Lissabon. Der deutsche PSG-Coach war trotz des überzeugenden 3:0 im Halbfinale gegen RB in Rage. Internationale Presse feiert Neymar.

Kapitän Yussuf Poulsen saß noch eine Weile auf dem Rasen des Estádio da Luz und versuchte, irgendwie den Moment zu genießen, trotz der klaren 0:3-Abfuhr durch das Starensemble von Paris Saint-Germain.

Der Stürmer zog, wie er sagte, auch Kraft aus dem ernüchternden Augenblick wegen der Erkenntnis, dass er mit RB Leipzig in der Champions League schon bald wieder "ganz weit kommen" will. Trainer Julian Nagelsmann gönnte seinem Profi die Minuten der Reflexion, er hatte ohnehin mit seiner Enttäuschung über das Halbfinal-Aus in der Königsklasse genug zu tun.

Nagelsmann: "Aktuell überwiegt der Frust"

"Aktuell überwiegt der Frust, das ist normal. Das muss auch so sein, um wieder die nötige Power zu sammeln für die neuen Aufgaben, die schon bald vor der Brust stehen", sagte Nagelsmann. In den Rekordbüchern wird er mit 33 Jahren fortan als jüngster Trainer in einem Semifinale der Fußball-Champions-League geführt.

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Aber bei Nagelsmann hallte in Lissabon besonders die Aussichtslosigkeit nach, einen Sieg gegen das Team des französischen Meisters mit Neymar, Kylian Mbappé und den weiteren Stars zu erringen.

Internationale Presse adelt Neymar

Juan Bernat von PSG erzielt den dritten Treffer seiner Mannschaft.
Juan Bernat von PSG erzielt den dritten Treffer seiner Mannschaft. © dpa

Bis ganz nach oben fehlt diesen Leipzigern noch mancher Schritt. Die Euphorie nach dem 2:1 im Viertelfinale gegen Atlético Madrid war weg. "Der Gegner war heute übermächtig", konstatierte Nagelsmann nach den Toren von Marquinhos (13. Minute), Angel di Maria (42.) und Juan Bernat (56.). Das sahen auch die internationalen Medienvertreter so. "PSG hat Leipzig weitgehend deklassiert", schrieb etwa die französische "L'Equipe".

Pressestimmen zu Leipzig – PSG (0:3)

L'Equipe (Frankreich)

„PSG hat Leipzig weitgehend deklassiert, getragen vor allem vom Duo Di Maria-Neymar“

La Vanguardia (Spanien)

„PSG hat sein erträumtes Finale. Es wird am Sonntag gegen Bayern oder Lyon sein. Leipzig war kein Gegner für Tuchels Team.“

El Mundo (Spanien)

„Nichts erklärt sich ohne Neymar, aber nicht alles erklärt sich nur durch ihn. PSG, bislang oft eine reine Ansammlung von Stars, ist nun ein Team.“

Guardian (Großbritannien)

„Das passiert, wenn die Superstars von Paris Saint-Germain ihr Ego vor der Tür lassen, sich an den Plan von Thomas Tuchel halten und wie eine richtige Mannschaft spielen. Statt eines weiteren Aussetzers überkam Gelassenheit den französischen Meister. Neymar und Kylian Mbappé zogen eine Show ab, und es gab keine Spur von Nervosität, als PSG fast ein Jahrzehnt unterdurchschnittlicher Leistungen hinter sich ließ und das erste Champions-League-Finale überhaupt erreichte, nachdem sie RB Leipzig beiseite geklatscht hatten.“

Kurier (Österreich)

„Im Duell der deutschen Trainer hatte Thomas Tuchel die Nase vor Julian Nagelsmann. (...) Dass sie sich 2020 im Semifinale der Champions League gegenüberstehen würden, hätten sie sich damals nie gedacht. In Tuchel fand Nagelsmann vorerst seinen Meister. (...) Leipzig agierte bei weitem nicht so frech und aggressiv wie im Viertelfinale gegen Atlético Madrid. Zu viele Ballverluste und speziell jene im Spielaufbau von hinten sorgten für eine Vorentscheidung in der ersten Spielhälfte.“

Tagesanzeiger (Schweiz)

„Unbestrittener Leader ist Neymar. Neben den bekannten Offensivstärken hat er neu auch die Lust an der Defensive entdeckt und steht sogar nach den vielen Fouls gegen sich einigermaßen zeitnah wieder auf. (...) Zur Krönung fehlt dem 28-Jährigen noch ein Sieg. Diese letzte Hürde wird aber voraussichtlich die Höchste: PSG trifft auf das zuletzt so überragende Bayern München oder Favoritenschreck Lyon.“

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Folgerichtig blickte Nagelsmann schnell voraus. "Du hast als Trainer sofort wieder die nächsten Aufgaben. Wir haben Kaderthemen, die wir in der Transferperiode besprechen müssen. Wir haben bald Nürnberg im DFB-Pokal vor der Brust", sprach der RB-Coach schon vom nächsten Pflichtspiel im September gegen den "Club". Mehr als eine Woche Urlaub ist für die RB-Profis nicht drin.

RB Leipzig braucht einen Werner-Ersatz

Die von der Uefa ausgelobten zwölf Millionen Euro Halbfinal-Prämie werden nicht in neue Spieler investiert – das hat RB-Chef Oliver Mintzlaff seinem Trainer schon verdeutlicht.

Gesucht wird aber nach dem Fortgang von Timo Werner zum FC Chelsea noch ein Stürmer, zumal Patrik Schick nach jetzigem Stand in der kommenden Woche nicht bei der Wiederaufnahme des Trainings in Leipzig sein wird, sondern bei seinem alten Club AS Rom.

Nagelsmann gratuliert Tuchel nur kurz

"Jeder Trainer will die bestmögliche Mannschaft, jeder Spieler auch. Wir haben noch Aufgaben. Denen werden wir uns jetzt widmen", sagte Nagelsmann. Die nächste Gruppenphase in der Champions League beginnt im Oktober. Dann könnte es ein schnelles Wiedersehen mit PSG geben.

Und auch mit deren Trainer Thomas Tuchel. "Nach dem Abpfiff habe ich gesagt, Gratulation, viel Erfolg im Finale und bis bald", berichtete Nagelsmann von der kurzen Kommunikation mit seinem einstigen Coach und heutigen Kollegen.

Anständiger Verlierer: Julian Nagelsmann (l.) bei der Gratulation an seinen alten Weggefährten Thomas Tuchel.
Anständiger Verlierer: Julian Nagelsmann (l.) bei der Gratulation an seinen alten Weggefährten Thomas Tuchel. © Imago/Poolfoto

Tuchel schimpft gegen RB-Athletiktrainer

Dieser war nach dem Schlusspfiff wiederum zunächst in Rage geraten – wegen eines anderen Mitglied des Leipziger Trainerstabs. Auf dem Rasen schimpfte Tuchel kurz, aber heftig auf RB-Athletikcoach Daniel Behlau ein, der sich gerade mit seinen ehemaligen Weggefährten Thilo Kehrer und Eric Maxim Choupo-Moting unterhielt. Tuchel blaffte unter anderem das Wort „Schande“ in Richtung Behlau.

Leipzigs Athletiktrainer Daniel Behlau (Archiv).
Leipzigs Athletiktrainer Daniel Behlau (Archiv). © Imago/Picture Point LE

Was war passiert? Behlau, den die deutschen PSG-Spieler noch aus gemeinsamen Schalker-Zeiten kennen, hatte sich für den Geschmack von Tuchel zu sehr in eine Debatte zwischen ihm und Nagelsmann eingemischt. Behlau selbst reagierte recht gelassen auf den wütenden Tuchel und sagte mehrfach: „Glückwunsch zum Sieg.“

Nagelsmann räumt viele Fouls ein

Schon während des Spiels hatten sich Tuchel und Nagelsmann intensiv ausgetauscht. Nagelsmann räumte ungewöhnlich viele Fouls ein, nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil die PSG-Stars einfach zu schnell waren. „Er hat sich beklagt, um seine Spieler zu schützen“, erklärte Nagelsmann – alles kein Problem also. Die Einmischung eines Dritten fand Tuchel unangemessen. „Das hat mir nicht gefallen“, sagte er.

Ein Disput wie beim Viertelfinale mit Atlético-Madrid-Trainer Diego Simeone war für Nagelsmann mit seinem eigenen Ex-Coach Tuchel ohnehin schwer vorstellbar. Auch nach der Partie sei alles unspektakulär gewesen, berichtete Nagelsmann.