Hamburg. Thomas Pütz, Präsident des Bundes Deutscher Berufsboxer, kritisiert TV-Sender und Verbände und fordert die Rückkehr zur Ehrlichkeit.

Als Thomas Pütz im ­April 2010 zum Präsidenten des Bundes Deutscher Berufsboxer (BDB) gewählt wurde, war der Sport einer der größten Quotenbringer in Deutschland. Aktuell steckt das Boxen in einer schweren Krise. Im April 2019 will sich der 52-Jährige, der in Kaltenkirchen das Sicherheitsunternehmen Pütz Security führt, zum 70-jährigen Bestehen des BDB dennoch für vier Jahre im Amt bestätigen lassen. Ein Gespräch über die Gründe für die Talfahrt und Auswege daraus.

Herr Pütz, wie fühlt man sich als Präsident einer totgesagten Sportart?

Thomas Pütz: Ich fühle mich zum Glück sehr lebendig. Natürlich gab es schon schönere Zeiten. Aber ich habe auf keinen Fall den Eindruck, dass das Profiboxen in Deutschland tot ist. Nicht einmal, dass es am Boden liegt.

Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist eine andere. Woran liegt das?

Der Hauptgrund dafür ist, dass das Boxen in den 90er- und 2000er-Jahren, als Deutschland in der Weltspitze mitmischte, größer dargestellt wurde, als es war und ist. Boxen war in Deutschland nie ein Breitensport, es gibt maximal eine halbe Million Experten und im Vergleich zu vielen anderen Sportarten viel weniger Aktive. Der BDB hat rund 750 Mitglieder. Aber durch Stars wie Henry Maske, Axel Schulz, Sven Ottke, Dariusz Michalczewski, die Klitschkos und auch Regina Halmich interessierte sich eine breite Masse für das Boxen. Aktuell fehlen uns die großen Namen, entsprechend hat sich das Interesse verringert.

Fehlende Stars sind das eine. Aber liegt der Niedergang nicht vorrangig daran, dass kein TV-Sender, wie über viele Jahre die ARD und das ZDF, Millionen investiert?

Natürlich. Allerdings gehört zur Wahrheit, dass es über Jahre hinweg zu viele durchschnittliche Kämpfe gab, die bei ARD und ZDF hochgejubelt wurden. Das hat dem Boxen mehr geschadet als genutzt. Außerdem wehre ich mich dagegen, alles auf das Thema Geld herunterzubrechen. Bestes Beispiel ist die im vergangenen Jahr aufgelegte Weltserie um die Muhammad-Ali-Trophy. Da steckt unheimlich viel Geld drin, es gibt absolut hochklassigen Sport zu sehen, aber in Deutschland ist die Resonanz darauf nahe null. Das zeigt mir, dass es vor allem Typen braucht, die vermarktbar sind und sportliche Klasse haben.

Und die gibt es in Deutschland?

Auf jeden Fall. Vielleicht nicht für die Weltspitze, aber Jungs mit europäischem Spitzenniveau haben wir. Sebastian Formella ist so einer, der sportlich überzeugt und als Containerfahrer im Hamburger Hafen auch eine klasse Geschichte mitbringt. Deniz Ilbay ist ein besonderer Typ, Abass Baraou, Artem Harutyunyan oder Tom Schwarz haben viel Potenzial. Und ich bin sicher, dass es noch andere gibt, die wir noch nicht kennen. Man muss sie nur finden.

Ist es ein Problem, dass junge Boxer heute nicht mehr, wie Anfang der 90er-Jahre, Schulz oder Maske heißen, sondern Baraou oder Harutyunyan? Spielt Alltagsrassismus eine Rolle in der Abwertung des Boxens?

Das glaube ich nicht. Deutschland ist eins der wenigen Länder, in denen auch Sportler mit Migrationshintergrund gefeierte Stars werden können. Die Klitschkos sind das beste Beispiel. Zwei Ukrainer, die in Deutschland Stadien gefüllt haben, das zeigt, dass Leistung zählt und nicht der Name. Außerdem ist das Boxen schon immer multikulturell gewesen. Da sehe ich kein Problem.

Fehlt es also an Klasse oder auch an Kreativität, um neue Stars zu finden?

Beides. Die Lokomotive, die alle mitzieht, hat derzeit keiner. Die Chance war vor ein paar Jahren da, als Gennady Golovkin nach der Trennung von Universum für kleines Geld zu haben gewesen wäre. Nun ist er der Superstar in den USA. Da haben die deutschen Promoter gepennt. Nun müssen sie sehen, wie sie den nächsten Superstar finden.

Dafür braucht es Geld, das Promoter in den Aufbau neuer Stars investieren müssen. Fehlt aktuell jemand wie Sauerland-Stallgründer Wilfried Sauerland oder der frühere Universum-Chef Klaus-Peter Kohl, der es wagt, ins Boxen zu investieren?

Ich will das Engagement der aktuellen Promoter gar nicht kleinreden. Wir haben tolle Veranstalter wie Ulf Steinforth, Erol Ceylan, Alexander Petkovic, Ingo Volkmann oder Thomas Nissen, um exemplarisch einige zu nennen. 2017 hatten wir 82 Profiboxveranstaltungen unter BDB-Aufsicht, in diesem Jahr werden es mehr als 90 sein. Das zeigt, dass die Szene lebt. Was fehlt, sind die Highlights, die die breite Masse erreichen.

Ende Oktober kämpften mit Dominic Bösel und Enrico Kölling zwei Deutsche um die EM im Halbschwergewicht. Zu ARD/ZDF-Zeiten wäre dieser Kampf zur deutschen Schlacht des Jahres hochstilisiert worden und hätte in einer großen Halle stattgefunden. Nun übertrug der MDR aus Weißenfels, und kaum jemand bekam es mit.

Das zeigt einerseits, dass sich die Relationen verschoben haben und wir damit leben müssen, dass sportlich hochwertige Kämpfe momentan zu wenig Beachtung finden. Aber die kleinen Veranstaltungen sind enorm wichtig. Früher waren wir von einem großen Promoter abhängig, heute ist die Szene vielschichtiger. Was mich besonders freut: Es gibt wieder viele Kämpfe auf Augenhöhe.

Das hilft dem Sport aber auch nicht, wenn Augenhöhe zu oft bedeutet, dass beide wenig Niveau haben. In den großen Zeiten hatte wenigstens einer der Kontrahenten meist Weltklasseniveau.

Aber wie oft hatte man das Gefühl, dass der Sieger schon vorher feststand und Fallobst durch den Ring geprügelt wird? Ich sehe lieber eine deutsche Meisterschaft auf Augenhöhe, als wenn ein Olympiasieger einen tschechischen Busfahrer als Aufbaugegner vermöbelt.

Man sagt, dass die Ehrlichkeit zunimmt, wenn das Geld aus dem System verschwindet. Stellen Sie das aktuell auch fest?

Auf jeden Fall, und ich finde diese Entwicklung sehr positiv. Es geht heute weniger darum, dass ein Boxer einen sauberen Kampfrekord ohne Niederlagen haben muss, um ein Star zu werden. Dafür ist wichtiger, dass es gute Kämpfe gibt gegen ernsthafte Gegner, die man auch mal verlieren darf, ohne dass man gleich weg vom Fenster ist. So findet man auch schneller heraus, ob ein Boxer das Zeug hat, es nach oben zu schaffen, anstatt ihn in Watte zu packen und dann die große Überraschung zu erleben, wenn er bei der ersten WM-Chance vermöbelt wird, weil er nie gegen einen Gegner dieses Niveaus gekämpft hat.

Tragen nicht die vielen Titel, die es im Boxen gibt, auch dazu bei, das Niveau zu verwässern und den Blick für die wahre Leistungsstärke zu vernebeln?

Definitiv. Wir müssen daran arbeiten, die Titelflut einzudämmen, die die Weltverbände heraufbeschworen haben und die dem Boxen schadet. Diese ganzen Interkontinentalmeisterschaften sind Unsinn. Es sollte nur drei Titel geben: nationaler, kontinentaler und Weltmeister. Dann wäre eine DM oder eine EM auch wieder wertvoller.

Es dürfte auch keinen regulären Weltmeister unterhalb eines Superchampions geben. Das ist dem Fan nicht mehr zu vermitteln.

Völlig richtig. Ich habe großen Respekt vor der Leistung von Manuel Charr. Aber dass er sich Weltmeister im Schwergewicht nennen darf, weil er bei der WBA den regulären Titel trägt, ist nicht gut fürs Boxen. Dass die WBA einen Kampf wie den Charrs gegen Alexander Ustinov als WM sanktioniert, schadet dem Sport, so ehrlich muss man sein. Charr hätte ja schon Probleme, den aktuellen Europameister Agit Kabayel zu besiegen.

Charr ist aktuell auch Teil eines weiteren Problems, das das Boxen hat: Doping. Er wurde positiv getestet, soll aber nur sechs Monate aussetzen. Grundsätzlich werden Boxer bei Dopingvergehen selten länger als ein halbes Jahr gesperrt, obwohl die Empfehlung im Weltsport zwei Jahre Sperre ist. Wer soll so einen Sport noch ernst nehmen?

Ich gebe Ihnen recht, Doping ist unser größtes Problem, und der Umgang mit positiven Fällen ist lächerlich, das kann man nicht anders sagen. Das Problem ist schlicht, dass wir als BDB es uns nicht leisten können, umfangreichere Trainingskontrollen zu finanzieren. Die Fälle, die in unserem Wirkungsbereich passierten, haben wir konsequent aufgedeckt und geahndet. Aber wir stoßen bei der Verfolgung an finanzielle Grenzen. Deshalb fordere ich, dass Doping von staatlicher Stelle verfolgt wird. Mit der Einführung des Antidoping-Gesetzes ist Doping seit drei Jahren ein Straftatbestand, der Sportler ins Gefängnis bringen kann. Entsprechend sollte der Staat dafür zuständig sein, es zu verfolgen, und nicht private Institutionen. Das wäre der einzige Weg, um das Problem in den Griff zu bekommen. Der ADAC führt schließlich auch keine Alkoholkontrollen durch.

Im kommenden Jahr feiern Sie das 70-jährige Bestehen des BDB. Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass zum 75. Geburtstag Ihres Verbands das deutsche Profiboxen wieder in der Weltspitze steht?

Die lässt sich schwer beziffern. Fakt ist, dass es immer Höhen und Tiefen gegeben hat. Das beste Beispiel, wie man es von unten wieder nach ganz oben schafft, ist England, das vor 15 Jahren auch für tot erklärt wurde und jetzt wieder der wichtigste Markt ist. Die Briten hatten das Glück, von den Olympischen Spielen 2012 in London profitieren zu können, die viel Geld ins System brachten. Leider hat Deutschland bislang nicht den Mut, sich für Olympia zu bewerben. Aber in Zusammenarbeit mit dem olympischen Boxverband werden wir darum kämpfen, einen ähnlichen Weg zu gehen.