Es ist beispielsweise faszinierend, dass es beim HSV anscheinend keinen Modus gibt, wie mit Klaus-Michael Kühne richtig umgegangen werden könnte. Kühne ist immer wieder erstaunt, dass der HSV seine Interviews nicht gut findet, und der HSV ist erstaunt, dass Kühne nicht nur Geld gibt, sondern auch seine Meinung sagen möchte. Die Fans träumen immer von einem Investor, der sein Geld da lässt und dann wieder geht, Fans hoffen auf einen Mäzen. Das passt nicht.

Es ist beeindruckend, was Sie alles an alten Erinnerungsstücken aufgehoben haben. Wie geht das?

Zeigler: Es ist eben ein langes Fanleben. Ich habe ein großes Arbeitszimmer, wo alles liegt. Das ist ein Teil dessen, dass man sich immer ein Stück Kindheit bewahrt. Mir hat mal ein Musiker gesagt: Musik und Fußball sind die beiden einzigen Leidenschaften, die man schon als Kind haben kann und als dicker, alter Rentner mit 70 dann immer noch. Das ist eine Leidenschaft, die du durch das ganze Leben transportierst und damit eben auch viele Erinnerungen und Erinnerungsstücke.

Für Ihre TV-Sendung kramen Sie auch immer teils herrliche alte Filmchen hervor.

Zeigler: Ich habe eine ganz tolle Redaktion beim WDR. Der WDR hat ein Riesenarchiv mit tollen Archivaren. Wenn ich in Köln beim WDR bin, dann gucke ich gerne auf den Karteikarten im Archiv und finde dann Stichworte, die mich neugierig machen. Oder ich erinnere mich an Sachen aus meiner Kindheit, Fußballer, die in irgendwelchen Shows aufgetreten sind. Dann rufe ich meinen Archivfreund an, ob er es findet. Es ist so ein Glück, dass ich diese Sendung machen darf.

Sie treten inzwischen auch live auf …

Zeigler: Ich habe mich erst sehr geziert, weil ich nicht so eine Rampensau, sondern von Natur aus eher schüchtern bin. Vor drei Jahren war das dann das erste Mal in der Markthalle – und nach 20 Sekunden auf der Bühne wusste ich, das macht total Spaß. Weil alle Leute im Publikum einfach nur Fußball mögen. Alle haben unterschiedliche Lieblingsvereine, aber alle haben einen ähnlichen Zugang zum Fußball. Das war auch der Grund, mit diesem Buch anzufangen.

Sie haben viele Fehlentwicklungen benannt. Warum sind Sie dennoch immer noch Fan?

Zeigler: Ich glaube, dass wir alle irgendwann entscheiden müssen, will ich Nähe zum Fußball oder will ich Distanz? Das finde ich bei Ex-Spielern sehr auffällig. Da hast du zwei Kategorien. Die, die schlecht gelaunt auf der Tribüne sitzen und alles schlecht finden und die sofort angerufen werden, wenn eine Zeitung einen negativen Bericht braucht. Und dann gibt es die anderen, die immer noch Fans vom Fußball sind und die diese Leidenschaft nie verloren haben. Ich habe mich auch entschieden, dass ich weiter die Nähe und Liebe zum Fußball will. Dabei hilft eben auch, sich immer an die Dinge zu erinnern, wegen denen diese Leidenschaft einmal begonnen hat.