Hamburg. Die Hindernisläuferin will nach WM-Bronze auch bei Olympia in Tokio glänzen – und die eigenen Grenzen ausloten.

Zwei Daunenjacken trägt Gesa Krause, als sie das Abendblatt am Freitagvormittag in der Lobby des Hotels Europäischer Hof an der Kirchenallee zum Gespräch empfängt; eine um die Schultern gelegt, eine über die Beine. Zusätzlich trinkt sie Früchtetee, um den Körper wieder auf Betriebstemperatur hochzuregeln. Deutschlands beste Hindernisläuferin ist es gewohnt, im Warmen ihren Sport auszuüben, ihre jüngste WM-Bronzemedaille erlief sie sich bei der Hitzeschlacht in Doha (Katar) Anfang Oktober im klimatisierten Stadion. Da kann einem der Hamburger Novemberwind schon gehörig zusetzen, zumal, wenn man bei 1,67 Metern Körperlänge nur rund 50 Kilo auf die Waage bringt.

Aber da die 27-Jährige stets die Sonne im Gemüt trägt, hat sie ihre Laufrunde um die Alster und das anschließende Fotoshooting mit Langmut ertragen. Schließlich geht es in diesen Tagen darum, für ihren Sponsor Huawei die neue Smartwatch GT 2 zu testen. Deren Besonderheit soll eine Akku-Laufzeit von zwei Wochen sein. Und so tourt Gesa Krause seit Mittwoch durch Deutschland, absolviert in acht verschiedenen Städten ihre liebsten Laufrunden – in Hamburg, der Heimatstadt ihres Lebenspartners Marc Schultz, natürlich rund um die Alster und durch die HafenCity –, und schließt die Uhren-Testphase im Trainingslager in Kenia ab, in das sie am kommenden Sonnabend reisen wird.

Gesa Krause unterbot die Olympianorm um 27 Sekunden

Ihre eigenen Akkus, die hat Gesa Krause nach der WM dringend aufladen müssen. Mehr als ein Jahr lang hatten sie gehalten, von Oktober 2018 bis zum WM-Finale hatte sie sich keinen einzigen trainingsfreien Tag gegönnt. „Ich bin ein Bewegungsmensch. Aber nach der WM habe ich sieben Tage keinen einzigen Schritt gemacht, der nicht unbedingt notwendig war“, sagt sie. Leistungssportler klagen oft darüber, dass keine Zeit bliebe, Erfolge angemessen zu genießen. Gesa Krause hat sich diese Zeit bewusst genommen. „Man muss so etwas nicht nur physisch, sondern auch emotional verarbeiten“, sagt sie.

Gesa Felicitas Krause mit ihrer WM-Bronzemedaille von Doha.
Gesa Felicitas Krause mit ihrer WM-Bronzemedaille von Doha. © dpa | Michael Kappeler

9:03,30 Minuten über die 3000-Meter-Distanz, das war die Zeit, mit der die Sportsoldatin in Katar nicht nur den deutschen Rekord verbesserte, sondern auch die Norm für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio um fast 27 Sekunden unterbot. Auch wenn sie im kommenden Jahr einen erneuten Leistungsnachweis erbringen muss, ist die Vorbereitung auf Japan längst angelaufen.

Dass dort mit noch härteren Klimakonditionen als in Katar zu rechnen ist, schreckt sie nicht. „Ich habe neun Minuten Belastung, das wird schon gehen.“ Und vielleicht sind es sogar noch weniger, denn das magische Limit zu unterbieten, das traut sie sich zu. „Spätestens seit der WM glaube ich, dass ich unter neun Minuten laufen kann, ich habe meine Grenzen noch nicht ausgeschöpft.“ Ihr Ziel für Tokio: besser zu sein als 2016 in Rio, wo sie Platz sechs belegte.

Um das zu schaffen, war sie nach dem Urlaub ins Höhentrainingslager nach Boulder (US-Bundesstaat Colorado) gereist. Die Kenia-Reise am kommenden Wochenende ist nur die erste von drei im Winterhalbjahr geplanten, im März geht es nach Südafrika, im Sommer in die Schweizer Alpen. Und alles allein, ohne Trainingsgruppe; nur mit Trainer Wolfgang Heinig (68), den sie nach ihrem zweiten WM-Bronzegewinn überschwänglich gelobt hatte.

Was Krause an Deutschland schätzt

Den Weg, sich als Individualist in die Weltklasse vorzukämpfen, haben viele bei der WM erfolgreiche deutsche Athleten gewählt. Ob sich der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) deshalb Gedanken über die Wirksamkeit seiner Förderprogramme machen sollte? „Ich finde, dass der DLV gute Strukturen hat. Und er unterstützt auch die individuellen Wege seiner Spitzenathleten wohlwollend. Das Problem ist, dass wir im Vergleich zu den USA oder Afrikas Laufnationen einen viel kleineren Pool an Athleten haben. Außerdem werden, bis auf die Spitzentrainer, die meisten Coaches mit geringen Löhnen abgespeist. Daraus kann sich nicht systematisch Weltklasse entwickeln“, sagt sie.

Dass Sprint-Ass Gina Lückenkemper (22/Soest) dem Beispiel von Konstanze Klosterhalfen (22/Bonn), WM-Dritte über 5000 Meter, folgt und sich für die Tokio-Vorbereitung einer Trainingsgruppe in den USA anschließt, kann Gesa Krause nachvollziehen. Sie findet auch, dass der im Zuge der Auflösung des Nike Oregon Projects um den umstrittenen Coach Alberto Salazar erhobene General-Dopingverdacht gegen dort trainierende Sportler ungerecht ist. „Man kann für niemanden die Hand ins Feuer legen, weder in den USA noch hier. Aber man darf nicht von einem Sünder auf alle schließen“, sagt sie.

Der Blick über den Tellerrand habe ihr, die mindestens acht Monate im Jahr außerhalb ihrer Wahlheimat Frankfurt am Main verbringt, vor allem geholfen, um Deutschland mit anderen Augen zu sehen. „Ich weiß mittlerweile zu schätzen, dass Deutschland hervorragende medizinische Versorgung und ein sehr gutes Umfeld für uns Athleten bietet“, sagt sie. Nationale Events wie der Silvesterlauf ihres Trierer Heimatvereins, der ihr erster Wettkampf nach der WM sein wird, sind für Gesa Krause deshalb mehr als nur Pflichtprogramm. Auch wenn das bedeutet, manchmal zwei Daunenjacken gegen die Kälte tragen zu müssen.