London. Im Wimbledon-Finale wartet mit Djokovic die ultimative Herausforderung auf Federer. Auf welcher Seite steht das Publikum?

Die schönste Belohnung für den Einzug in sein zwölftes Wimbledon-Finale erhielt Roger Federer von seinen Kindern. Die Zwillingsschwestern Charlene und Myla (9) und die Zwillingsbrüder Leo und Lenny (5) waren zum Spielen mit anderen Kindern im gemieteten Londoner Haus geblieben. „Sie hatten einen tollen Nachmittag und haben am Telefon Happy Birthday für mich gesungen. Wahrscheinlich, weil sie kein anderes Glückwunschlied wussten“, sagte der 37 Jahre alte Grand-Slam-Rekordsieger, nachdem er am späten Freitagabend seinen spanischen Dauerrivalen Rafael Nadal (33/Nr. 2 der Welt) in etwas mehr als drei Stunden mit 7:6 (7:3), 1:6, 6:3 und 6:4 niedergerungen hatte in einem Halbfinale, an das er sich als Tennis-Ruheständler gern zurückerinnern werde. „Es war tolles Wetter, das Publikum war großartig, ich habe gewonnen – viel besser geht es nicht“, sagte er.

Ein wenig besser muss es aber, das stellte der Schweizer bereits in seiner ersten Analyse klar, an diesem Sonntag (15 Uhr MEZ/Sky) werden, wenn er seinen neunten Titel bei den All England Championships gewinnen möchte. Im Finale wartet mit dem Weltranglistenersten Novak Djokovic immerhin die ultimative Herausforderung. „Novak hat in diesem Turnier unglaublich gespielt, er wirkt sehr stabil, returniert großartig, ist auch mental sehr stark. Wenn es noch einen härteren Brocken als Nadal gibt, dann ist er es“, sagte der 20-fache Major-Sieger.

Federer: "Habe keine Energie mehr, um noch zu trainieren"

Der Titelverteidiger, der sich in seinem Halbfinale gegen den unbequemen Spanier Roberto Bautista Agut (31/Nr. 22) mit 6:2, 4:6, 6:3, 6:2 behauptet hatte, geizte ebenfalls nicht mit Komplimenten für den Ranglistendritten. „Roger ist auf Gras besonders stark, das ist der Belag, der seine Stärken am besten zur Geltung bringt. Er übt ständig Druck aus, lässt einem keine Ruhe. Ich muss mein bestes Spiel zeigen, um eine Chance zu haben“, sagte der 32 Jahre alte Serbe, der in seinem sechsten Wimbledon-Finale nach dem fünften Titel greift.

Auf die Frage, wie er sich auf Djokovic vorbereite und ob er noch etwas Spezielles trainieren wolle, gab sich Federer amüsiert. „Ich habe keine Energie mehr, um noch zu trainieren. In meinem Alter geht es um Regeneration“, sagte er. Aufregung verspüre er keine mehr. „Dafür haben wir das Ganze schon zu oft erlebt.“ Fürwahr: Am Sonntag sind die beiden Finalisten zum 48. Mal seit dem Erstrundenduell 2006 beim Masters in Monte Carlo auf der Profitour Kontrahenten. 25-mal siegte Djokovic, davon auch in den Wimbledon-Endspielen von 2014 und 2015. Seitdem haben sie allerdings auf Rasen nicht mehr das Vergnügen miteinander gehabt.

Auch das Publikum spielt eine Rolle

An der Einstellung auf seinen Widersacher werde sich nichts verändern, sagte Federer. „Wenn man so oft gegeneinander gespielt hat, dann gibt es keine Überraschungen mehr, dann weiß jeder genau, was der andere kann.“ Am Sonntag, floskelte er, werde es auf die Tagesform ankommen. „Wer hat nach diesen langen zwei Wochen noch mehr Energie im Tank, wer ist mental besser drauf? Das sind die Kleinigkeiten, die über den Sieg entscheiden“, sagte er.

Nun, eine Kleinigkeit wäre da vielleicht noch, die eine Rolle spielen könnte: das Publikum. Auf seinem Weg ins Endspiel musste der 15-malige Grand-Slam-Champion Djokovic erfahren, dass seine Leistungen von den Zuschauern zwar honoriert und respektiert werden, die Zuneigung aber meist seinem Gegner gilt. Gegen Federer, dem aufgrund seiner Ausstrahlung und seiner Erfolge an jedem Ort der Welt die Herzen der Fans zufliegen, wird die Anzahl derjenigen, die ihm den Titel wünschen, noch deutlich geringer ausfallen. „Ich bin das gewohnt, es ist ja schließlich nicht das erste Mal, dass ich gegen Roger spiele“, sagte er, demonstrativ um Gelassenheit bemüht, „ich nehme das auch niemandem übel. Roger hat es sich verdient.“

Federer lässt sich gern von Atmosphäre tragen

Tatsächlich war auch im Halbfinale wieder zu beobachten, dass der Vater eines vierjährigen Sohnes in kritischen Phasen die Abneigung des Publikums missbilligt und sich davon auch aus dem Konzept bringen lässt. Zwar ist es eine besondere Stärke Djokovics, sich nach negativen Erlebnissen schnell wieder sammeln zu können. Gegen einen ausverkauften Center-Court spielen zu müssen, könnte allerdings gerade gegen einen Gegner wie Federer, der nicht nur die schwierigen Dinge federleicht aussehen, sondern sich auch gern von Atmosphäre tragen lässt, ein entscheidender Faktor werden.

Andererseits hat Djokovic diese Widrigkeiten auch 2014 und 2015 überwunden, und er hat im Turnierverlauf bewiesen, dass er mit seiner Athletik und seiner Returnqualität der Mann ist, den es zu besiegen gilt. Dass es am Sonntag an der Church Road zum 22. Mal in einem Grand-Slam-Finale zum Duell zwischen zwei Protagonisten aus dem Kreis der großen Drei kommt, die seit Djokovics erstem Major-Titel 2008 38 der 46 vergebenen Grand-Slam-Pokale gewinnen konnten, ist nur ein Randaspekt einer Tennis-Epoche, die es in dieser Form wahrscheinlich nie mehr geben wird. „Ich bin sehr stolz, ein Teil davon zu sein“, sagte Djokovic.

Roger Federer sieht es genauso. „Als ich 2003 hier in Wimbledon meinen ersten Grand-Slam-Titel gewann, hätte ich niemals erwartet, dass ich 16 Jahre später um meinen 21. Titel kämpfen würde“, sagte er. Seine Kinder sollten sich besser schon einmal ein neues Glückwunschlied suchen, um vorbereitet zu sein am Sonntag.