Hamburg. Um die Anhänger bei der Stange zu halten, haben sich viele Sportarten virtuelle Wettbewerbe ausgedacht.

Die Coronakrise sorgt weiterhin für Stillstand im weltweiten Sport. Training ist nur individuell möglich, Wettkämpfe sind verboten, Ligen- und Turnierbetriebe eingestellt. Dennoch versuchen auch abseits des Fußballs viele Sportarten, ihren Fans virtuell aktuelle Unterhaltung und ihren Sponsoren damit ein wenig Aufmerksamkeit zu bieten. Die Konzepte dafür sind allerdings sehr unterschiedlich. Das Abendblatt hat eine Auswahl mit viel Hamburger Bezug zusammengetragen.

Boxen: Mehr als eine Million Fans verfolgten Ende März live die erste Ausgabe der virtuellen Muhammad-Ali-Trophy. Die Organisatoren der World Boxing Super Series, die vom Hamburger Promoter Kalle Sauerland mitgegründet wurde, übertrugen auf ihrer Facebookseite jeden Abend um 18 Uhr einen computersimulierten Schwergewichtskampf. Acht Boxer traten auf Basis des 2011 von EA Sports entwickelten Spiels „Fight Night Champion“ im K.-o.-Modus an, das Finale zwischen Mike Tyson und Ali, das Tyson nach Punkten gewann, sahen 300.000 Fans live. In England kooperierten die Anbieter mit mehreren Zeitungen. „Wir hätten niemals geglaubt, dass wir so eine Resonanz erzeugen würden“, sagt Kalle Sauerland. Fortgesetzt wurde die Serie mit einem Mittelgewichtsturnier, aktuell ist eine dritte Staffel in Planung. Diese soll nach Möglichkeit nicht mehr computersimuliert, sondern in Konsolenduellen echter Profiboxer ausgetragen werden.

Darts: Aus seinem Büro wirft Profispieler Max Hopp (23) seine Pfeile bei der „PDC Home Tour“, am Dienstagabend gewann er seine Vorrundengruppe. 32 Abende mit 128 Spielern hat der britische WM-Veranstalter bis zum 18. Mai für die erste Runde angesetzt. DAZN überträgt die Wurfspiele, die ohne digitale Software auskommen. Die Spieler sind per Webcam und Videotelefonie im Do-it-Yourself-Versuch zugeschaltet, geben ihre Ergebnisse durch. Die Bildqualität lässt aber teilweise zu wünschen übrig. Aufs Filmen verzichtet der Dartverein Eimsbüttel (DVE), auf die eigene Slamserie dagegen trotz gesperrter Gast- und Spielstätten nicht. Die Wurfergebnisse werden im direkten Duell auf Vertrauensbasis unter lidarts.org oder per Whats­App notiert. Das kostet Zeit. „Vier, fünf Stunden dauert ein Turnier“, sagt Sven Bellmann, 2. Vorsitzender des DVE, „aber das Vereinsleben bleibt, wenn auch auf minimaler Basis, am Leben.“

Motorsport: Die Formel-1-Macher des eSport-Ersatzprogramms, welches an den ursprünglich angesetzten Rennterminen läuft, müssen am Sonntag beim Grand Prix in Interlagos (Brasilien) auf Sebastian Vettel verzichten. Der 32-Jährige fühlt sich nicht bereit für Simulatorrennen gegen jüngere Fahrer. 20 von ihnen, darunter zuletzt sechs Formel-1-Piloten, Gaststarter wie Belgiens Fußballnationaltorhüter Thibaut Courtois (Real Madrid) und professionelle Simracer, gehen auf die Strecke. RTL.de sendet live, am Sonntag von 18 Uhr an. Seit Oktober 2018 ist Simracing mit Lenkrad, Pedale und Cockpit als Disziplin offiziell anerkannt im Deutschen Motor Sport Bund (DMSB). Nicht wenige eExperten halten das Fahren am Simulator für die realistischste Sportadaption. In der ersten offiziellen deutschen Meisterschaft, bei der Formel-1-Pilot Max Verstappen (Niederlande/Red Bull) im Tourenwagen vorne mitmischt, steht am Sonntag (16 Uhr/Livestream YouTube „nürburgring esports“) ein Rennen in Zandvoort (Niederlande) an.

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    Radsport: Auf dem Weg zum virtuellen Champion strampelt auch Lucas Carstensen. Der Harburger Radprofi vom Continental-Tour-Team Bike Aid gewann die ersten beiden Ligarennen der German Cycling Academy – allein auf der Rolle in der heimischen WG statt auf der Straße im Pulk. „Einen Pokal habe ich mir auf dem Balkon selbst verliehen“, sagt der 25-Jährige. Bis zum 16. Mai veranstaltet der Bund Deutscher Radfahrer (BDR) jeweils sonnabends (16.45 Uhr/Live­stream via Facebook, YouTube, Twitch „e-Cycling TV Germany“) Indoorrennen über 40 bis 60 Kilometer in der digitalen Welt des Rollentrainingsprogramms Zwift. Die Startliste umfasst auf Anhieb 393 Männer und 92 Frauen. „Die Radsportler bewegen mit ihrer Muskelkraft einen Avatar auf dem Bildschirm. Windschatten lässt sich nicht simulieren, fahrerisches Können auch nicht“, sagt der Hamburger Kai Rapp, ehemaliger Territory-Manager von Zwift. Der Widerstand ist abhängig vom Körpergewicht und Streckenprofil. Das Gewicht wird selbst eingegeben. Bei der virtuell ausgetragenen Tour de Suisse
    in der vergangenen Woche waren 16 World-Tour-Teams dabei. Der Tour-de-France-Vierte Emmanuel Buchmann (27/Bora-hansgrohe) belegte auf der zuvor real abgefilmten Strecke in den Alpen Etappenplatz sieben, das Schweizer Fernsehen übertrug.

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      Segeln: „Hätte es dieses Spiel nicht gegeben, wir hätten kein passenderes erfinden können“, sagt Oliver Schwall über die neu geschaffene eSailing-Bundesliga in der Segelsimulation „Virtual Regatta“. Seit dem 10. April ruft der Hamburger Macher der Segel-Bundesliga die Clubs zu Online-Wettfahren auf. Gespielt wird per App an Laptop, Smartphone oder Tablet. Der eSegler jagt per Touch- oder Tastaturbefehl dem Wind hinterher. Navigationsfähigkeiten sind entscheidend; Kreuz- und Wenderegeln zu beachten. Die Resonanz übertraf die Erwartungen. Knapp 70 Vereine kämpfen bis zum Finale am 5. Juni jeweils freitags um die Clubehre. Von 17.30 Uhr an werden die Rennen via Facebook und YouTube (Profil/Kanal „Deutsche Segel-Bundesliga“) gestreamt und kommentiert. Der Hamburger Segel-Club führt die Liga an. Nicht von ungefähr: Steuermann Johannes Bahnsen ist Deutschlands erster eSailing-Meister.


      Springreiten: Volker Wulff hat große Pläne, die er in diesen Tagen den nationalen Verbänden und auch dem Weltverband vorstellen möchte. So plant der Chef des Hamburger Spring- und Dressurderbys, in Kooperation mit dem Programmierer Mario Kron mit der Firma Equi-League virtuelle Turniere anzubieten, in denen die Reiter tatsächlich auf Distanz gegeneinander antreten. Dafür müssen sie auf einem festgelegten Parcours, den sie auf ihrer eigenen Anlage aufbauen, zu einer bestimmten Zeit eine Prüfung absolvieren, die gefilmt wird. Diese Prüfungen werden anschließend von Wertungsrichtern benotet. „Wir können dafür Tierschutz und Chancengleichheit garantieren. Die fixen Startzeiten sorgen dafür, dass niemand zehn Versuche unternimmt und den besten einreicht“, sagt Wulff. Das System sei ausgereift, noch im Mai wollen die Partner an den Start gehen. „Wir wollen damit einen Beitrag leisten, unseren Sport am Leben zu erhalten“, sagt Wulff.

      Tennis: 2018 gewann Alexander Zverev das Mastersturnier in Madrid. In dieser Woche hätte die 2020er-Auflage stattfinden sollen, doch komplett darauf verzichten muss der 23 Jahre alte Weltranglistensiebte aus Hamburg nicht. Zverev ist einer von 32 Teilnehmern, die an der Playstation 4 ihren Champion ausspielen. Bei den Damen ist die dreifache Grand-Slam-Siegerin Angelique Kerber (32/Kiel) dabei. Übertragen werden die virtuellen Wettkämpfe im Internet unter madrid-open.com. Die beiden Turniersieger kassieren 150.000 Euro, die an durch die Coronakrise in finanzielle Not geratene Tennisprofis gespendet werden sollen. Zverev, der aus seinem Trainingscamp in Florida mitspielt, hatte an der Playstation bis dato nur Erfahrung im Fußball und Basketball. „Aber es macht Spaß, ist eine witzige Erfahrung“, sagt er.

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