Soldeu . Fans spekulieren seit Wochen – Deutschland verliert seinen prominentesten Wintersportler. Der „ewige Lausbub“ geht als Unvollendeter.

Als der Champagner aus dem Gesicht, der Schnee vom Rennanzug gewischt war, da verriet Felix Neureuther vage, wie sein zukünftiges Leben aussehen werde. Zumindest das private. Als Leistungssportler, sagte der 34 Jahre alte Skirennläufer, bekomme man während der Weltcupsaison ja quasi alles nach getragen. Für ihn ist daher jetzt erst einmal wichtig, „mein Leben auf die Reihe zu bekommen“.

Seine Gattin Miriam, kündigte der Ruheständler an, dürfe sich auf Unterstützung im Haushalt und beim Großziehen der gemeinsamen Tochter freuen. Sie seien ja schließlich die Verpflichtung eingegangen, Matilda, inzwischen anderthalb Jahre alt, „ein schönes Leben zu bieten“. Es ist davon auszugehen, dass auch Felix Neureuther diese neue Situation schon bald genießen wird.

Es wird ein Weilchen dauern, sich daran zu gewöhnen

Es wird gleichwohl ein Weilchen dauern, sich daran zu gewöhnen. Für Neureuther wie auch für nicht direkt am Leben des Garmisch-Partenkircheners Beteiligte. Denn es wird keinen 17. Winter in Serie geben, in dem er sich die klobigen Schuhe pressen und darunter die Skier schnallen wird, um auf Schnee die Slalomstangen zu umkurven. „Jetzt wird einem so richtig klar, dass ein neues Kapitel beginnt. Das ist nicht ohne“, sagte Neureuther am Sonntag nach seinem siebten Platz beim Weltcup-Finale im frühlingshaft anmutenden Soldeu/Andorra.

Tags zuvor hatte er das letzte Rennen seiner Karriere angekündigt, letztlich doch ein wenig überraschend. „Mein Herz und vor allem mein Körper haben mir deutlich zu verstehen gegeben, dass es an der Zeit ist, dieses für so wunderschöne Kapitel zu beenden“, schrieb der in den modernen Kommunikationswegen des Internets so vertraute wie auch sympathische und humorvolle Neureuther unter seinen vielleicht emotionalsten Video-Beitrag. Der deutsche Wintersport verliert eine seiner prägendsten und beliebtesten Figuren.

Neureuther war immer in erster Linie Mensch statt Sportler

Wobei der Begriff Figur vielleicht nicht passend ist, denn Neureuther war seit seinem Weltcupdebüt am 23. Januar 2003 im slowenischen Kranjska Gora immer in erster Linie Mensch statt Sportler. Er schaute über den Pistenrand hinaus, war ein kritischer Zeitgeist, formulierte sein Unbehagen zum olmypischen Kommerz klar, trat Funktionären auch ohne die klobigen Skischuhe gerne auf die Füße. Das Talent zu mehr als 13 Weltcupsiegen in 248 Rennen sowie drei WM-Medaillen (2013 Silber, 2015 und 2017 jeweils Bronze) hatte er allemal, „ja“, räumte er nun ein, „ich hätte mehr gewinnen können.“ Dass es trotz des einmaligen Gefühls für den richtigen Schwung dazu nicht kam, lag nicht nur am österreichischen Slalom-Dominatoren Marcel Hirscher. „Felix war ein Skigenie, er hatte mehr Fähigkeiten als alle anderen“, sagte Wolfgang Maier, Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes, über „seinen Augenstern“. Aber Neureuther war zumindest in den ersten Jahren seiner Karriere auch ein schlampiges Genie – er war stets ehrgeizig, Hirscher aber war besessen.

So konnte er erst mit 26 Jahren zum richten Felix Neureuther werden und musste nicht mehr bloß der Sohn der Skilegenden Rosi Mittermaier und Christian Neureuther sein. Slalom in Kitzbühel 2010, der Ganslernhang besitzt ähnlichen Kultstatus wie die Abfahrtsstrecke Streif. Erstmals war Neureuther im Weltcup schneller als alle anderen, das trieb unten im Zielauslauf dem Sohn wie dem Vater 31 Jahre nach dessen Triumph in Kitzbühel die Tränen in die Augen. Fortan waren die Gold-Rosi und der Christian die Eltern vom Felix.

Traum der Olympiamedaille erfüllte er sich nicht

Dass es nie zum WM-Titel oder einem Olympiasieg wie bei Markus Wasmeier genügte, lässt Felix Neureuthers sportliche Laufbahn unvollendet erscheinen. Häufig genug fanden sich die übermächtigen Gegner nicht auf den Pisten, sondern in seinem verletzungsanfälligen Körper wieder. Vor Olympia in Sotschi 2014 ließen die Folgen eines Autounfalls auf dem Weg zum Flughafen München nicht mehr als den achten Platz im Riesenslalom zu. Vor den letzten Spielen in Pyeongchang 2018 riss er sich das Kreuzband im Knie. Seit der Rückkehr in diesem Winter fuhr er nicht mehr aufs Podest. „So, wie es war, waren einfach zu viele Zweifel da, dass ich es noch mal schaffe“, sagte er nun.

Deshalb ist nach den Rennen in Kranjska Gora am vorletzten Wochenende, als er nach Hause gekommen und Matilda auf ihn zugelaufen sei, die Erkenntnis gereift: „Burschi, jetzt ist gut.“ Neureuther, der sich in einer Stiftung engagiert und zwei Kinderbücher geschrieben hat, habe bereits seit „sehr, sehr langer Zeit einen Plan, wie es weitergeht.“ Privater Skilehrer, als den sich Bastian Schweinsteigers Ehefrau Ana Ivanovic den Jugendfreund ihres Mannes wünscht, wird er aber wohl nicht. Dem Schneesport wird Felix Neureuther aber wohl erhalten bleiben: „Deswegen sage ich nicht Servus, sondern bis bald.“