Hamburg. Die Hamburgerin leidet seit Langem an Knieproblemen und ist in der Weltrangliste abgestürzt. Rückkehr in die Top 50 als Ziel.

Teddy grunzt. Mit seinem massigen Hinterteil hätte er fast die schwere Blumenvase umgerissen, in der mannshohe Sonnenblumen stehen. Aber was scheren eine Neue Englische Bulldogge Blumen, wenn der Tennisball unter den Sessel gerollt ist? Carina Witthöft schnappt sich die eingespeichelte Filzkugel und wirft sie ihrem Hund zu. Dann lacht sie. Teddy ist ihre beste Medizin gegen schlechte Laune. Und schlechte Laune hat sie im vergangenen Jahr zu häufig gehabt.

Hamburgs beste Tennisspielerin stand am 8. Januar 2018 auf Position 48 der Weltrangliste. Es war die beste Platzierung ihrer Karriere, und all diejenigen, die in der aufschlagstarken Rechtshänderin mit dem aggressiven Spielstil immer schon eine Spielerin mit Top-50-Potenzial gesehen hatten, durften sich endlich bestätigt fühlen. Ende Oktober 2017 hatte Witthöft in Luxemburg ihren ersten Titel auf der WTA-Tour gewonnen. Sie schien angekommen in der Weltelite des Frauentennis.

Gut 14 Monate später hält Carina Witthöft auf die Frage, ob ihr ihre aktuelle Position im Ranking zusätzlichen Druck bereite, demonstrativ die Hand als Stoppschild entgegen. „Ich weiß nicht, wo ich aktuell stehe, und ich will es auch gar nicht wissen“, sagt sie. Auch als sie in den Top 50 stand, habe sie nicht jede Woche auf die neue Einordnung gewartet. „Mir waren diese Dinge noch nie wichtig. Wichtig ist, dass ich mich wohlfühle, und das tue ich. Es geht mir sehr gut“, sagt sie.

Witthöfs erschreckender Absturz

Die Frage ist: Kann sich eine Spielerin mit ihrem Potenzial auf Rang 234 wirklich wohlfühlen? Und was hat zu diesem Absturz geführt, der zwar beileibe nicht beispiellos im Profitennis ist, aber dennoch für viele erschreckend wirkte? Auf der Suche nach Antworten landet Carina Witthöft im März 2018. Damals war an ihrem linken Knie eine Reizung der Patellasehne, die den Unterschenkel mit der Kniescheibe verbindet, aufgebrochen. Die 24-Jährige kannte diese Schmerzen schon, mit 16 hatte sie über eineinhalb Jahre ähnliche Probleme gehabt, die sich irgendwann von selbst erledigten. Genau das erhoffte sie sich vor einem Jahr auch.

„Die Schmerzen waren mal schlimmer, dann wieder besser. Ich wollte nicht als wehleidig dastehen, also habe ich die Zähne zusammengebissen“, sagt sie. Aus der Reizung wurde dadurch eine Entzündung. An Training unter Vollbelastung sei nicht mehr zu denken gewesen, kein Match habe sie schmerzfrei bestreiten können. „Das hat mich sehr belastet“, sagt sie. Die Notbremse allerdings zog sie erst, als sie bei den Australian Open in diesem Januar in der ersten Qualifikationsrunde gegen die Schweizerin Conny Perrin aufgeben musste. Die komplette Rückenmuskulatur hatte aufgrund der Fehlbelastungen wegen der Knieblessur gestreikt, „drei Tage konnte ich mich nicht mehr bewegen“, sagt sie.

Seitdem hat Carina Witthöft kein Match mehr bestritten, sie hat nicht mehr voll trainiert, Joggen und Stabilisationsübungen sind erst seit Kurzem wieder schmerzfrei möglich. Die Erfahrung des Horrorjahres 2018 hat sie gelehrt, auf ihren Körper zu hören. „Ich werfe mir selbst vor, dass ich so lang gewartet habe. Ich hätte viel eher reagieren und eine lange Pause machen müssen. Nun werde ich erst zurückkehren, wenn ich wirklich bereit bin“, sagt sie.

Harte Kritik von Rittner

Dass sie überhaupt bereit ist, für ihren Beruf alles zu geben, bezweifeln in der Szene manche. Zuletzt gab Bundestrainerin Barbara Rittner beim Fedcup im Februar in Braunschweig diesen Zweifeln neue Nahrung, als sie kritisierte, Witthöft als Anführerin derjenigen, die der „goldenen Generation“ um Angelique Kerber und Julia Görges nachfolgen sollten, habe „den Fokus aufs Tennis verloren“. Eine Aussage, die Witthöft mit Befremden aufgenommen hat. „Ich fand das sehr enttäuschend und traurig, denn es gab Gründe, warum ich mich nicht gut gefühlt habe“, sagt sie. Letztmals habe man Ende 2017 nach dem Luxemburg-Sieg ein persönliches Gespräch geführt. „Ihr Wort hat Gewicht im deutschen Tennis. Deshalb finde ich es nicht fair, dass sie solche Dinge über mich sagt, ohne Wissen darüber zu haben.“

Tatsächlich hatte Rittner in der Vergangenheit regelmäßig den Stab über ihre einstige Vorzeigeschülerin gebrochen. Was teilweise als Ansporn oder Wachrütteln gedacht war, lag vor allem darin begründet, dass die langjährige Fedcup-Chefin Witthöft für beratungsresistent hält. Deren Weigerung, sich aus dem familiären Umfeld ihrer Eltern zu lösen, die im Hamburger Osten zwei Tennisschulen betreiben, verurteilt sie als unprofessionell. Doch davon abzurücken ist für Carina Witthöft weiterhin undenkbar. Die Aussage, mit der sie im Juli 2018 vor dem Grand-Slam-Turnier in Wimbledon viel Aufsehen erregte, habe immer noch Gültigkeit. „Wenn ich, wie Barbara es fordert, an eine Akademie gehen würde, würde ich innerhalb von sechs Monaten mit dem Tennis aufhören“, sagt sie.

Man kann Carina Witthöft dafür kritisieren, dass sie nicht wenigstens den Versuch unternimmt, den Schritt aus der Komfortzone zu wagen, um herauszufinden, ob es ihr wirklich nicht gelingt, durch einen Ortswechsel neue Reize zu setzen. Die Frage, ob sie nicht ausreichend Biss habe, weil es ihr, wie so vielen in Deutschland, zu gut gehe, um den Sport als Ausweg aus sozialer Not sehen zu müssen, beantwortet sie ehrlich. „Da ist sicherlich etwas dran. Ich habe nicht den finanziellen oder sozialen Druck, im Tennis erfolgreich sein zu müssen, der andere vielleicht weiterbringt“, sagt sie. Andererseits könne ihr niemand ihr heiles Umfeld vorwerfen. „Und ich denke schon, dass ich einiges erreicht habe. Ohne Biss und Ehrgeiz wäre das nicht möglich gewesen. Ich habe dafür alles gegeben und mich über Jahre gequält.“

Soziale Medien auch in schlechten Zeiten wichtig

Faulheit hat ihr tatsächlich noch niemand vorgehalten. Und es ist ja auch nicht so, dass sie nicht versucht hätte, mit anderen Trainern zu arbeiten. Meist hielt man es nur gemeinsam nicht lang aus. „Ich habe schon hohe Ansprüche“, sagt sie, „es hat eben meist nicht gepasst, und Trainerwechsel sind im Tennis ganz normal.“ Dass manche ihr vorwarfen, ihren Freund Philipp Lang als Coach eingebunden zu haben, hat sie nie verstanden. Es stimme auch nicht, dass ihre Eltern der Grund für die vielen Demissionen seien, auch wenn das hinter vorgehaltener Hand oft getuschelt wurde.

Mutter Gaby, die als Trainerin und Psychologin einen großen Anteil am Erfolg der Tochter hat, und Vater Kai als ihr Manager standen für ein Gespräch nicht zur Verfügung. Man wolle bewusst nichts mehr dazu sagen, sondern die Entscheidungen der Tochter respektieren. „Sie haben mich nie zu etwas gezwungen, im Gegenteil, sie wären die ersten, die verstünden, wenn ich aufhören würde, weil der Spaß fehlt“, sagt Carina Witthöft. Tatsächlich sind familiäre Verflechtungen im Tennis an der Tagesordnung, Deutschlands Topspieler Alexander Zverev (21) wird von seinem Vater trainiert, der spanische Superstar Rafael Nadal arbeitete über viele Jahre mit seinem Onkel Toni, man könnte die Liste weit fortschreiben.

Problematisiert werden solche Beziehungen dann, wenn der Erfolg ausbleibt. Das Gleiche gilt für die Social-Media-Aktivitäten. Witthöft ist eine rege Nutzerin von Twitter, Facebook oder Instagram, sie versteckt sich aber auch nicht, wenn es sportlich nicht läuft. „Ich finde, es ist eine Doppelmoral, dass Leistungssportler nur dann ein Privatleben haben und dies auch genießen dürfen, wenn sie Erfolg haben. Ich bin eine normale 24-Jährige, und das zeige ich ebenso wie meine Arbeit als Tennisprofi, in guten wie in schlechten Zeiten“, sagt sie.

Studium als Alternative

Kurzum: Carina Witthöft kennt mittlerweile die Mechanismen ihrer Branche und der Gesellschaft. Sie zieht daraus allerdings nicht die Konsequenzen, die von außen erwartet werden, im Gegenteil. Ihr Rezept ist nun eine Rückbesinnung auf die familiären Wurzeln. Nach dem ersten Turniersieg in Luxemburg habe sie, anstatt daraus Selbstvertrauen zu ziehen, Selbstzweifel entwickelt. „Ich hatte das Gefühl, alle würden nun erwarten, dass ich größere Titel gewinne und noch besser werde. Deshalb dachte ich, ich muss etwas verändern. Aber in Wahrheit habe ich mein bestes Tennis gespielt, wenn ich auf das gehört habe, was mein engstes Umfeld gesagt hat, denn das sind die Menschen, die zu 100 Prozent das Beste für mich wollen“, sagt sie.

Wie also weiter in der Zukunft? Zwei Alternativen gäbe es, sagt Carina Witthöft. Die eine ist, dass sie wieder schmerzfrei Tennis spielen kann. Dann werde sie sich einen neuen Trainer suchen und mit diesem in Hamburg daran arbeiten, den Weg zurück in die Regionen zu gehen, in denen sie Anfang 2018 stand. Eine bestimmte Ranglistenposition peile sie bewusst nicht an. „Aber warum sollte ich es nicht wieder in die Top 50 schaffen, wenn es schon einmal gelungen ist? Ich habe hier alles, was ich dazu brauche“, sagt sie. Es ist die Alternative, die sie bevorzugen würde, trotz aller Unkenrufe. „Ich habe in den vergangenen Wochen gespürt, dass ich das Tennis vermisse. Ich habe mich damals aktiv dafür entschieden, und es hat auch jetzt noch Priorität für mich“, sagt sie.

Aber da ist auch das Gefühl, für die zweite Alternative gerüstet zu sein. Sollte sie nicht mehr zu alter Stärke zurückfinden, würde sie ein Studium beginnen wollen. Modemanagement interessiert sie ebenso wie Sport- und Bewegungswissenschaften, der Studiengang ihrer Schwester Jennifer (26), mit der sie in Wentorf Tür an Tür wohnt und gemeinsam für den Club an der Alster Punktspiele bestreitet. Wie wichtig es ist, einen Plan B zu haben, sei ihr in den vergangenen Wochen noch ein Stück klarer geworden, sagt Carina Witthöft. „Es gibt mehr im Leben als Tennis“, sagt sie. Mag sein, dass man es mit dieser Einstellung nie zur Nummer eins der Welt bringen wird. Aber ein glücklicher Mensch zu sein, der Alternativen hat, das ist im Zweifel mehr wert.