Hamburg. Handballer des HSV Hamburg erwarten am Sonntag Dormagen zum Heimspielauftakt. Topneuzugang Jens Schöngarth ist mit dabei.

Um 3.30 Uhr schleicht sich Jens Schöngarth in die Wohnung. Alles schläft, kein Empfangskommando da. Mit dem 28:21-Auswärtserfolg beim TuS Ferndorf im Rücken, einer fünfeinhalbstündigen Busfahrt in den Knochen fällt der Handballprofi des HSV Hamburg aufs Sofa. Seine Frau und den acht Monate alten Sohn im Schlafzimmer will er nicht wecken. Das geschieht, wenn wie üblich die Nacht zwischen 6 und 7 Uhr morgens schon wieder vorbei ist.

Was in der Vorwoche noch nicht gemeinsam ausgekostet werden konnte, soll an diesem Sonntag nachgeholt werden. Wenn die Hamburger Zweitligamänner Bayer Dormagen zum Heimspielauftakt (17 Uhr/Sportdeutschland.tv) in der Sporthalle Hamburg empfangen, fiebert die Familie auf der Tribüne mit. „Meine Eltern sind aus dem Südschwarzwald zu Besuch“, erzählt Schöngarth. Für den Neuen, gekommen vom Bundesligisten Frisch Auf Göppingen, ist es das Debüt in Winterhude. In zuvor zehn Erstligajahren lief der 18-malige Nationalspieler noch als Gegner in der Arena im Volkspark auf.

Wurfgewalt im linken Arm beeinträchtigt

2600 der 3570 Karten sind bislang verkauft. „Natürlich freue ich mich darauf, vor den eigenen Fans zu spielen“, sagt der 30-Jährige, der vom Auftakterfolg gegen Ferndorf eine Brustmuskelprellung zurückbehielt. Die Wurfgewalt im linken Arm ist beeinträchtigt. „Doch so was hält mich nicht auf. Dafür bin ich zu ehrgeizig“, sagt „der Steineschmeißer“ („Welt“) aus dem rechten Rückraum. Im Training kürzertreten musste der 2,03 Meter große und 111 Kilo schwere Kraftprotz dennoch. „Man muss mich eher bremsen, damit ich nicht zu viel mache“, sagt Schöngarth. Das war nicht immer so.

Von einer „unerfüllten Verheißung“ schrieb das Fachmagazin „Handball Inside“ einmal in Bezug auf Schöngarths Anfangsjahre im Profihandball. Das Talent und die Anlagen waren „auch mit 19, 20, 21 Jahren schon da“, erklärt Schöngarth, die notwendige Einstellung zum Profileben habe „hier und da aber noch gefehlt“. Da wurde Abends mit den Kollegen um die Häuser gezogen, das ein oder andere Getränk genommen, wenig auf die Ernährung geachtet. „Ich dachte, wenn das alle machen, ist das normal“, sagt Schöngarth. Die mahnenden Worte des Vaters, selbst Handballtrainer im heimischen Breisgau, blieben ungehört.

Sein Stern ging in Lübbecke auf

Der große Durchbruch blieb dem U-21-Weltmeister von 2009 auf der ersten Bundesligastation in Melsungen versagt. „Im ersten Spiel gegen Kiel bekam ich gleich mal einen Stoß von Nikola Karabatic und brach mir das Kahnbein“, erinnert sich Schöngarth. Da war der wurfgewaltige Shooter, der auch in der Abwehr seinen Mann steht, eingenordet: In der Bundesliga weht ein anderer Wind.

Sein Stern ging schließlich in Lübbecke auf. Beim Abstiegskandidaten bekam Schöngarth unter Dirk Beuchler mehr Spielanteile. „Dank ihm wurde ich zum Nationalspieler.“ In der DHB-Auswahl unter Dagur Sigurdsson hat er nochmal neue Impulse erhalten. Von der WM-Teilnahme 2015 in Katar zerrt er heute noch, „die Eindrücke in Doha, die Hymne, die Kollegen – das war schon was“. WM-Platz sieben sei letztlich „gut gewesen. Wir waren ja nur per Wildcard ins Turnier gerutscht.“ Beim EM-Titel 2016 war Schöngarth, mittlerweile beim SC Magdeburg, schon nicht mehr dabei. Er fehlte verletzt. In den endgültigen WM-Kader 2017 schaffte er es nicht mehr.

In Göppingen war er zuletzt meist Ersatz

Dass so ein Mann, um den sich einst der THW Kiel bemüht haben soll, nun in Hamburg in der Zweiten Liga spielt, hat mehrere Gründe: In Göppingen war er zuletzt meist Ersatz. Unzufrieden mit der eigenen Leistung „brauchte ich eine Veränderung“. Aus St. Gallen, nur 90 Autominuten von der Heimat entfernt, kam ein lukratives Angebot.

Die Schweizer lockten Bundesligaprofis wie Schöngarth, Torwart Primoz Prost und Magdeburgs Außen Robert Weber an den Bodensee. „Zweite Liga? Ich hatte mit 30 Jahren eigentlich andere Pläne. Um die Meisterschaft spielen, in der Champions League – das wollte ich mal erleben“, sagt Schöngarth.

Seit acht Wochen lebt die Familie in Groß Borstel

Die Verträge waren unterschrieben, bestehende Mietverträge gekündigt, neue geschlossen worden. Doch die Vereinsführung ruderte im internen Personalstreit zurück. Ein Verfahren vor dem Arbeitsgericht steht aus. „Die Sache belastet mich natürlich noch, ist nicht abgeschlossen“, sagt Schöngarth, der sich „Gerechtigkeit wünscht. So kann man nicht mit Menschen umgehen.“

Es sei eine schwierige Zeit für die Familie gewesen. Der HSVH schlug dank der Hilfe von Sponsoren zu, konnte so das Gehalt stemmen. „Ich will vorangehen, helfen, dass es weiter nach oben geht“, sagt Schöngarth, der sich sportlich noch Eingewöhnungszeit gibt.

Seit acht Wochen lebt die Familie in Groß Borstel. Hamburg sei für sie mehr als Alster oder Jungfernstieg. „Wir genießen unsere Zeit im Hayns Park, entlang der Tarpenbek“, berichtet Schöngarth. Am Sonntag erstmals in der Sporthalle.

Drittliga-Wiederaufsteiger Hamburg-Barmbek empfängt nach der Niederlage bei Meister Rostock (20:27) am Sonnabend (18.30 Uhr) Potsdam zum Heimspielauftakt in der Sporthalle Wandsbek. „Die Halle soll unsere Festung werden“, kündigt Trainer Tobias Skerka an.