Lausanne/Berlin. IOC-Chef Thomas Bach spielt auf Zeit. Aber selbst Gastgeber Japan glaubt nicht an Spiele im Sommer. Und Kanada macht Druck.

Das Internationale Olympische Komitee setzt auf den Faktor Zeit. Vier Wochen räumt sich IOC-Chef Thomas Bach ein, dann soll Klarheit über die Sommerspiele 2020 in Tokio herrschen.

Bis dahin sollen mögliche Szenarien durchgespielt werden, was Bach in den vergangenen Wochen immer abgelehnt hatte. Doch er hatte keine Wahl, dafür sind die Auswirkungen durch die Coronavirus-Pandemie viel zu gravierend. Eine Verschiebung erscheint unausweichlich, folgende Szenarien sind denkbar.

Olympia-Verschiebung: drei mögliche Szenarien

  • Szenario 1: Die Olympischen Spiele werden in den Herbst verschoben. Von den klimatischen Bedingungen wäre das ohnehin die beste Variante, hatte es doch schon große Kritik an dem Sommertermin wegen der großen Hitze in Tokio gegeben. Doch ob sich die Corona-Krise nur wenige Monate nach dem derzeitigen Termin (24. Juli bis 9. August) tatsächlich gebessert hat, erscheint fraglich. Auch dürften die zahlungskräftigen TV-Sender aus den USA kaum damit einverstanden sein, da in dieser Zeit die großen amerikanischen Ligen wieder im Spielbetrieb sind.
  • Szenario 2: Das Event wird ähnlich wie die Fußball-EM um exakt ein Jahr verschoben, also weiterhin im Sommer. Diese Variante gibt dem IOC und den Veranstaltern alle Zeit, das Virus sollte bis dahin eingedämmt sein. Allerdings müsste der Sportkalender stark angepasst werden. Im Sommer 2021 sind zum Beispiel die Weltmeisterschaften der Schwimmer in Fukuoka/Japan und die der Leichtathleten in Eugene/USA vorgesehen.
  • Szenario 3: Olympia wird auf 2022 verschoben. Der Termin hätte den Vorteil, dass genügend Zeit bliebe, den Sportkalender anzupassen. Aber Winter- und Sommerspiele in einem Jahr wären für das IOC vermutlich kaum zu stemmen. Und Ende 2022 findet auch noch die Fußball-WM statt.

Olympia 2020: Kanada erhöht Druck auf IOC

Kanada verzichtet wegen der Corona-Pandemie auf eine Entsendung von Sportlern zu den Olympischen Spielen in diesem Sommer und will nur bei einer Verschiebung teilnehmen. Eine entsprechende Entscheidung kommunizierte das Kanadische Olympische Komitee (COC) am Sonntag auf seiner Internetseite. „Das ist kein Boykott“, sagte Kommunikationsdirektor Photi Sotiropoulos. Sollten die Spiele zu einem späteren Zeitpunkt abgehalten werden, zu dem ein Gesundheitsrisiko durch die Ausbreitung des Coronavirus nicht mehr gegeben sei, sei Kanada gerne in Tokio dabei. Das Paralympische Komitee (CPC) des Landes traf eine entsprechende Entscheidung für die Paralympics.

Die beiden Verbände sagten dem IOC und dem Internationalen Paralympischen Komitee bei einer Verschiebung der Olympischen Spiele jegliche Unterstützung zu bei allen Schwierigkeiten, die eine solche Entscheidung mit Blick auf den komplexen Kalender im Weltsport mit sich bringe. Nichts sei wichtiger als die Gesundheit und der Schutz der Sportler und der Weltgemeinschaft, hieß es in der Mitteilung.

Japans Premier Abe zieht Verschiebung in Betracht

Der japanische Premierminister Shinzo Abe hat am Montag erstmals eine Verschiebung der Spiele wegen der Corona-Krise in Betracht gezogen. Vor dem Parlament in Tokio sagte er, dass damit gerechnet werden müsse. Von einer Absage könne aber keine Rede sein.

„Es ist schwierig, Spiele unter diesen Umständen abzuhalten, wir müssen über eine Verschiebung entscheiden, wobei die Gesundheit der Athleten oberste Priorität hat“, sagte Abe. Die endgültige Entscheidung aber liege beim IOC.

Freitag wirft Bach Führungsversagen vor

Die Sportausschussvorsitzende des Bundestages hat die vom Internationalen Olympischen Komitee verkündete Vierwochenfrist bis zur Entscheidung über eine mögliche Verlegung der Sommerspiele in Tokio heftig kritisiert. „Ich finde die Entscheidung respektlos gegenüber den Athletinnen und Athleten und angesichts der Lage auf der Welt verantwortungslos“, sagte Dagmar Freitag im Interview des HR-Inforadios am Montag.

Diese Hinhaltetaktik produziere „einen massiven Vertrauensverlust“ und zeige „ein eklatantes Führungsversagen“, sagte die SPD-Politikern. „Herrn Bach laufen die Athleten davon. Das Produkt Olympia steht auf dem Spiel.“ Es werde höchste Zeit, dass IOC-Präsident Thomas Bach das begreife. Freitag: „Das IOC muss wissen: Wer nicht entscheidet, über den wird entschieden.“ Sie plädiert für eine Verlegung der Tokio-Spiele um ein Jahr.

Athletensprecher Röhler für Verschiebung auf 2021

Speerwurf-Olympiasieger Thomas Röhler hat sich für Olympische Spiele im nächsten Jahr ausgesprochen. „Wir Athleten – international kann ich da für die Leichtathletik sprechen – sind der Meinung, dass 2021 aktuell die maximale Sicherheit bietet“, sagte der 28-Jährige aus Jena am Montag im „Morgenmagazin“ der ARD und des ZDF. Man werde diese Meinung in einer Telefonkonferenz am Montagabend mit dem Weltverbandschef Sebastian Coe (Großbritannien) vortragen. Röhler ist Athletensprecher des Leichtathletik-Weltverbandes.

World Athletics ist bereit, mit dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dem gesamten Sport an einem alternativen Termin für die Sommerspiele zu arbeiten. Wie der Dachverband mitteilte, umfasst dies „auch Termine im Jahr 2021“ und damit auch die Leichtathletik-WM im nächsten Jahr in Eugene (USA). World Athletics hat bereits mit dem Organisationskomitee „Oregon 21“ über die Möglichkeit diskutiert, die Tokio-Spiele wegen der Coronavirus-Pandemie auf das nächste Jahr zu verlegen.

Triahleten-Chef stärkt IOC-Chef Bach den Rücken

Martin Engelhardt, Mediziner und Präsident der Deutschen Triathlon-Union, hat auch Verständnis für die zögerliche Haltung des IOC mit Blick auf die Sommerspiele in Tokio. „Aus medizinisch-fachlicher Sicht kann man heute nicht sagen, dass Sport im Juli nicht möglich sein wird“, sagte Engelhard der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

„Es wäre vernünftig, jetzt zu sagen, dass man sich die Entwicklung anschaut und in zweieinhalb Wochen entscheidet. Das würde den Athleten etwas Druck nehmen. Dann kann man immer noch absagen“, meinte er.

In einer persönlichen E-Mail an die Athleten warb IOC-Präsident Bach am Montag erneut um Verständnis dafür, dass eine endgültige Entscheidung jetzt noch verfrüht wäre. "Ich weiß, dass diese beispiellose Situation viele Ihrer Fragen offenlässt", schrieb der 66-Jährige. "Ich weiß auch, dass dieser rationale Ansatz möglicherweise nicht mit den Emotionen übereinstimmt, die viele von Ihnen durchleben müssen."

Auch DOSB-Chef für Verschiebung

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes, hatte vom IOC eine eindeutigere Position in der Debatte um eine Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio erwartet. Die Prüfung der Verlegung durch das Internationale Olympische Komitee sei ein „richtiger und in Anbetracht der aktuellen gesundheitlichen Weltlage längst fälliger Schritt“ gewesen, sagte er am Montag der Deutschen Presse-Agentur. „Allerdings hätten wir uns jetzt eine klare Aussage dahin gehend gewünscht, dass die Spiele definitiv nicht zum geplanten Termin stattfinden können und nun über denkbare Alternativen beraten wird.“

Denn die Athleten befänden sich in einer extrem schwierigen Situation, hätten kaum Trainingsmöglichkeiten und große Unklarheit bei der Olympia-Qualifikation. „Auch gegenüber der Öffentlichkeit wäre es ein enorm wertvolles Signal gewesen, den bisherigen Termin aufgrund der aktuellen Lage in der Welt abzusagen“, erklärte Hörmann.

Coronavirus: So können Sie sich vor Ansteckung schützen

  • Niesen oder husten Sie am besten in ein Einwegtaschentuch, das Sie danach wegwerfen. Ist keins griffbereit, halten Sie die Armbeuge vor Mund und Nase. Danach: Hände waschen
  • Regelmäßig und gründlich die Hände mit Seife waschen
  • Das Gesicht nicht mit den Händen berühren, weil die Erreger des Coronavirus über die Schleimhäute von Mund, Nase oder Augen in den Körper eindringen und eine Infektion auslösen können
  • Ein bis zwei Meter Abstand zu Menschen halten, die Infektionssymptome zeigen
  • Schutzmasken und Desinfektionsmittel sind überflüssig – sie können sogar umgekehrt zu Nachlässigkeit in wichtigeren Bereichen führen