Hamburg. Der Alpenverein hat für 1,5 Millionen Euro Norddeutschlands größtes Kletterzentrum modernisiert und sein Clubhaus ausgebaut.

Reza Sodani hängt gesichert an Seilen im Turm unter der Decke, fünf Meter Höhe sind das mal locker. Konzentriert schaut er sich die Wand an. Was er machen will, das hat er sich natürlich schon vor dem Aufstieg genau ausgemalt. Er setzt den Elektroschrauber an, und – rrrrssss – hat er einen weiteren blauen Griff befestigt. Gleich ist die neue Route fertig. Schwierigkeitsstufe sechs. Also schon etwas für bessere Kletterer. „Wir schrauben hier täglich neue Routen“, sagt Carsten Roskau, der im Kletterzentrum Hamburg des Deutschen Alpenvereins (DAV) der „Chefroutenbauer“ ist. Seit vier Jahren macht er diesen Job. „Das ist pure Imagination, Fantasie und große Erfahrung, was geht – und was nicht.“

Roskau und Sodani sind vollbeschäftigt, 40-Stunden-Woche. Die Kletterrouten sind schließlich die Basis für den erfolgreichen Betrieb von Deutschlands drittgrößtem Kletterzentrum, dem größten Norddeutschlands, in Lokstedt. „Nach drei Monaten kann, nach sechs Monaten soll, und nach neun Monaten muss eine Route getauscht werden“, sagt Roskau. Die Sportler suchen schließlich neue Herausforderungen, niemand will ewig die immer gleichen Bewegungen machen, um allein mit seiner Körperkraft und Geschicklichkeit die Wände hochzugehen. Bei insgesamt knapp 500 unterschiedlichen Routen auf der Anlage kann sich der Nicht-Kletterer Langeweile allerdings kaum vorstellen.

Kletteranlage in Lokstedt ist umgeben von Kleingärten

Etwas versteckt hinter der brausenden Julius-Vosseler-Straße, umgeben von Kleingärten und in direkter Nachbarschaft von Eintracht Lokstedt, ist seit der Fertigstellung des ersten Kletterturms 2001 eine erstklassige Sportanlage entstanden, die in diesem Frühsommer noch einmal aufgewertet wurde. 100.000 Euro kostete eine neue Außenwand am Turm.

Viel auffälliger und wichtiger aber: Für 1,5 Millionen Euro ist das Clubhaus ausgebaut und um 350 Quadratmeter ergänzt worden. Neue Konferenzsäle, Arbeitsräume für die acht Vollzeit- und 24 Teilzeitmitarbeiter, ein großzügiger Empfang mit Bistro – alles jetzt da. Kaffee, Cola oder Pizza und Salat nach dem Sport sind möglich. Die Aufenthaltsqualität hat sich deutlich erhöht. Mitglieder und Gäste nehmen es gerne an.

Klettern ist längst eine etablierte Sportart

Es gibt keinen sichtbaren Unterschied zu kommerziellen Anbietern. „Das Kletterzentrum ist ein Profitcenter“ erklärt Thomas Wolf, der seit fünf Jahren amtierende Erste Vorsitzende der Sektion Hamburg und Niederelbe im Deutschen Alpenverein. „Wir müssen versuchen, damit Geld zu verdienen.“ Das kann gelingen, weil Klettern längst eine etablierte Sportart ist.

Lesen Sie auch:

Nächstes Jahr – so die Spiele in Tokio denn stattfinden – ist sie sogar olympisch. „Wir haben durch die Eröffnung der Halle von 2001 an einen Boom erlebt“, sagt Wolf. Rund 22.000 Mitglieder hat der Verein, etwa 13.000 davon sind aus Hamburg. Der DAV ist damit der viertgrößte Verein (und Beitragszahler) im Hamburger Sportbund (HSB). Ein „schlafender Riese“, der beginnt, sich zu räkeln.

Mitgliederzahlen in zehn Jahren fast verdoppelt

„Wir haben unsere Mitgliederzahlen in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt“, sagt Wolf. Zu dem ersten Turm, mit Kletterflächen innen und außen, sind mittlerweile zwei ebenso aufwendige Hallen hinzugekommen. Die bekletterbare Fläche umfasst knapp 4000 Quadratmeter. Ein Drittel der Mitglieder nutzt das Kletterzentrum, die anderen gehen den „traditionellen“ Angeboten des Vereins wie Wandern, Bergsteigen, Kanufahren oder auch Skifahren nach. Aber auch die finden in Lokstedt eine „Heimat“, mit Clubräumen für Vorträge, Materialverleih, einer Bibliothek, Jugendzimmern und vielem mehr.

Möglich wurde der Ausbau durch Darlehen, auch vereinsinternen, Hilfen des HSB und der Active City. „Natürlich gab es im Verein Diskussionen, ob wir uns das leisten können“, erzählt Wolf, „die Wanderer fanden das nicht so toll. Andererseits unterhält der Verein auch fünf Berghütten, die ein reines Zuschussgeschäft sind.“

Seit Ende Mai kann wieder geklettert werden. Unter Beachtung der Hygieneregeln natürlich. So ist nur jede zweite Route an den Wänden offen, damit die Abstände eingehalten werden. Das ist nicht schön, aber besser als nichts. Natürlich hat auch der DAV unter der Corona-Sperre gelitten. Zahlreiche Mitarbeiter mussten in Kurzarbeit geschickt werden, insbesondere die Honorarkräfte, die an der Kasse helfen oder Kurse geben, wurden hart getroffen.

DAV ist glimpflich durch die Corona-Krise gekommen

Insgesamt aber ist der DAV wohl besser durch die Krise gekommen als zum Beispiel die kommerzielle Nordwandhalle in Wilhelmsburg (das Abendblatt berichtete), zu der der Alpenverein ein freundschaftliches, kollegiales Verhältnis hat. Mit festen Mitgliederbeiträgen lässt sich eben besser kalkulieren, und nennenswerte Austritte hat es nicht gegeben. „Drei Monate Corona haben uns einen Einnahmeausfall von etwa 150.000 Euro gebracht, davon konnten wir aber etwa 50.000 durch eine Crowdfunding-Aktion und die öffentliche Corona-Hilfe ausgleichen“, sagt der Vorsitzende.

Jetzt aber geht es wieder richtig los. An den sonnigen Vormittagen tummeln sich erstaunlich viele ältere Kletterer in den Wänden, nach 17 Uhr kommen die Berufstätigen. Auch Leistungssportler sind im Verein aktiv, die 16 Jahre alte Louise Svensson ist amtierende deutsche Jugendmeisterin. Der Laden läuft – nur das eigentlich für April geplante große Eröffnungsfest für das neue Vereinscenter konnte noch nicht stattfinden. Die Einweihung fand eher heimlich, still und leise im laufenden Betrieb statt. „Wir holen das nach“, sagt Wolf, „irgendwann, wenn wir wieder dürfen. Und dann aber so richtig.“