Hamburg. In Hamburg hilft dem Rollstuhl-Basketballer Asael Shabo nach Familiendrama der Sport, die schrecklichen Geschehnisse zu bewältigen.

Beim Besuch im HSV-Museum bleibt Asael Shabo vor der großen Vitrine mit den bedeutendsten Trophäen stehen und schaut ganz genau hin: die Meisterteller, die Victoria, DFB-Pokal und Landesmeister-Cup. „Ein großer Club“, sagt er. „Ích bin froh und stolz, hier zu spielen.“ Und wenn es die Zeit erlaubt, dann schaut sich der Rollstuhlbasketballer von den BG Baskets seine kickenden Vereinskollegen gerne auch mal persönlich im Stadion an. „Obwohl“, sagt der 25-Jährige und druckst ein wenig herum, „ich bin Fan vom FC Barcelona.“

Das ist natürlich okay. Mit Messi, Neymar, Gerard Piqué und all den anderen Superstars hat er schließlich schon gemeinsam auf dem Fußballplatz gestanden und gespielt. Damals, im August 2013 in Israel. Das verbindet. „Es war ein großer Spaß, mit ihnen zu trainieren“, erzählt er mit einem Leuchten in den Augen. Dass das nur mit einem Bein und Stützen ging – um so beeindruckender. „Barcelona war damals auf einer sogenannten ,Peace Tour‘ in Israel“, erinnert sich Shabo. Eine Friedenstour. „Es war sehr berührend.“

Ein Star in seinem Heimatland

Seit dem Sommer 2017 steht der Center bei den BG Baskets unter Vertrag. „Zum ersten Mal bin ich ins Ausland gewechselt, spiele professionell“, erzählt er. „Ich wollte als Spieler und als Persönlichkeit wachsen“, erklärt er die Motivation. Außerdem sei Hamburg eine schöne Stadt, die Liga gut, der HSV ein sehr gut geführter Club. Und dann hat er in Hamburg auch noch seine Freundin kennengelernt – „auch ein Grund, dass ich meinen Vertrag im Sommer um ein Jahr verlängert habe.“

In dem Dokumentarfilm „Vierzehneinhalb Kollisionen“ von Guido Weihermüller über die BG Baskets und deren diverse, persönliche Geschichten, spielt Shabo eine der beeindruckendsten Rollen. Nur dass es keine Rolle ist, sondern sein Leben – „ein unabänderlicher Teil von mir“. Seit etwa fünf Jahren ist er in der Lage, darüber zu reden. Und tut es regelmäßig in seinem Heimatland. „Es war schwer am Anfang, aber es ist gut jetzt. Ich merke, dass ich anderen Menschen damit helfen kann.“ In seinem Heimatland ist er ein Star. Aber auch in Hamburg sprechen ihn Leute an, die den Film gesehen haben: „Es gibt nur gute Reaktionen.“ Am 26. Januar soll der Film vor einem Heimspiel in Wilhelmsburg noch einmal gezeigt werden.

Mutter und zwei Geschwister wurden getötet

Im Juni 2002 wurde das Haus der Familie Shabo in der israelischen Siedlung Itamar im besetzten Westjordanland von einem Palästinenser überfallen. Mutter Rachel und drei der Geschwister wurden getötet. Er, zwei Schwestern, ein Bruder und sein Vater überlebten. Der neunjährige Asael hatte sich während des Überfalls tot gestellt, 45 Minuten lang. Er verlor sein rechtes Bein, das Knie war von neun Kugeln zertrümmert. Doch er gab nicht auf. Sport half ihm, nicht seine Geschichte zu überwinden – „das geht nie“ –, aber sie zu bewältigen. „Ich habe mit Schwimmen begonnen. Im Wasser fühlte ich mich frei, merkte die Behinderung nicht.“ Mit viel Ehrgeiz und Zielstrebigkeit, Anstrengung, aber auch Talent wurde er der beste Schwimmer seines Landes, „Ich halte immer noch den Rekord über 50-Meter-Freistil.“

Vor acht Jahren begann er mit Basketball: „Ich hatte das Gefühl, ich müsse meine Vergangenheit im Wasser lassen.“ Als 17-Jähriger war er spät dran für den Sport, aber lernte schnell. „Er hat viel Talent, hat sich im vergangenen Jahr sehr gesteigert“, sagt BG-Baskets-Trainer Holger Glinicki, der ihn für den HSV entdeckt hat. „Aber er muss konstanter werden, fokussierter und auf dem Platz manchmal weniger emotional.“

Seine Emotionen können stören

Ja, die Emotionalität. „Ich weiß, das ist immer nicht gut“, sagt er. „Aber ich arbeite daran.“ Die Mitspieler haben es manchmal nicht leicht mit dem extrovertierten Kollegen. Fouls, die das Team belasten, auch Undiszipliniertheiten – es hat schon kräftig gekracht. „Die Deutschen folgen Regeln, wir Israelis sind anders, vielleicht lauter“, sagt Shabo. „Ich versuche wirklich, als Spieler und als Mensch besser zu werden. Aber es ist nicht immer leicht.“

Alireza Ahmadi hilft ihm bei seiner Weiterentwicklung ganz entscheidend. Er ist Shabos bester Freund im Hamburger Team. Ausgerechnet er. Ein Iraner. Widerspruch. Nein, ausgerechnet sei ganz falsch berichtigt Shabo. „Wir sind alle Menschen.“ Am Ende sei alles nur Politik. Der Hass, die Kämpfe, die Konflikte, im Nahen Osten und im Rest der Welt. „Wir Athleten sind anders“, sagt Shabo. Als er mit Messi und Co. kickte, war natürlich auch ein palästinensischer Spieler dabei. Sport kann tatsächlich verbinden, Brücken bauen.

Der ältere Spieler ist ein Mentor für den Jüngeren

Als Alireza Ahmadi ebenfalls im Sommer 2017 als Neuverpflichtung in Hamburg ankam, bestand der Israeli darauf, ihn vom Flughafen abzuholen. „Ich wollte wissen, ob er ein Problem damit hat, mit mir zu spielen. Aber er sagte sofort Nein“, erzählt Shabo von dieser ersten wegweisenden Begegnung mit dem 17 Jahre Älteren. Der ist mittlerweile wie ein Mentor für den Jüngeren, eine Art Ersatzvater in der Fremde. „Er hat alles schon erlebt im Leben, im Sport, bei Beziehungen, im Alltag“, sagt Shabo. „Er hilft mir sehr.“

Das Kompliment wird sofort zurückgegeben. Asael sei ein toller Typ und großartiger Mensch, sagt Ahmadi. „Ich versuche ihn zu unterstützen, wo immer es geht.“ Reden können sie über fast alles, nur ein Thema lassen sie aus. Bewusst. Ahmadi kann zurzeit nicht in den Iran reisen. „Aber darüber sprechen wir nicht“, sagt Shabo. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, die eigene Familie nicht besuchen zu können.“

Nach dem letzten Spiel dieses Jahres, am Sonntag um 12.30 Uhr gegen die Zwickau Rollers in der edel-optics.de-Arena in Wilhelmsburg, geht es für Asael Shabo zur Familie nach Israel. Die Bindung ist eng. Sein Vater hat wieder geheiratet. „Ich habe drei Geschwister verloren, und jetzt habe ich drei neue gewonnen.“

Drei Vorträge wird er in der Woche vor dem neuen Jahr halten. Er wird Kindern und Jugendlichen seine Geschichte erzählen. Auch solchen, die ein ähnliches Schicksal erleiden mussten. „Ich zeige ihnen, dass man immer weitermachen kann“ sagt Shabo. „Und ich weiß, meine Mutter würde wollen, dass ich genau das mache.“