Hamburg. Kalle Sauerland, Mitinhaber des gleichnamigen Profistalls, über die Probleme im deutschen Boxen – und seine Pläne, diese zu lösen.

Am vergangenen Donnerstag war er in Tokio beim Finale der Muhammad-Ali-Trophy, am Sonnabend in Hamburg am Ring, um zu schauen, was die deutsche Konkurrenz macht. Bevor er am Dienstag erneut in Richtung Asien abreiste, erklärte Kalle Sauerland (42), Mitinhaber des Hamburg-Berliner Sauerland-Teams, im Gespräch mit dieser Zeitung, warum er überzeugt davon ist, dass 2020 ein gutes Jahr für das darbende deutsche Boxen werden kann.

Hamburger Abendblatt: Herr Sauerland, am vergangenen Sonnabend waren Sie in Hamburg Gast am Ring, als Ihr Konkurrent Universum seine Kooperation mit dem ZDF wiederbelebte. Wie hat es Ihnen gefallen?

Kalle Sauerland: Mein Eindruck war, dass viel Herzblut in der Veranstaltung steckte. Die Ansetzungen fand ich sehr mutig. Allerdings glaube ich, dass das neue Universum mit seinem Anspruch, nur Kämpfe auf Augenhöhe zu bieten, aufpassen muss. Junge Boxer brauchen einen gewissen Aufbau, bis sie bereit sind für entsprechende Aufgaben. Man darf Talente nicht zu schnell verheizen. Grundsätzlich hat mir die Veranstaltung aber gut gefallen.

Universum-Chef Ismail Özen hat rund um die Veranstaltung immer wieder betont, er würde sauberes, faires Boxen bieten und keine Kämpfe gegen Gegner, in denen der Sieger von vornherein feststeht. Das ZDF hat das zur Bedingung gemacht. Fühlen Sie sich davon angegriffen? Im Umkehrschluss heißt das ja, dass das in Deutschland bislang nicht der Fall war.

Sauerland: Den Anspruch, einen sauberen, fairen, korrekten Sport zu bieten, hat das Team Sauerland immer schon gehabt, wie auch die meisten Promoter. Dafür sorgt aber nicht der Promoter, sondern der lokale Verband als Ausrichter. In meinen 20 Jahren im Boxgeschäft habe ich weltweit mehr veranstaltet als alle anderen deutschen Kollegen. Und ich habe nie gesehen, dass ein Kampf verschoben wurde, noch habe ich jemals ein entsprechendes Angebot erhalten.

Das fällt angesichts einiger Urteile, die es auch auf Ihren Veranstaltungen gab, schwer zu glauben.

Sauerland: Fakt ist, dass es einen Heimvorteil gibt, wenn die Stimmung in der Arena überkocht und schwache Punktrichter sich davon beeindrucken lassen. Aber auch das liegt in der Verantwortung der Verbände. Allen seriösen Promotern und auch den TV-Sendern war es schon immer ein Anliegen, sauberen, fairen Sport anzubieten. Das gilt auch für die Dopingkontrollen, die das ZDF von Universum eingefordert hat. Das haben wir als weltweit erster Promoter früher schon gemacht, und das ist der einzig richtige Weg.

Schmerzt es Sie, dass manche meinen, Sauerland sei nicht mehr die Nummer eins in Deutschland?

Sauerland: Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich sehe Sauerland weiterhin als klare Nummer eins. Schauen Sie sich an, wo unsere Boxer in den Weltranglisten platziert sind und wo die der Konkurrenten. Sechs der acht deutschen Sauerland-Boxer stehen weltweit in den Top 15. Außerdem ist Sauerland der deutsche Promoter, der mit Abstand am meisten im Ausland veranstaltet. Es bleibt die traditionsreichste Marke im deutschen Boxen.

Tatsächlich aber veranstalten Sie deutlich weniger in Deutschland, meist nur in kleinen Städten und ohne große Kämpfe. Der Eindruck vieler Boxfans ist der, dass es still geworden ist um Sauerland. Warum?

Sauerland: Die derzeitige Strategie spiegelt das wider, was auf dem deutschen Boxmarkt gerade passiert. Es ist eine Zeit des Neuaufbaus, nachdem die ganze Branche über Jahrzehnte einen fast unglaublichen Boom erlebt hatten. Und in so einer Phase ist es normal, dass es auch mal weniger Veranstaltungen gibt.

Sie schließen Ihr Gym in Berlin, kündigen Ihrem Trainer Ulli Wegner. Man kann das als Zeichen für den nahenden Untergang deuten.

Sauerland: Man kann aber auch versuchen, die Hintergründe zu verstehen. Das Gym in Berlin ist mit 600 Quadratmetern und jährlichen Kosten im sechsstelligen Bereich deutlich zu groß und zu teuer geworden für die zwei, drei Boxer, die dort noch trainieren. Die Boxwelt hat sich verändert, es gibt weltweit keinen großen Stall, der noch ein zentrales Gym unterhält. Boxer wollen heute individuell trainieren, sie haben ihr eigenes Team um sich herum und wählen den Ort ihrer Trainingsstätte selbst. In Zeiten des Sparzwangs muss ich dann schauen, ob ein großes Gym in Berlin noch tragbar ist. Das Ergebnis war, dass geschlossen wird. Das heißt aber nicht, dass Sauerland untergeht.

Die Kündigung für Wegner hat allerdings für großen Wirbel gesorgt, weil Sie sie nicht persönlich ausgesprochen, sondern durch eine Mitarbeiterin haben übergeben lassen. War das der richtige Weg?

Sauerland: Mein Vater hatte mit Ulli mündlich mehrfach besprochen, warum wir diesen Weg gehen müssen. Er wusste also lange vor dieser Formalie Bescheid. Sein Anwalt hat dann auf einer schriftlichen Kündigung bestanden. Dem wurde entsprochen. Das bedeutet aber nicht, dass Sauerland nicht mit ihm weiterarbeiten möchte. Ulli hat Enormes geleistet in der Vergangenheit, aber Sauerland muss sich neu ausrichten. Es wird keine fest angestellten Trainer mehr geben, sondern mit vielen Freiberuflern gearbeitet. Die Boxer bekommen dennoch weiterhin jede Unterstützung, die sie brauchen.

Ihr Toptalent Leon Bauer beklagte kürzlich in einem „FAZ“-Interview, Promoter wie Sauerland seien schädlich fürs Boxen, weil sie viel zu wenig in Talente investieren würden...

Sauerland: Da möchte ich gleich einhaken. Leon ist dort in eine Falle gelaufen, er wurde falsch zitiert und wird dazu in den kommenden Tagen ein entsprechendes Statement abgeben. Sauerland hat in Leon mehrere Hundertausend Euro investiert, das ist belegbar.

Sie klagen häufig über den deutschen Medienmarkt, auch darüber, dass beispielsweise im aktuellen Boom-Markt England Fanbasis und Social-Media-Verbreitung von Boxthemen viel größer sind. Täuscht der Eindruck, dass Sie keine Lust mehr auf Deutschland haben?

Sauerland: Der täuscht absolut! Deutschland ist meine Heimat, auch wenn ich in England aufgewachsen bin. Meine Frau, unsere Kinder und ich sind stolze Hamburger. Ich habe eine sehr emotionale Bindung an Deutschland und weiß, dass es unser Kernmarkt ist. Aber die Lage ist momentan so, dass der deutsche Markt kommerziell schwach ist und das Team Sauerland aufgrund ausbleibender TV-Gelder keinen Weltmeister aus den USA oder England hier präsentieren kann. Deshalb muss man auch auf anderen Märkten präsent sein.

Sie sind Miterfinder und einer der führenden Köpfe der World Boxing Super Series, der Champions League des Boxens. Ist das für Sie das aktuell wichtigste Projekt?

Sauerland: Ich habe mich bei der WBSS gebunden, und der Erfolg zeigt, dass das richtig war. Wir hatten innerhalb der vergangenen drei Wochen zwei Finalkämpfe in London und Tokio mit insgesamt 40.000 Zuschauern in den ausverkauften Arenen und Millionen Fans weltweit, die im TV oder Internet dabei waren, allein neun Millionen in Japan. Die WBSS ist in ihrer zweiten Saison bereits als Champions League des Boxens bekannt, das Interesse ist riesig. Es macht großen Spaß zu sehen, wie unser Sport dadurch enorm wächst. Wir haben langfristige Mediendeals abgeschlossen und planen aktuell bereits die dritte Staffel. Es ist wirklich ein Riesenprojekt.

Darunter leidet aber das nationale Geschäft, in dem Sie auch dringend gebraucht würden, da Ihr Vater sich zurückgezogen hat und Ihr Bruder in London wohnt und nicht den Einblick in den deutschen Markt hat wie Sie. Besorgt Sie das nicht?

Sauerland: Natürlich würde ich gern mehr Zeit mit dem Deutschland-Geschäft verbringen. Aber es ist aktuell nicht anders möglich, ich darf mich aufgrund meiner Rolle in der WBSS auch gar nicht einbringen. Aber ich gebe natürlich meinen Rat. Und ich sage Ihnen eins: Das Geschäft hängt ja nicht nur von mir ab, sondern von unseren Boxern. Und da darf man den Fakt nicht übersehen, dass Deutschland aktuell bei den vier bedeutenden Weltverbänden keinen Weltmeister hat. Ich hoffe sehr, dass wir schon bald wieder deutsche Boxer haben, ob bei Sauerland oder anderen Ställen, die über das Level verfügen, in der WBSS mitzuboxen. Das ist nicht weit weg.

Erläutern Sie doch bitte die Strategie, mit der Sie das schaffen wollen.

Sauerland: Sauerland setzt – anders als zu den Zeiten, als wir pro Kampfabend 250.000 Euro nur für das Vorprogramm zur Verfügung hatten – auf Qualität statt Quantität. Deshalb hat das Team nur noch die acht besten deutschen Boxer unter Vertrag und nicht 15 oder 20, von denen die Hälfte keine realistische Chance hat, Weltklasseniveau zu erreichen. Man kann das Boxen nicht auf falschen Träumen aufbauen, wenn man langfristig erfolgreich sein will. Dennoch haben wir in jeder Gewichtsklasse Leute, die jeden Boxer bei unserer deutschen Konkurrenz schlagen können. Die größten Talente bei manch einem anderen Promoter sind welche, die bei Sauerland gescheitert sind.

Dann verraten Sie mal, auf wen Sie setzen und wem Sie zutrauen, 2020 für Furore zu sorgen.

Sauerland: 2020 kann ein großes Jahr für das deutsche Boxen werden. Vincent Feigenbutz kämpft Mitte des Jahres in den USA gegen IBF-Champion Caleb Plant um die WM im Supermittelgewicht. Superweltergewichtler Abass Baraou kann Ende des Jahres auch um einen großen Titel boxen, er ist mit Abstand das größte deutsche Talent. Leon Bunn im Halbschwer-, Leon Bauer im Supermittel-, Patrick Wojcicki und Denis Radovan im Mittelgewicht stehen auch in den Top 15 der Weltranglisten. Aber ich traue auch der Konkurrenz einiges zu. Die Schwergewichtler Agit Kabayel und Peter Kadiru finde ich interessant, Dominic Bösel im Halbschwer, Sebastian Formella im Superwelter und Artem Harutyunyan im Halbwelter haben auch gutes EM-Niveau.

Das heißt, Sie gucken ohne Neid auf die Konkurrenz?

Sauerland: Absolut. Nur gemeinsam werden wir es schaffen, das deutsche Boxen wieder nach oben zu führen. Deshalb arbeiten wir gut mit regionalen Promotern zusammen. Es braucht nur zwei, drei neue Namen, die das Publikum faszinieren, dann kann es mit dem deutschen Boxen schnell wieder aufwärts gehen. Wir setzen aber natürlich darauf, dass das Team Sauerland wie in den vergangenen drei Jahrzehnten diese neuen Stars produzieren wird.

Und wo werden die dann zu sehen sein? Dem Vernehmen nach läuft Ihr Vertrag mit Sport 1 Mitte 2020 aus und soll nicht verlängert werden.

Sauerland: Unsere Partnerschaft mit Sport 1 läuft bis Ende 2020. Wie oft wir veranstalten werden, kann ich noch nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Wir werden ein qualitativ hochwertiges Paket anbieten, das für jeden Medienpartner interessant sein kann. Noch sind wir nicht in der Lage, richtig große WM-Kämpfe wie früher in Deutschland anzubieten. Aber in 2020 wird sich da vieles ändern.