Hamburg. 104 Renntage sind von August bis November vorgesehen. Der Buchholzer Nikias Arndt erläutert seine Planungen.

Normalität? Nikias Arndt will so weit zwar nicht gehen. Aber das intensive Rennsimulationstraining, das er in der vergangenen Woche absolvieren konnte, hat dem Radprofi aus Buchholz in der Nordheide zumindest das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zurückgegeben. Fünf, sechs Stunden pro Tag strampelte der 28-Jährige vom Team Sunweb in der Umgebung seiner Wahlheimat Köln durch das Bergische Land und die Eifel. „Dort kann man sehr gut die kurzen, knackigen Berganstiege trainieren. Nach sieben Wochen mit hauptsächlich Kraft- und Athletiktraining war das eine sehr willkommene Abwechslung“, sagt er.

Mit der um einen Tag verkürzten Fernfahrt Paris – Nizza endete am 14. März vorläufig das Wettkampfprogramm der Saison 2020. Seitdem arbeiten auch die Radprofis im Homeoffice, was für Arndts Teamkollegen aus anderen europäischen Ländern oftmals tatsächlich einen strikten Lockdown bedeutete. „Einige konnten nur auf dem Ergometer in ihrer Wohnung fahren. Wir in Deutschland durften ja immerhin nach draußen“, sagt er. Die ersten Wochen habe ihm die Entschleunigung sogar gutgetan, „aber irgendwann will man als Athlet wieder Action, und auch die Einsamkeit nervt auf die Dauer.“

Solange Training in größeren Gruppen noch nicht gestattet ist, reißt Arndt mit Phil Bauhaus (25/Bocholt) vom Team Bahrain-McLaren gemeinsam seine Trainingskilometer ab. Kontakt zu den 27 Sunweb-Kollegen aus elf Nationen hält er zweimal pro Woche per Videochat. Seit letzter Woche haben die Gespräche zum Inhalt, wonach sich Athleten weltweit sehnen: ein Ziel. Seit der Weltverband UCI den überarbeiteten Rennkalender für diese Saison veröffentlichte, ist den Radprofis wieder klar, wofür sie trainieren. „Auch wenn ich davon ausgehe, dass der neue Kalender sich noch ausdünnen wird, war es für mich ein Ankerpunkt, dass die UCI uns klare Ziele vorgegeben hat“, sagt Nikias Arndt.

Geballtes Programm

Ein Blick auf das geballte Programm, das am 1. August mit dem Eintagesklassiker „Strade Bianchi“ ausgerechnet im von Corona so gebeutelten Italien starten soll, verrät die Herkulesaufgabe, die der Weltverband Profis und Veranstaltern aufzubürden gedenkt. Fixpunkt des neuen Kalenders ist die Tour de France, die vom 29. August bis 20. September ausgetragen werden soll. Bis zu 70 Prozent ihrer Gesamtetats erwirtschaften die Teams bei der Großen Schleife. „Die Tour steht über allem, um sie herum ist alles andere aufgebaut“, sagt Arndt, dessen Nominierung für die wichtigste Rundfahrt des Jahres zwar noch nicht sicher, aber sehr realistisch ist.

Im Anschluss an die Tour drängen sich dann nicht nur die WM in Aigle-Martigny (Schweiz/20. bis 27. September), der Giro d’Italia (3. bis 25. Oktober) und die Spanien-Rundfahrt Vuelta (20. Oktober bis 8. November), die sich sogar um eine Woche überschneiden. Es sollen auch 15 Eintagesklassiker wie Lüttich-Bastogne-Lüttich (4. Oktober), Gent – Wevelgem (11. Oktober) oder Paris – Roubaix (25. Oktober) sowie fünf kleinere Rundfahrten wie Tirreno-Adriatico (7. bis 14. September) untergebracht werden. 104 Renntage an 100 Kalendertagen kommen so bereits zusammen.

Noch ohne den beantragten Nachholtermin sind die deutschen Rennen, die Cyclassics in Hamburg sowie Eschborn-Frankfurt. „Aus deutscher Sicht sehe ich das natürlich zwiegespalten. Ich kann verstehen, dass die großen Rundfahrten und die Monumente wie die Frühjahrsklassiker Vorrang haben“, sagt Nikias Arndt, „aber für den deutschen Markt und die deutschen Fans wäre es sehr wichtig, wenn wir wenigstens in Hamburg starten könnten.“ Veranstalter Ironman GmbH hat für die Cyclassics einen Termin im Oktober beantragt und hofft noch in dieser Woche auf Vollzug.

Gehaltskürzungen bis zu 80 Prozent vornehmen

Nikias Arndt, der in diesem Jahr ursprünglich zwei große Rundfahrten hatte bestreiten wollen, würde nun nach der Tour de France lieber auf die Eintagesklassiker setzen. „Aber da momentan nicht absehbar ist, ab wann Reisebeschränkungen aufgehoben werden und beispielsweise unsere fünf Australier und unser US-Fahrer wieder nach Europa kommen können, ist eine seriöse Planung derzeit nicht machbar“, sagt er. Abgefunden hat er sich bereits mit der Aussicht, die Rennen ohne Zuschauer bestreiten zu müssen. „Natürlich ist das hart, denn Fans und deren Emotionen gehören zum Sport untrennbar dazu. Aber wir alle wären froh, wenn wir überhaupt wieder Rennen bestreiten könnten.“

Die Rückkehr ins Wettkampfgeschehen ist für einige der 19 World-Tour-Teams tatsächlich überlebensnotwendig. Weil Sponsoringgelder ausbleiben, mussten fünf Ställe bereits Gehaltskürzungen bis zu 80 Prozent vornehmen. Bei Sunweb, dessen Namenssponsor im besonders gebeutelten Tourismus tätig ist, blieben bislang alle 120 Angestellten von Gehaltseinbußen oder Kurzarbeit verschont. „Das war ein sehr positives Zeichen in der Krise, dass das nachhaltige Arbeiten in unserem Team so gut funktioniert, dass alle bislang unbeschadet geblieben sind“, sagt Nikias Arndt. Auch Infektionen mit dem Coronavirus habe es keine gegeben.

Dass die Gesundheit an erster Stelle stehen muss, hat auch der sprintstarke Allrounder verinnerlicht. Hygienekonzepte sind im Training problemlos umzusetzen, im Renngeschehen sei Abstand zu Konkurrenten oder Teammitgliedern zu halten indes unmöglich. „Deshalb werden wir sehr genau abwägen müssen, was zu welchem Zeitpunkt riskiert werden kann“, sagt er, „wichtig ist, dass alle gut durch die Krise kommen.“ Die Rückkehr zur Normalität wird also auch im Radsport noch einige Zeit dauern.