Hamburg. Über die Rivalität der Vereine – und Fans, die den Gegner anfeuern. Ein Besuch in den Fußballmuseen der Zweitligaclubs.

Am Millerntor beginnt die Schatzsuche an diesem Morgen fünf Minuten früher als verabredet. Es ist 10.55 Uhr, als sich die Türen von St. Paulis Vereinsmuseum öffnen. Erst seit ein paar Wochen sind die Räumlichkeiten in der Gegengeraden des Millerntor-Stadions als dauerhafter Ausstellungsort eingerichtet. Nach diversen Ausstellungen und Veranstaltungen zu bestimmten Themen ist das Museum nun seit dem 24. Januar von jeweils Donnerstag bis Sonntag geöffnet.

An diesem Morgen, in diesen Tagen und in dieser ganzen Woche ist aber nur ein Thema von Bedeutung: das Derby. Rainer Klinitzki, der im ehrenamtlich tätigen Vorstand des Museumsvereins federführend für das Archiv verantwortlich ist, ist bereits da. Ein klitzekleines Bisschen wirkt dieser Klinitzki mit seinem weißen Bart wie der Weihnachtsmann. Und obwohl es nicht der 24. Dezember ist, hat der 68-Jährige auch tatsächlich Geschenke mitgebracht. „Ich habe mal ein paar Sachen zum Thema Derby gegen den HSV herausgesucht“, sagt er. „Vielleicht ist das ja interessant.“

FC St. Pauli: Museumsarchiv besitzt echte Schätze

Klinitzki untertreibt maßlos. Das, was Klinitzki aus dem Archiv mitgebracht hat, sind für St.-Pauli-Anhänger echte Schätze. Ein bronzefarbenes Trikot von Gerald Asamoah zum Beispiel. Es ist das Shirt, das der Stürmer bei St. Paulis legendärem Sieg im Volkspark am 16. Februar 2011 trug. Damals erzielte er das Tor des Tages zum 0:1-Endstand, den er mit schwarzem Filzer auf der Vorderseite des Trikots auch noch einmal verewigt hat. Darunter noch ein Autogramm – und fertig ist der Derbyschatz.

Die Fußballschuhe, die St. Paulis Torwart Benedikt Pliquett beim Derbysieg 2011 trug.
Die Fußballschuhe, die St. Paulis Torwart Benedikt Pliquett beim Derbysieg 2011 trug. © Michael Rauhe

Nicht weniger ideellen Wert haben die Schuhe, die Klinitzki stolz präsentiert. „Benedikt Pliquett hat sie in dem Spiel getragen“, sagt er. Der Ersatztorhüter war 2001 völlig unerwartet von Trainer Holger Stanislawski für das bislang letzte Erstliga-Stadtduell ins Tor gestellt und Stammkeeper Thomas Kessler vorgezogen worden. So bleibt für alle Anhänger bis heute unvergessen, wie eben jener Pliquett den späteren braun-weißen Derbysieg mit einem Karatesprung an der Eckfahne zelebrierte, woran dann auch jeder St.-Pauli-Fan denken muss, wenn er die Schuhe sieht.

HSV-Museum: eins der größten deutschen Fußballmuseen

Niko Stövhase schüttelt mit dem Kopf. Der 50-Jährige führt gleichzeitig durchs Museum – allerdings durch das 6,6 Kilometer entfernte HSV-Museum im Volkspark. „Die Derbypleite 2011 habe ich Gott sei Dank verpasst. Ich hatte meinen Skiurlaub auf einen Tag nach dem Derby gelegt. Dann fiel das Derby wegen heftiger Regenfälle aus. Und bei der Neuauflage, als der HSV 0:1 verlor, war ich im Skiurlaub“, sagt der HSV-Museumsleiter, der anders als sein Kiezkollege kaum mit echten Derbydevotionalien glänzen kann. Während Stövhase den europäischen Landesmeisterpokal von 1983 und Meisterschalen in der Schatztruhe des Museums präsentiert, erklärt er: „Die sportliche Bedeutung des Derbys ist aus Museumssicht gar nicht so groß, weil es lange Zeit gar keine große sportliche Rivalität gab.“

Tatsächlich ist Stövhase die 700 Quadratmeter Ausstellungsfläche des HSV-Museums abgelaufen, um nach Derbyerinnerungen zu suchen – vergeblich. 400 Exponate sind derzeit ausgestellt, weitere 3000 schlummern im Archiv. Doch von St. Pauli ist im HSV-Museum, das eines der größten deutschen Fußballmuseen ist, kein einziges Mal die Rede. Zumindest nicht direkt.

Strövhase: "St. Pauli war in der HSV-Geschichte sportlich fast nie auf Augenhöhe“

Indirekt dann aber schon. So wird am Eingang das Foto einer Choreografie aus der Zeit gezeigt, als der HSV noch in der Ersten und St. Pauli nur in der Dritten Liga war. „Hier erstrahlt die Hansestadt, die keinen Zweit­ligisten hat“, steht quer über die Nordtribüne geschrieben. Stövhase lacht.

Dieses Plakat wurde auf dem Heiligengeistfeld gefunden.
Dieses Plakat wurde auf dem Heiligengeistfeld gefunden. © Michael Rauhe

Die Zeiten ändern sich. „Das ist keinesfalls despektierlich gemeint, aber anders als beispielsweise Bremen war St. Pauli in der HSV-Geschichte sportlich fast nie auf Augenhöhe“, sagt der HSV-Museumsleiter. „Lediglich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war es für zwei Jahre mal wirklich sehr eng zwischen St. Pauli und dem HSV. Damals gab es sogar ein Entscheidungsspiel um die Meisterschaft zwischen dem HSV und St. Pauli. Das war 1947/48.“

FC St. Pauli bot HSV ab und an Paroli

Lang ist’s her. Doch in den vergangenen Jahren konnte der FC St. Pauli dem HSV durchaus ab und an Paroli bieten. Im Hinspiel dieser Saison zum Beispiel, als der Kiezclub 2:0 gewann. Natürlich kann man die Entstehung der Tore auf einem wunderbaren „11Freunde“-Frühstücksbrettchen bewundern, das es ins St.-Pauli-Museum geschafft hat – und auch für „Normalsterbliche“ für 9,99 Euro zu erwerben ist.

Die Langspielplatte zum Derby im September 1977.
Die Langspielplatte zum Derby im September 1977. © Michael Rauhe

Unverkäuflich sind dagegen das selbst gemachte Pappschild „Verkaufe Seele für ein Ticket“, das die Museumsmacher vor dem Hinspiel auf dem Heiligengeistfeld fanden, oder die 43 Jahre alte Derby-Schallplatte. Am 3. September 1977, gut 14 Jahre nach Gründung der Bundesliga, war St. Pauli als Aufsteiger als klarer Außenseiter in das Match gegen den amtierenden Europapokalsieger der Pokalsieger gegangen. Die Holsten-Brauerei, damals Biersponsor beider Clubs, hatte eine Langspielplatte eigens für dieses Stadtduell in Auftrag gegeben. Hits wie „Ein Bett im Kornfeld“, „Holsten, Holsten“, „Girls, Girls, Girls“ und „Mädchen mit den traurigen Augen“ sollten die Fußballfans der Stadt seinerzeit in Stimmung bringen.

Underdog St. Pauli damals von HSV-Fans angefeuert

Für Klinitzkis HSV-Kollegen Stövhase war es damals tatsächlich die Derbypremiere, die direkt mit 0:2 in die Hose ging. „Es war schräg. Viele HSV-Fans haben irgendwann angefangen, den Underdog St. Pauli anzufeuern. Das hat anderen HSV-Anhängern natürlich gar nicht gefallen“, erinnert sich Stövhase, der seinerzeit Westkurve, Block B stand.

Rainer Klinitzki ist der Archivar des Museums des FC St. Pauli.
Rainer Klinitzki ist der Archivar des Museums des FC St. Pauli. © Michael Rauhe

Allzu traurig war aber seinerzeit kaum einer über das 0:2 gegen den kleinen FC St. Pauli. „Erst in den 90er-Jahren entstand diese wirkliche Derby-Rivalität, was besonders mit Politik zu tun hatte“, sagt Stövhase. „Beim HSV waren unter den Fans leider viele Rechte, bei St. Pauli tummelten sich Linke, Punker und Hausbesetzer. Viele HSVer wandten sich vom Volkspark ab und gingen zu St. Pauli. In dieser Zeit wuchs die Rivalität. Die Konfrontation war vorprogrammiert.“ Diese Zeiten der politischen Kontraste seien zwar längst vorbei. Aber: „Die Rivalität ist geblieben.“

Eine gesunde Rivalität muss ja nicht schaden, findet auch St. Paulis Klinitzki. Er werde sich jedenfalls das Derby am Sonnabend bei seiner Tochter auf der Couch anschauen, weil er „dieses Stadion da draußen“ genauso wenig möge wie den Weg dorthin.

Beim Derby: Ausschau nach neuen Exponaten

Und natürlich hofft der Berliner, dass sich möglicherweise auch am Wochenende das eine oder andere Exponat finden lässt, das nach einem Überraschungssieg seiner Kiezkicker im Museum ausgestellt werden kann. Ein Highlight, sagt er, habe er noch: ein Grußwort von Uwe Seeler an beide Fanlager, doch bitteschön friedlich zu bleiben. Anlass war das Derby in der Saison 2004/05 – in der Regionalliga. Es war also nur ein „Derby light“, denn St. Pauli musste mit seiner ersten Mannschaft gegen das Amateurteam des HSV antreten.

HSV-Geschenk für das St.-Pauli-Museum

Stövhase kennt natürlich Klinitzkis Schätze. Bei der Einweihung des Museums vor einigen Wochen war er sogar dabei – und überbrachte vom HSV ein Geschenk: Eine Collage mit Fotos von Fußballern, die für beide Clubs gespielt haben. Mehr Geschenke sollen es nach Meinung des HSV-Mitarbeiters in dieser Saison aber nicht werden. „Natürlich gibt es die sportliche Rivalität und wir wissen, dass wir unsere Clubs gegenseitig nicht mögen“, sagt Stövhase. „Aber wir persönlich können ja trotzdem gut miteinander auskommen.“