Hamburg. Handballer des HSV Hamburg im Abstiegskampf gegen Aue gefordert. Mit viel Tempo soll der Klassenerhalt gesichert werden.

Finn Wullenweber hat ein Trikot dabei, fein säuberlich zusammengelegt. „Das war mein erstes Trikot, als ich in der C-Jugend zum HSV kam“, erzählt der Rückraumschütze des Handball Sport Vereins Hamburg (HSVH). Ein Andenken, das der 21-Jährige, zusammen mit alten Fotos, kürzlich wegen einer Online-Challenge in den sozialen Netzwerken hervorkramen musste. Auf dem Shirt von damals prangt noch die HSV-Raute. Dort, wo beim HSVH heute das Stadtwappen die Brust ziert. Wullenweber, seit 2010 im Verein, ist in der Gruppe der aufstrebenden Hamburger Jungprofis der Dienstälteste.

„So blöd das klingt, aber die Insolvenz hat mir hier zum Weg nach oben verholfen“, sagt Wullenweber vor dem Zweitligaheimspiel am Sonntag (15 Uhr/sportdeutschland.tv) in der Sporthalle Hamburg gegen EHV Aue. Ohne die Pleite wäre er vermutlich nicht mehr da. Den Sprung in die Erste Liga zum HSV hätte der der wurfgewaltige Shooter auf der Königsposition im linken Rückraum „nicht geschafft“, wie er sagt, „ich habe gehofft, bei der U 23 in der Oberliga spielen zu können.“ Ohne die Pleite wäre er vermutlich auch nicht dort, wo er mit dem HSVH jetzt ist: in der Zweiten Liga. „Ich habe viele Spieler kommen und gehen sehen“, sagt Wullenweber.

„Der weiß noch gar nicht, wie gut er ist“

Auf den großen Durchbruch wartet der 1,97 Meter große Rechtshänder (93 Kilo) im Herrenbereich aber noch. „Wullenweber ist eine Granate. Der weiß noch gar nicht, wie gut er ist“, hatte Sportchef Martin Schwalb zu Saisonbeginn gesagt und den Sportstudenten als „Neuzugang“ betitelt. Von Verletzungen (zwei Muskelfaserrisse, Schulter- und Knieprobleme) zurückgeworfen, kam Wullenweber in der Drittliga-Meister­saison auf zehn Spiele und 19 Tore. Mit einem Vertrag bis 2020 ausgestattet erhielt der Hochgehandelte dennoch den Vorzug vor Gewaltwurfrivale Jan-Torben Ehlers (27/jetzt VfL Fredenbeck).

Die Signale des Körpers nehme er inzwischen ernster. „Das vergangene Jahr hatte mich aus der Bahn geworfen. Das merke ich zum Teil noch, indem ich noch nicht wieder das Selbstvertrauen habe“, sagt Wullenweber, der im Abstiegskampf zuletzt auftrumpfte. Beim 29:22 in Lübbecke und beim 21:18 gegen Dresden gelangen ihm 14 Treffer. Fast alle mit Karacho, mit Wurfgeschwindigkeiten um die 100 km/h von der Neun-Meter-Marke. Für die Hamburger (Tabellenzwölfter) ist es eine Minisiegesserie, die gegen den punktgleichen Konkurrenten Aue (13.) ausgebaut werden soll. 3300 der 3570 Karten sind verkauft, 250 Auer werden in Hamburg ihre Freundschaft mit dem HSVH-Fanclub „Störtebeker“ pflegen.

Wullenweber ist ein Modellathlet

„Zuletzt hatte ich viele Spielanteile, durfte von Beginn an ran“, erklärt Wullenweber seinen Aufschwung. Das Vertrauen sei wichtig, der Druck geringer. „Wenn ich kurz vor Schluss reinkomme, das Spiel eng ist, muss jeder Schuss sitzen.“ Mit 50 Minuten Spielzeit auf der Uhr werden Fehler eher verziehen. Bei 48 Prozent liegt seine Quote. 56 Tore, 59 Fehlversuche, Motto: alles oder nichts.

Der Modellathlet, der zu Abiturzeiten an der Eliteschule des Sports am Alten Teichweg auch in der Leichtathletik zu überzeugen wusste, kommt nicht lang und schlaksig daher, sondern kompakt und wuchtig. „In der C- und B-Jugend war ich noch Mitläufer“, sagt Wullenweber, „und normal groß.“ Mit dem Größenschub wuchsen in der A-Jugend-Bundesliga Wurfhärte und Verantwortung. Der „Hammer-Arm“ („Bild“) liegt dabei in der Familie. Die Eltern spielten selbst, „meine Mutter hat mit dem härtesten Wurf mal einen Wettbewerb gewonnen“, erzählt der gebürtige Hamburger, der jüngst das niedersächsische Stelle verließ und mit der Freundin die erste eigene Wohnung in Lokstedt bezog.

Er würde in Hamburg bleiben

Nachgeeifert hat er seinem großen Bruder Marvin (27), der beim HSV ebenfalls die Jugend durchlief, wegen Patellasehnenproblemen im Knie seine aktive Karriere jedoch früh aufgeben musste. „Marvin war mein Vorbild“, sagt Wullenweber, der nach einem Sichtungstraining noch am Abend die Zusage erhielt – und fortan beim HSV auch den Spitznamen des Bruders übernahm. Zunächst „Mini-Stulle“, heute ohne Verniedlichung.

Bleibt die Frage nach der Vereinstreue. „Stulle“ hätte nichts gegen weitere Spielzeiten und Trikots in Hamburg. „Letztendlich entscheidet der Erfolg“, sagt er. Der Klassenerhalt wäre ein gewichtiges Argument.