Hamburg. Deutschland bekommt einen Elfmeter geschenkt, verliert aber trotzdem deutlich gegen die Niederlande. Zwei Bayern-Profis sind bedient.

Als der portugiesische Schiedsrichter Artur Soares Dias nach 95 Minuten abpfiff, war es offiziell: 31 Jahre nach dem denkwürdigen 1:2 im EM-Halbfinale gegen die Niederlande verlor Deutschland erneut gegen Holland. Diesmal sogar mit 2:4 – und trotzdem diesmal nicht ganz so ernüchternd wie einst.

"Wir haben schon in der ersten Hälfte nicht gut gespielt, hatten kaum Ballbesitz", klagte Abwehrspieler Niklas Süle bei RTL. "Das kann nicht unser Anspruch sein. Es war ein ganz schwaches Spiel von uns. Das müssen wir besser machen." Deutliche Worte. Auch sein Teamkollege Serge Gnabry wirkte mächtig genervt nach Spielschluss. "Wir haben Holland gewinnen lassen. Die Gegentore fallen viel zu leicht, das darf uns nicht passieren", sagte der Torschütze zum 1:0.

Ein Resümee, das der Bundestrainer teilte. „Ich bin enttäuscht, wir haben unter unseren Möglichkeiten gespielt. Holland war die bessere Mannschaft", sagte Joachim Löw. "Obwohl wir 1:0 in Führung lagen, hatte man nie das Gefühl, dass wir das Spiel im Griff hatten." Sein Hauptkritikpunkt waren die vielen Fehlpässe im Spielaufbau. "Wir haben in der Vorwärtsbewegung zu viele Bälle verloren.“

Kimmich eröffnet Torreigen mit Traumpass

Das letzte (kleine) Rätsel dieser Nationalmannschaftswoche in Hamburg hatte Löw bereits anderthalb Stunden vor dem Spiel. Wie allgemein erwartet entschied sich der Bundestrainer für Leipzigs Timo Werner, der den kreuzbandgeschädigten Leroy Sané ersetzen sollte. Wie beim 3:2-Sieg vor einem halben Jahr ließ Löw auch im Volkspark mit einem holländischen 3-4-3 spielen. Und genau wie in Amsterdam erwischte auch am Freitagabend das DFB-Team einen Start, den man ohne Übertreibung als Start nach Maß bezeichnen durfte.

Joshua Kimmich war es, der für den ersten Höhepunkt des Abends sorgte. Nach seinem herausragenden Pass in die Schnittstelle der mutmaßlich besten Innenverteidigung der Welt (Virgil van Dijk und Matthijs de Ligt) lief Lukas Klostermann alleine auf Torhüter Jasper Cillessen zu. Doch Klostermann ist kein Ballermann. Und so konnte der Leipziger in dieser Szene als größten Verdienst für sich reklamieren, dass er nach einem schwachen Abschluss den Nachschuss generös Serge „Serge spielt immer“ Gnabry überließ. Der Bayer musste nur noch abstauben und mit seinem berühmten Chefkoch-Jubel feiern (9.).

HSV-Supoorters-Chef Horn:

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Westermann vermisst Tempo beim DFB

Abwarten und Tee trinken schien auch die löwsche Marschroute im Anschluss zu sein. Das DFB-Team überließ den Niederlanden das Spiel und beschränkte sich ganz altmodisch aufs Kontern, das man heutzutage ganz modern als Umschaltspiel bezeichnet. Und nach einem erneuten Traumpass von Marco Reus war es wieder einmal Gnabry, der den Löffel schon in der Hand hatte (27.). Doch sein Abschluss war genauso ungenau wie der von Reus himself eine Viertelstunde später (42.).

Chefkoch Serge Gnabry hat seine Hauptspeise angerührt.
Chefkoch Serge Gnabry hat seine Hauptspeise angerührt. © imago / Nordphoto

So blieb es nach 45 ordentlichen, aber nicht herausragenden Minuten, beim verdienten 1:0 zur Halbzeit. „Ich habe mehr Tempo erwartet“, mäkelte Ex-Nationalspieler und Ex-HSV-Star Heiko Westermann in der Pause. Piotr Trochowski, der die Führung als „souverän und verdient“ bezeichnete, sagte: „Wir hätten nach unseren Kontern sogar noch ein oder zwei Tore mehr machen können.“

Noch ein oder zwei Tore mehr hätte das Löw-Team dann auch direkt nach dem Wiederanpfiff machen können – vielleicht machen müssen. Die Gastgeber hatten den Pausentee offenbar genossen und bemühte sich direkt um die frühere Vorentscheidung. Doch die beiden 85-Millionen-Euro-Abwehrrecken de Ligt (vor Gnabry/52.) und van Dijk (vor Werner/53.) verhinderten im letzten Moment das fällige 2:0.

Hamburger Tah schießt bitteres Eigentor

Vorne ohne Glück – und hinten im Pech. Erst stolperte der gebürtige Hamburger Jonathan Tah, dann kam auch nach der Neu-Dortmunder Nico Schulz zu spät. Das Ende vom Lied: das völlig überraschende 1:1 nach knapp einer Stunde durch Barcelonas neuen 75-Millionen-Euro-Zauberer Frenkie de Jong.

Jonathan Tah erzielte in seiner Geburtsstadt ein unglückliches Eigentor.
Jonathan Tah erzielte in seiner Geburtsstadt ein unglückliches Eigentor. © Bongarts/Getty Images

Tah und Schulz waren auch wenige Minuten später die unglücklichen Protagonisten, diesmal nur in umgekehrter Reihenfolge. Zunächst verlor Schulz das Luftduell gegen das 1.93 Meter große Kopfballungeheuer van Dijk. Und nachdem Torhüter Manuel Neuer noch glänzend reagierte, war es dann der frühere Lokalmatador Tah, der den Ball selbst noch über die Linie drückte.

„Man kann ihm keine Schuld geben, der Ball springt unglücklich an sein Knie", nahm Löw seinen hanseatischen Unglücksraben in Schutz. Der Bundestrainer sieht die Fehler vielmehr in der Entstehung und prangert den kompletten Defensivverbund an. "Wir waren nicht wach genug, um den Abpraller zu beseitigen. Dabei ist Hollands Standardstärke bekannt.“

Toni Kroos verwandelte seinen Elfmeter zum 2:2 souverän.
Toni Kroos verwandelte seinen Elfmeter zum 2:2 souverän. © Bongarts/Getty Images

1:2 nach 66 Minuten – und keiner wusste so genau warum. Doch Glück und Pech sind auf dem Fußballplatz nur selten eine Einbahnstraße. Und so dauerte es gerade einmal fünf weitere Minuten, ehe Fortuna diesmal auf der Gegenseite zuschlug. Nachdem de Ligt den Ball äußerst unglücklich an die Hand bekam (zuvor stand Schulz im Abseits), entschied der portugiesische Schiedsrichter Dias zum Entsetzten des Turiners auf Strafstoß. „Das ist für mich kein Handspiel", gab auch Löw ehrlich zu. Toni Kroos bedankte sich artig für dieses Geschenk zum 2:2 (73.).

Einen Videobeweis gibt es in der EM-Qualifikation nicht. "Das darf auf diesem Niveau nicht passieren", klagte Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann in seiner Funktion als TV-Experte bei RTL. "Da muss die Uefa handeln." Auch Bondscoach Ronald Koeman findet es "seltsam", dass es keinen Videoschiedsrichter gibt. "Es war kein Elfmeter und es war Abseits." Dennoch durfte sich der frühere Defensivspieler über eine starke Offensivleistung seiner Mannschaft freuen.

Deutschland kapituliert vor Voetball total

Nun war es wirklich das erhoffte Voetball total von beiden Mannschaften, dass sich die 51.299 Zuschauer im ausverkauften Volksparkstadion erhofft hatten. Diesmal allerdings mit einem anderen Ausgang als vor sechs Monaten in Amsterdam, als Nico Schulz noch kurz vor Schluss zum 3:2 traf. In Hamburg waren es der eingewechselte Malen Donywell und Liverpools Georginio Wijnaldum, die zum 2:3 und sogar zum 2:4 trafen. "Wir haben mehr für den Sieg getan als Deutschland, das sehr abwartend gespielt hat", sagte Koeman.

Die gute Nachricht zum Schluss: Trotz der bitteren Niederlage kann Deutschland bereits am Montag mit einem Sieg in Nordirland die Tabellenführung in der EM-Qualifikationsgruppe C übernehmen. Auf holländisch könnte man den Abend also wohlwollend zusammenfassen: Half zo slecht. Halb so schlimm.

Die Aufstellung

Deutschland: Deutschland: Neuer/Bayern Münnchen (33 Jahre/89 Länderspiele) - Ginter/Borussia Mönchengladbach (25/27) ab 84. Brandt/Borussia Dortmund (23/26), Süle/Bayern München (24/21), Tah/Bayer Leverkusen (23/7) - Klostermann/RB Leipzig (23/3), Kimmich/Bayern München (24/43), Kroos/Real Madrid (29/93), Schulz/Borussia Dortmund (26/9) - Reus/Borussia Dortmund (30/42) ab 61. Gündogan/Manchester City (28/34), Gnabry/Bayern München (24/9), Werner/RB Leipzig (23/26) ab 61. Havertz/Bayer Leverkusen (20/4). - Trainer: Löw

Niederlande: Cillessen/FC Valencia (30 Jahre/51 Ländespiele) - Dumfries/PSV Eindhoven (23/10) ab 58. Pröpper/Brighton & Hove Albion (28/16), de Ligt/Juventus Turin (20/18), van Dijk/FC Liverpool (28/29), Blind/Ajax Amsterdam (29/65) - de Roon/Atalanta Bergamo (28/13) ab 58. Malen/PSV Eindhoven (20/1), de Jong/FC Barcelona (22/10), Wijnaldum/FC Liverpool (28/58) - Babel/Galatasaray Istanbul (32/59) ab 81. Ake/AFC Bournemouth (24/11), Depay/Olympique Lyon (25/49), Promes/Ajax Amsterdam (27/39). - Trainer: Ronald Koeman

Schiedsrichter: Artur Soares Dias (Portugal)

Tore: 1:0 Gnabry (9.), 1:1 de Jong (59.), 1:2 Tah (66., Eigentor), 2:2 Kroos (73., Handelfmeter), 2:3 Malen (79.), 2:4 Wijnaldum (90.+1)

Zuschauer: 51.299 (ausverkauft)

Gelbe Karten: Kimmich - Depay, de Roon